PresseKat - Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu den Koalitionsverhandlungen: "Desaster in Berlin"

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu den Koalitionsverhandlungen: "Desaster in Berlin" von Manfred Sauerer

ID: 980374

(ots) - Folgendes dürfen wir von den Verhandlungen für
die künftige Koalitionsregierung erwarten: Konzepte und Rezepte, ja
vielleicht sogar ein paar Visionen mit Umsetzungschancen für die
brisanten Themen unseres Landes. Und selbstverständlich muss die
Politik auch auf das Wohl der kommenden Generationen ausgerichtet
sein. So viel Verantwortungsbewusstsein darf man unterstellen.
Allein, der aufgeblähte Verhandlungsapparat in Berlin scheint von
allen guten Geistern verlassen zu sein. Zur Halbzeit der Gespräche
stellt sich die bange Frage: Was wird das für ein Koalitionsvertrag
zwischen Union und SPD werden? Offenbar ein Interessensausgleich
zwischen zwei (oder auch drei) gleichwertigen Partnern, die dem
Wählerwillen nach gar nicht gleichwertig sind, bei dem der kleinste
gemeinsame Nenner die größte Rolle spielt und jeder noch so kleinen
Lobby etwas Gutes getan werden soll. Bei den großen Zukunftsfragen
bleibt man indifferent. Die Wirtschaftsweisen haben ihr Urteil schon
gesprochen: "Rückwärtsgewandte Politik!" Jeder blamiert sich so gut
er kann. SPD-Frau Manuela Schwesig hatte in der
Familien-Arbeitsgruppe gleich mit dem Abbruch der
Koalitionsverhandlungen gedroht, weil man sich zu den
Rahmenbedingungen der Homo-Ehe im Kreis gedreht hatte. Welche
Bedeutung etwa der Wahlsieger CDU diesem Themenfeld beimisst, wird
auch an seiner Verhandlungsführerin deutlich. Annette Widmann-Mauz
ist Staatssekretärin im Gesundheitsministerium und hat nie im Bereich
der Familienpolitik gearbeitet. Dann verließ SPD-Bayernchef Florian
Pronold das Verkehrsgremium, weil die Unionsleute seiner Idee der
Ausweitung der Lkw-Maut nicht nähertreten wollten. Horst Seehofer
hätte ja lieber eine Pkw-Maut nebst monströser Bürokratie. Solche
Vorkommnisse lassen die Beteiligten bisweilen als inkompetent
erscheinen. Schlimmer aber ist die Tatsache, dass sich hier eine




künftige satte Mehrheit im Bundestag an den Zukunftsperspektiven von
Land und Leuten versündigt. Natürlich haben die einstigen
Agenda-2010-Reformen neben der positiven Wirtschaftsdynamik auch
Verlierer produziert. Es gibt zahlreiche prekäre Arbeitsverhältnisse.
Die aktuell 31 Milliarden Überschuss in der Rentenkasse sollen aber
weder für die gesetzlich vorgeschriebene Beitragssenkung verwendet
werden noch für Maßnahmen gegen die Altersarmut. Die blüht vor allem
den nächsten Generationen. Nein, die Milliarden sind bestimmt für ein
Geschenk an die Stammwählerinnen der beiden großen Parteien. Die
sogenannte Mütterrente vergrößert die Rentenansprüche von Frauen, die
vor 1992 Kinder bekamen. Das mag gerecht sein, korrigiert aber nur
eine von zahlreichen Stichtagsregelungen in der deutschen
Sozialpolitik und kostet pro Jahr rund sieben Milliarden Euro. Das
ist mehr, als der Staat derzeit für Eltern- und Betreuungsgeld
zusammen ausgibt. Die Folge werden mittelfristig steigende
Rentenbeiträge sein - eine Zumutung für die Jungen. Die SPD hat ihr
Koalitionsschicksal zudem an den gesetzlichen Mindestlohn gekoppelt.
Man muss kein Wirtschaftsweiser sein, um den Zusammenbruch ganzer
Branchen in Ostdeutschland vorherzusagen. Aber auch in den alten
Ländern wird es dann wieder mehr Arbeitslose geben. Die SPD hat dann
noch die Idee auf Lager, eine abschlagsfreie Rente an 63-Jährige
auszuzahlen, die seit 45 Jahren arbeiten. Ihr früherer Vorsitzender
Franz Müntefering hat sich einst als Arbeitsminister wochenlang
verbal prügeln lassen, um die Rente mit 67 auf den Weg zu bringen. Er
muss sich jetzt wie ein Idiot fühlen. Vielleicht wird die Union
wenigstens in diesem Fall hart bleiben. An anderer Stelle zeigt die
Partei der Kanzlerin schon jetzt klare Kante, obwohl Reformen
sinnvoll wären. Ein Bundesprogramm zum Ausbau von Ganztagsschulen
wurde im Wahlkampf auch von der CDU propagiert, nun aber lehnt
Bildungsministerin Johanna Wanka die Idee ab. Auch wenn es wegen der
Länderhoheit in Sachen Bildung noch Hürden gibt - mehr
Ganztagsschulen wären zweifellos ein Segen für junge Familien und
erhöhten die Zukunftschancen der Kinder. Beim Megathema Energiewende
herrscht sowieso Flaute. Horst Seehofer darf nun größere Abstände von
Windrädern zu Wohngebieten verlangen. Bravo! Die Gretchenfrage, wie
die Diskrepanz von niedrigen Preisen an der Strombörse und hohen
garantierten Einspeisevergütungen anders zu lösen ist als durch
ständig wachsende Ökostromumlagen vor allem für Privatverbraucher,
bleibt unbeantwortet. Geschacher, Konzeptlosigkeit, gegenseitiges
Neutralisieren und Lobby-Politik statt Generationengerechtigkeit -
wir haben gewählt und blicken nun fassungslos nach Berlin.



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Datum: 13.11.2013 - 20:11 Uhr
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