(ots) - Seit Anfang der 90er Jahre ist eine zunehmend
wettbewerbliche Ausrichtung des Gesundheitswesens in Deutschland zu
beobachten. Hilfsangebote werden als Dienstleistungen begriffen.
Versicherte werden als Kunden betrachtet, die mit ihrer Suche nach
Qualität den Wettbewerb um die beste Versorgung befördern. Mehr und
mehr wird zwischen solidarisch abgesicherten Grundleistungen und
privaten Ergänzungsleistungen unterschieden.
Auf dem Hintergrund der christlichen Sozialethik und der
diakonischen Verantwortung der Kirche legt der Rat der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD) eine Denkschrift vor, die nicht nur das
Gesundheitssystem im engeren Sinne, sondern auch die Fragen der
Gesundheitspolitik und schließlich die Verantwortlichkeit der
Gemeinden in den Blick nimmt, Kriterien für eine gute
Gesundheitspolitik entfaltet und Empfehlungen für die zukünftige
Gestaltung gibt. Die Denkschrift mit dem Titel "'Und unseren kranken
Nachbarn auch!' Aktuelle Herausforderungen der Gesundheitspolitik"
wurde am heutigen Montag, 17. Oktober, in Düsseldorf durch den
Vorsitzenden des Rates der EKD, Präses Nikolaus Schneider, und den
Vorsitzenden der Ad-Hoc-Kommission des Rates der EKD, Prof. Dr. Peter
Dabrock (Erlangen), der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Denkschrift rufe die theologischen und sozialethischen
Grundlagen unseres Gesundheitswesens in Erinnerung, so der
EKD-Ratsvorsitzende. "Sie erinnert an den Zusammenhang von
Gottesebenbildlichkeit und Menschenwürde, an die Verschränkung von
Gottes- und Nächstenliebe, wie sie in Christi Gleichnis vom
Weltgericht zum Ausdruck kommt: 'Was ihr getan habt einem von diesen
meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." (Mt 25.40). Die
Denkschrift erinnere an die Bedeutung sozialer Teilhabe, die in den
Krankenheilungen Jesu sichtbar werde.
Es sei wichtig, auch bezogen auf die begrenzten wirtschaftlichen
Ressourcen das rechte Maß nicht aus dem Blick zu verlieren, so Präses
Schneider. Aber: "Wirtschaftliche Kalküle alleine reichen nicht aus,
wenn es um die Gestaltung von Gesundheitspolitik geht." So müsse etwa
im Arzt-Patienten-Verhältnis ebenso wie in den Arbeitsabläufen der
Pflegekräfte der Stellenwert der Beziehungszeit gestärkt und diese
Stärkung auch ökonomisch gewollt werden. "Derzeit haben sich, gerade
auch in der Pflege, die Arbeitsabläufe so verdichtet, dass immer
weniger Zeit für das persönliche Gespräch, für Anteilnahme und
Begleitung bleibt", so der EKD-Ratsvorsitzende.
Dies gelt angesichts der demographischen Entwicklung in besonderer
Weise für die Pflege. "Der Pflegebedürftigkeitsbegriff muss endlich
so beschrieben werden, dass er auch soziale und kommunikative Aspekte
und psychische Notsituationen zum Beispiel bei einer Demenzerkrankung
angemessen berücksichtigt", forderte Präses Schneider. "Deshalb muss
die Pflegeversicherung finanziell so dynamisiert werden, dass die
gesetzlichen Leistungen bei steigenden Tariflöhnen und der
allgemeinen Preisentwicklung verlässlich bereitgestellt werden
können, und sie muss alle Einkommensarten einbeziehen."
Neben aktuellen Empfehlungen lenke die Denkschrift den Blick auch
auf größere Zusammenhänge, erklärte der Vorsitzende der
Ad-Hoc-Kommission, Prof. Dr. Peter Dabrock. "Gerade wenn man
Gesundheitspolitik nicht nur als Geschäftsfeld eines gleichnamigen
Ministeriums begreift, sondern sie intensiver verknüpfen würde mit
anderen zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitäten,
erschlössen sich nachhaltig neue Ressourcen zur Verbesserung des
gesundheitlichen Status der Menschen im Lande - und so auch zum
Vorteil für die klassische Gesundheitspolitik. Mit der vorliegenden
Denkschrift bringt die Evangelische Kirche ihre feste Überzeugung zum
Ausdruck: Die ohne Zweifel großen Herausforderungen der
Gesundheitspolitik sind nur zu meistern, wenn endlich der Blick über
die klassischen gesundheitspolitischen Handlungsfelder hinaus
geweitet wird." So fordere die Denkschrift, auch Bildungsfragen,
Familienförderung oder Fragen der Quartiersentwicklung in den Diskurs
über Gesundheitspolitik einzubeziehen. "Umgekehrt bedeutet dies auch:
In den genannten Bereichen schlummern bisher noch ungenutzte
Ressourcen für ein tragfähiges und menschengerechtes
Gesundheitssystem."
Die Herausforderungen seien gewaltig, so Dabrock. Die Krise biete
aber auch die Chance, sich der "Potentiale jenseits reiner
Marktorientierung zu erinnern, die wir auch haben und nutzen sollten:
Solidarität und Mitmenschlichkeit. Die vielfältigen Möglichkeiten,
die die EKD benennt, Menschen wieder mehr in den Mittelpunkt der
Gesundheitspolitik zu rücken, bieten starke Impulse für ein gerechtes
und nachhaltig tragfähiges Gesundheitssystem. Mit der vorliegenden
Denkschrift kann daher eine innovative Gesundheitspolitik möglich
gemacht werden."
Die Denkschrift des Rates der EKD "'Und unseren kranken Nachbarn
auch!' Aktuelle Herausforderungen der Gesundheitspolitik" ist
erschienen im Gütersloher Verlagshaus (ISBN 978-3-579-05964-8) und
ist zum Preis von EUR 5,99 im Buchhandel zu beziehen. Sie ist auch im
Internet nachzulesen unter
http://www.ekd.de/EKD-Texte/gesundheitspolitk.html
Die Statements können Sie ebenfalls im Internet nachlesen:
http://www.ekd.de/vortraege/2011/111017_schneider_vorstellung_gesu
ndheitsdenkschrift.html
http://www.ekd.de/vortraege/2011/20111017_dabrock_vorstellung_gesu
ndheitspolitik.html
Hannover/Düsseldorf, 17. Oktober 2011
Pressestelle der EKD
Silke Römhild
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