(ots) - Das Bundesverfassungsgericht hat es wieder
getan: Mit seinem Urteil zur steuerlichen Gleichstellung von schwulen
und lesbischen Lebenspartnerschaften hat Karlsruhe gestern wieder
einmal Politik gemacht - die, um welche sich die schwarz-gelbe
Bundesregierung schon lange drückt. Nicht ohne Grund. Der
Bundesregierung ein durchwegs verstaubtes Gesellschaftsbild oder etwa
eine homophobe Gesinnung zu unterstellen, wäre falsch. Die
unterlassene Gesetzgebung der Bundestagsmehrheit im Bereich der
Gleichstellung von Schwulen und Lesben hat eine andere Ursache. Der
Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck hat sie gestern mit einem
Satz ziemlich treffend umschrieben: "Wir werden gut von Karlsruhe
regiert." Dass die Entscheidung von den Bundesverfassungsrichtern
früher oder später in dieser Form fallen würde, war vorhersehbar.
Denn ihre Rechtsprechung folgt - im Gegensatz zur Koalitionspolitik -
einer klaren Linie. Seit mehreren Jahren baut das oberste deutsche
Gericht Stück für Stück die Diskriminierung der Homo-Ehe ab: 2009
erklärten die Richter die Diskriminierung schwuler und lesbischer
Partnerschaften im Vergleich zu Eheleuten bei der Betriebsrente im
öffentlichen Dienst für verfassungswidrig. Ein Jahr später folgte die
Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer. 2012 legte Karlsruhe fest,
dass homosexuelle Beamte in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft
ebenso Anspruch auf den Familienzuschlag haben wie Ehepaare. Im
Februar entschied Karlsruhe, dass Homosexuelle in einer eingetragenen
Partnerschaft auch Adoptivkinder des Partners annehmen dürfen. Mit
dem Beschluss zum Ehegattensplitting wurde nun ein weiteres
Bundesgesetz korrigiert, weil es auch hier nach Ansicht der Richter
keine "gewichtigen Sachgründe für eine Ungleichbehandlung" von
gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und Ehen gibt. Die
Bundesregierung musste sich im Grunde nur zurücklehnen und warten,
bis die Richter die Arbeit erledigen, die in der schwarz-gelben
Koalition für Streit gesorgt hätte. Freilich ein sehr eigenartiges
Verständnis von Regierungsarbeit - allerdings eine äußerst geschickte
Strategie, die es allen ermöglicht, das Gesicht zu wahren. Vor allem
im Wahljahr. Für die Liberalen ist der Beschluss ein kleiner Triumph.
Wie oft doch musste die FDP unter Merkel in den sauren Apfel beißen
und etwa beim Betreuungsgeld kleinbeigeben, um nicht Gefahr zu
laufen, nach einem potenziellen Koalitionsbruch im Nichts zu
verschwinden. Verständlich daher, dass sich Philipp Rösler gestern
einen Seitenhieb auf Merkel nicht verkneifen konnte. Die Kritiker
einer allzu stringenten Gleichstellung von Schwulen und Lesben - vor
allem in der CSU und im konservativen Flügel der CDU - müssen sich
auch nicht vor ihren Wählern fürchten. Sie können sich darauf
berufen, dass ihnen gar keine andere Wahl blieb, als den Beschluss
mitzutragen. Schließlich sind Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts bindend. Und die Christdemokraten, die
schon lange für die steuerliche Gleichstellung von schwulen und
lesbischen Partnerschaften plädieren - beim Parteitag im Dezember
aber nicht gehört wurden? Die können sich jetzt
öffentlichkeitswirksam dafür einsetzen, dass das Steuerrecht nach
Maßgabe aus Karlsruhe "unverzüglich" reformiert wird. Das wiederum
bringt Wählerstimmen im urbanen Klientel, bei dem die Union
Nachholbedarf hat. Dass im Wahljahr die Opposition jubiliert, kann
Bundeskanzlerin Merkel billigend in Kauf nehmen. Sie hat schon viele
"Ohrfeigen" aus Karlsruhe, wie die Opposition den Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts nennt, ziemlich gut weggesteckt. Die Wähler
bleiben der Union dennoch treu - die Union ist auch dem neuesten
ARD-Deutschlandtrend zufolge mit 41 Prozent klar stärkste Kraft.
Merkel ist mit ihrer Strategie bisher gut gefahren und wird davon
auch bis zur Bundestagswahl nicht davon abweichen. Bis dahin regiert
das Bundesverfassungsgericht für sie weiter.
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