PresseKat - BERLINER MORGENPOST: Nie zuvor war das Unheil präsenter - Leitartikel

BERLINER MORGENPOST: Nie zuvor war das Unheil präsenter - Leitartikel

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(ots) - Wie geht korrektes Gedenken? Es gibt Konzerte,
Ansprachen, Denkmäler, Archive und das böse Wort vom "Kranzabwurf".
Gibt es überhaupt ein angemessenes Erinnern, das nicht sogleich
ironisiert oder zynisch auseinander genommen wird? Die
Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt am
heutigen Donnerstag bietet die Chance, sich der bisweilen
dargebrachten Erinnerungs-Routine zu entziehen. Es geht im
Konzerthaus am Gendarmenmarkt nicht um Unheil, das Jahrzehnte
zurückliegt, sondern um Hinrichtungen aus Hass, die mitten in diesem
Land bis vor kurzem verübt wurden. Morde, die kaum jemand für denkbar
hielt. Nie zuvor war das Unheil präsenter, selten seit dem Ende des
Nationalsozialismus stand zugleich die Verantwortung aller Bürger zur
Debatte: Niemand kann mit dem Finger auf eine kleine Gruppe
Verwirrter zeigen. Nein, die Mordserie des Zwickauer Killerkommandos
hat nahezu allen Bürgern schmerzhaft gezeigt, wie lebendig Vorurteile
und Schuldzuweisungen in nahezu jedem von uns sind. Hand aufs Herz:
Wer hat nicht der vorherrschenden Interpretation geglaubt, dass es
sich um Bandenkriege ethnischer Gruppen handelte? Nicht nur die
Medien, viele Menschen, egal welcher Couleur, sind in diese gruselige
Stereotypen-Falle getappt - eine peinliche, eine beschämende, eine
quälende Erkenntnis. Natürlich gibt es Gründe, ein staatlich
verordnetes Großgedenken mit 1200 Teilnehmern als unangemessen zu
kritisieren, als nationale Entschuldigungs-Show oder als falsches
Signal an die Opfer. Heftig wird sicher auch darüber debattiert, dass
die Veranstaltung ja eine Idee des zurückgetretenen Bundespräsidenten
war und die Kanzlerin nun gleichsam Ersatz fürs Staatsoberhaupt sei.
Man wird auf die Rolle von Interims-Präsident Horst Seehofer
verweisen und jedes Zucken des designierten neuen Staatsoberhauptes
Joachim Gauck beobachten. Doch ausnahmsweise geht es an diesem Morgen




nicht um Politik, nicht um Images, Ränge und Rollen. Es geht um
Gedenken an die Opfer und ehrliches Mitgefühl für die
Hinterbliebenen. Es wäre viel erreicht, wenn die Veranstaltung
Glaubwürdigkeit ausstrahlte. Obgleich die Spitzen des Staates und
allerlei Würdenträger erwartet werden, fällt der zentrale Part dieser
Gedenkfeier Semiya Simsek und Gamze Kubasik zu. Die beiden Töchter
von Mordopfern werden der Nation einen Einblick in die Gefühlswelt
von Menschen geben, die jahrelang versuchten, Recht zu bekommen, die
sich fremd und allein fühlten, die mit dem vorherrschenden Bild von
anständigen Deutschen nicht viel anzufangen wussten. Die beiden
jungen Frauen hätten Gründe genug, ein Land zu verdammen, das ihren
Vorfahren als gelobt erschien. Es wäre leichtfertig, diese
Gedenkfeier als einen Schlusspunkt zu begreifen, ganz im Gegenteil:
Schweigendes Gedenken bietet vielmehr die Chance zur Reflexion, in
welcher Gesellschaft wir leben wollen. Es sind nicht die
Unterschiede, sondern Gemeinsamkeiten, die das Land zusammenhalten.



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Datum: 22.02.2012 - 21:14 Uhr
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