(ots) - Deutschland hat sich auf eine neue große Koalition
einzustellen. Das ist nach den Spielregeln der Demokratie in
politischen Normalzeiten nicht besonders wünschenswert. Aber in einer
Demokratie entscheiden nicht die Theoretiker, sondern die Wähler. Die
wissen in Deutschland seit Jahrzehnten recht gut, was sie wollen,
wann eine Kanzlerin oder ein Kanzler abzuwählen ist und wann nicht.
Mit dem Rausschmiss der Liberalen nach für sie inhaltlich wie
personell vermaledeiten vier Jahren am Kabinettstisch und der Abkehr
von den kurz zuvor noch hoch geschätzten Grünen haben die Wähler
vollzogen, was sie den Meinungsforschern lange vorher anvertraut
hatten: Wir wollen eine große Koalition. Nun haben das CDU und CSU
einerseits, die SPD andererseits endlich auch eingesehen. Sie
steigern das Tempo und wollen vom Sondieren übergehen ins Verhandeln.
Wenn die SPD-Basis denn am Sonntag ihr erstes Plazet gibt. Noch
murren viele Genossen allüberall lautstark und verkünden Bedingungen,
die die Union vor einer neuen Zwangsehe gefälligst zu erfüllen habe.
Sie alle scheinen noch immer nicht begriffen zu haben, wer Wahlsieger
und wer abgeschlagener Zweiter ist. Nachdem die Parteispitze samt der
lange störrischen Hannelore Kraft aus Nordrhein-Westfalen für
Koalitionsverhandlungen plädiert, kommt dem Parteikonvent am Sonntag
nur noch die Bedeutung eines Placebos zu. Denn folgt der Konvent der
Parteispitze nicht, drohte gleich ein doppeltes Fiasko: Die SPD würde
es zerreißen und Angela Merkel könnte in ihrer Einsamkeit auf Neuwahl
drängen. Weil Merkel und Seehofer wissen, dass die SPD zumindest
Futter in erträglichen Dosen braucht, wird es so weit nicht kommen.
Es ist lange genug diskutiert, spekuliert und gefordert worden. Jetzt
muss fair verhandelt und nach außen die Vertraulichkeit gewahrt
werden, die nötig ist für ein Ergebnis, mit dem alle in den nächsten
vier Jahren schmerzfrei leben können. Wer weiter von einer kleinen
Koalition träumt, der sollte in den Bundesrat schauen. Seine rotes
Übergewicht läuft ohnehin auf eine große Koalition hinaus: die
offizielle am Kabinettstisch oder die inoffizielle im
Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat.
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