(ots) - Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe zeigt: Nicht
der Zuwachs beim Ökostrom verursacht Stromexport-Rekorde, sondern der
neue Boom der Kohlekraft - Tatenlosigkeit der schwarz-gelben
Bundesregierung beim Klimaschutz verantwortlich
Deutschland nutze das Ausland "systematisch als Abladeplatz für
überschüssigen Ökostrom", zu viel deutscher Ökostrom treibe flexible
Gaskraftwerke in den Niederlanden in den Ruin und überhaupt gebe es
hierzulande "zu viel Ökostrom". So oder ähnlich berichteten viele
Medien, als das Statistische Bundesamt Anfang April einen
historischen Höchstwert beim Stromexport aus Deutschland für das Jahr
2012 auswies. Die Interpretation entpuppt sich nach einer
Detailanalyse der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), die die aktuelle
Entwicklung im laufenden Jahr betrachtet, als klassischer
Kurzschluss. Denn nicht immer mehr Strom aus Sonne, Wind und Wasser
wird ins Ausland verschoben, sondern Strom aus Kohlekraftwerken. Der
kann wegen des Niedergangs des europäischen Emissionshandelssystems
konkurrenzlos billig angeboten werden.
Nach der DUH-Untersuchung wird sich die Entwicklung im laufenden
Jahr 2013 noch massiv verschärfen. Lag der Exportsaldo 2012 schon bei
23,1 Terrawattstunden (das entspricht mehr als der Jahresproduktion
von vier großen Kohleblöcken), so wird er 2013 voraussichtlich die 30
TWh-Marke deutlich übertreffen. Im ersten Halbjahr 2013 legte der
Exportsaldo laut der DUH-Analyse gegenüber dem Vorjahreszeitraum noch
einmal um knapp 50Prozent zu (14,8 TWh gegenüber 10,1 TWh). Doch so
aufregend diese Entwicklung ist: Noch spannender ist ein Blick auf
die Beiträge der einzelnen Energieträger im ersten Halbjahr 2013. Bei
praktisch unverändertem inländischem Netto-Stromverbrauch, ging die
Erzeugung aus Erneuerbaren Energien 2013 gegenüber dem Vorjahr
aufgrund geringeren Windangebots leicht zurück. Beim Erdgas gab es
einen dramatischen Einbruch, Strom aus Atomkraft blieb fast gleich,
nur die Stromerzeugung aus Stein- und Braunkohle stieg gegenüber 2012
drastisch an.
"Der Detailvergleich zeigt, dass die erneut kräftig gestiegenen
Stromexporte allein aus klimaschädlichen Kohlekraftwerken stammen",
sagt Gerd Rosenkranz, der Leiter Politik und Presse der DUH. "Das
Gerede vom Ökostrom-Überschuss ist ein Märchen. Was wir stattdessen
erleben ist ein neuer Kohleboom und damit einen Anstieg der
nationalen Treibhausgasemissionen. Das ist das exakte Gegenteil der
Energiewende, die wir uns vorgenommen haben." Treiber der Entwicklung
ist vor allem der Niedergang des europäischen CO2-Zertifikatehandels,
in dessen Folge Klimakiller-Kraftwerke ihren Strom konkurrenzlos
billig erzeugen könnten. Rosenkranz: "Jeder weiß, dass der Widerstand
gegen eine wirksame Reform des europäischen Emissionshandels vor
allem vom deutschen Wirtschaftsminister Philipp Rösler, Arm in Arm
mit dem Kohleland Polen, organisiert wird, ohne dass man jemals
gehört hätte, dass die vormalige Klimakanzlerin Angela Merkel den
FDP-Minister zur Raison ruft". Wer die Energiewende gezielt vor die
Wand fahren wolle, müsse genau so handeln, wie es die schwarz-gelbe
Koalition derzeit tue.
Jürgen Quentin, der Leiter der Anti-Kohle-Kampagne der DUH, nennt
die Entwicklung fatal: "Als Folge der gegenwärtigen Kohlepolitik
werden sowohl in Deutschland als auch - über den Export - in unseren
Nachbarländern flexible und klimaschonende Gaskraftwerke, die wir für
die nächste Stufe der Energiewende dringend brauchen, aus dem Markt
gedrängt, während unflexible, klimaschädliche Kohleblöcke teilweise
im Jahresdauerbetrieb laufen." Im Ergebnis entferne sich Deutschland
bei den nationalen CO2-Emissionen vom Zielpfad der Bundesregierung
für das Jahr 2020 (40 Prozent Treibhausgasreduktion im Vergleich zu
1990). Im Jahr 2012 lag der CO2-Ausstoß schon 78 Millionen Tonnen
über dem was der Zielpfad erfordert, wobei allein 65 Mio. t dem
Stromsektor zuzurechnen waren.
Auch das Argument, Kohlekraftwerke müssten zur Aufrechterhaltung
der Versorgungssicherheit am Netz bleiben (im Fachjargon:
"Must-Run-Problem") werde sich unter einem wirksamen
Klimaschutzregime schnell relativieren. Ein funktionierender
CO2-Zertifikatehandel, etwa durch Verschärfung der EU-Klimaziele,
würde flexiblen Gaskraftwerken in Deutschland wie in den Niederlanden
zu mehr Wirtschaftlichkeit verhelfen und auch bei den Erneuerbaren
Energien Technologien befördern, die die heutigen viel zu hohen
Must-Run-Kapazitäten reduzieren würden. Dazu müsse sich aber die
Bundesregierung mit den Kohlekraftwerksbetreibern anlegen. Davon sei
sie weit entfernt. Schwarz-gelb, in Teilen aber auch die SPD
propagierten ganz im Gegenteil den Neubau so genannter effizienter
Kohlekraftwerke und sogar den Aufschluss neuer Braunkohletagebaue.
Quentin: "Wer so etwas fordert, will dass die Energiewende auch 2050
noch nicht vollzogen ist. Parole: Deutschland, ewig Kohleland!"
Nach Überzeugung der DUH muss die nächste Bundesregierung, zur
Flankierung des darniederliegenden Emissionshandels, zusätzliche
Klimaschutzinstrumente auf nationaler Ebene auf den Weg bringen. Dass
das rechtlich zulässig ist, hatte die DUH bereits im Mai in
juristischen Studien belegt.(1) Denkbar wäre zum Beispiel,
ordnungsrechtlich gegenzusteuern - etwa durch die Schaffung eines
Bundesklimaschutzgesetzes mit verbindlichen CO2-Zielen für jeden
Sektor, aus denen sich spezifische CO2-Grenzwerte und/oder
anspruchsvolle elektrische Mindestwirkungsgrade für Kraftwerke
ableiten ließen. Andernfalls rückten die nationalen Klimaschutzziele
in immer weitere Ferne, ist die DUH überzeugt.
DUH-Hintergrund mit verwendbaren Grafiken: "Energiewende?
Kohlewende!" finden Sie hier: http://l.duh.de/ggimy
(1) Dr. Cornelia Ziehm/Henrike Wegener: Zur Zulässigkeit
nationaler CO2-Grenzwerte für dem Emissionshandel unterfallende neue
Energieerzeugungsanlagen; http://www.duh.de/uploads/media/Ziehm-Wege
ner_Zul%C3%A4ssigkeit_nationaler_CO2-Grenzwerte_05-2013.pdf Dr. Roda
Verheyen: Rechtliche Instrumente zur Verhinderung neuer
Kohlekraftwerke und Braunkohletagebaue in Deutschland; http://www.duh
.de/uploads/media/Verheyen_Rechtsinstrumente_gegen_neue_Kohlekraft_un
d_Tagebaue_05-2013.pdf
Pressekontakt:
Jürgen Quentin, Leiter Anti-Kohle-Kampagne
Tel.: 0302400867-95; Mobil: 0151 14563676; E-Mail: quentin(at)duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik & Presse
Tel.: 0302400867-0; Mobil: 0171 5660577; E-Mail: rosenkranz(at)duh.de