(ots) - Wäre es nach dem Willen der Mehrheit der
Deutschen gegangen, so wäre der gestrige Tag anders ausgegangen. Und
doch wieder nicht: Vor gut einer Woche hatten 54 Prozent der
Bundesbürger in einer repräsentativen Umfrage gesagt, sie wünschten,
dass die Kläger gegen ESM und Fiskalpakt in Karlsruhe Recht bekämen
und beide Instrumente noch einmal rechtlich geprüft werden. Nun hat
das Verfassungsgericht die Klagen abgewiesen. Die Bedenken der Kläger
- und damit wohl auch die der Befragten - haben sie aber dennoch
aufgegriffen. Es ist ein "Ja, aber"-Urteil geworden, wie Karlsruhe es
in europäischen Fragen gerne fällt. Und das ist gut so. Schon im
Vorfeld ist eines klar gewesen ist: Ein Nein zum Rettungsschirm hätte
kaum absehbare Folgen gehabt. Für Deutschland und für die gesamte
Europäische Union, vielleicht sogar weltweit. Die Regierung Merkel
hätte sich vor dem Scherbenhaufen ihrer Euro-Politik gesehen, die
Märkte hätten ein Ausscheren der größten Volkswirtschaft der Eurozone
aus der bisherigen Linie als Zusammenbruch der Gemeinschaftswährung
verstanden und dementsprechend reagiert. Kurzum: Alles andere als ein
"Ja, aber ..." aus Karlsruhe hätte fatale Folgen gehabt. Die
Bundesregierung hat also irgendwie gewonnen, ja. Aber die Gegner
auch. Deutschland darf nicht mit mehr als 190 Milliarden Euro für die
Eurorettung haften. Karlsruhe hat klargestellt, dass die Obergrenze,
die zwar immer wieder genannt wird, eben nicht klar genug gesetzt
ist. Berlin muss also nachbessern. Und für den Fall, dass die rote
Linie einmal doch wieder nicht die letzte ihrer Art gewesen sein
sollte, geht nichts ohne die Zustimmung des Parlaments. Auch das
haben die Richter in Rot gestern Merkel und Co. ins Hausaufgabenheft
geschrieben. Kein Wunder, dass selbst die Linke, die ESM und
Fiskalpakt bekämpft, das Urteil für gut befindet. Das mit dem "Ja,
aber" stimmt jedoch auch in ganz anderer Hinsicht. Denn selbst wenn
es eine Obergrenze für die deutsche Beteiligung an der Eurorettung
gibt, so steht die Eurozone seit vergangener Woche vor der Situation,
dass die Europäische Zentralbank künftig selbst Anleihen kränkelnder
Euro-Staaten kaufen darf - und das in unbegrenzter Höhe. Was nichts
anderes heißt, als dass die EZB Geld druckt, und dass damit auch der
deutsche Steuerzahler in unbegrenzter Höhe für die Schulden anderer
haften wird. Und das ohne Kontrolle durch ein gewähltes Parlament.
Zwar will Karlsruhe noch prüfen, ob dieses Vorgehen rechtens ist.
Doch bis dahin könnte schon viel Geld verbrannt worden sein. Die
Ironie an der Sache ist, dass die EZB sich zu ihrer
Blankoscheck-Entscheidung vielleicht deswegen gezwungen sah, weil die
deutschen Klagen das Inkrafttreten des ESM verzögert haben, und die
Währungshüter fürchteten, ohne Garantieaussage könnte der Euro noch
stärker unter Druck geraten. Daraus abzuleiten, dass die
Entscheidungen zur Krisenbekämpfung möglichst schnell durchgeboxt
werden sollten, wäre aber falsch. Und so ist es zwar schön und gut,
wenn EU-Kommissionspräsident Barroso seine Pläne für die
Weiterentwicklung der Gemeinschaft skizziert, weil er damit eine
Richtung vorgibt, ein Ziel, wohin die Reise führen soll. Aber für den
Moment ist es fatal, weiter aufs Gaspedal zu drücken. Die Europäische
Gemeinschaft ist ein Konstrukt aus Staaten, und diese sind für die
Menschen da, nicht umgekehrt. Die verbreitete Skepsis gegenüber der
EU und der Euro-Rettung hat viel damit zu tun, dass kaum einer mehr
versteht, wofür er mit Steuergeldern in dreistelligen
Milliardenbeträgen haften soll. Die eingangs genannte Umfrage ist ein
Symptom dafür. Die 37 000 (!) Bürger, die sich der Beschwerde des
Vereins "Mehr Demokratie" vor dem Verfassungsgericht angeschlossen
hatten, ebenso. Nicht nur in Berlin sollten sich die Verantwortlichen
dies vor Augen halten. Gegen ein Europa, auf das die Bürger keine
Lust mehr haben, helfen keine Rettungsschirme mehr.
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