(ots) - Krisensitzung bei den Berliner Sozialdemokraten,
von einvernehmlicher Einigung keine Spur: Am gestrigen Dienstag hat
SPD-Landeschef Michael Müller die Kreisvorsitzenden zu einer
Sondersitzung zusammengerufen, um darüber zu diskutieren, warum Thilo
Sarrazin nun doch in der SPD bleiben darf, warum die Anträge auf
Parteiausschluss am Gründonnerstag überraschend zurückgezogen worden
sind. Die Sondersitzung war auch nötig, weil gerade die, die in den
vergangenen Monaten auf Sarrazin und die von ihm vertretenen
Integrationsthesen so massiv geschimpft hatten, ihre Meinung so
abrupt geändert haben. Und dies, ohne sich in den Parteigremien
rückzuversichern. Sicherlich, über Sarrazins Thesen und auch über
seine Erklärung vor der Schiedskommission kann man trefflich
streiten. Im Grunde hat der ehemalige Berliner Finanzsenator keine
seiner Positionen zurückgenommen. Es ist also verständlich, dass
Sarrazins Kritiker unzufrieden sind. Aber genauso verständlich ist,
dass die SPD-Vertreter auf eine Einigung gedrängt haben. Denn zu groß
war die Gefahr, dass sich das Ausschlussverfahren viele Monate
hinziehen würde und Sarrazin am Ende doch in der SPD verbleiben
dürfte. Und wer weiß schon, ob ein quälendes Verfahren oder gar ein
Rauswurf Sarrazins aus der SPD am Ende Klaus Wowereit nicht zwei bis
drei Prozentpunkte bei der Abgeordnetenhauswahl gekostet hätte. Zwei
bis drei Prozentpunkte - die können bei dieser Wahl entscheidend
sein, wo die Grünen in Umfragen schon vor der SPD liegen. Am Fall
Sarrazin und dem heftigen, öffentlich ausgetragenen Streit wird aber
noch etwas deutlich: die Zerrissenheit der Berliner SPD. Weder Klaus
Wowereit - der in den vergangenen Tagen lieber geschwiegen hat - noch
Landes- und Fraktionschef Michael Müller haben ihre Leute in Griff.
Etliche Kreisvorsitzende und Abgeordnete schimpfen und ereifern sich
jetzt über Sarrazin, entschuldigen sich für den "Zickzackkurs der
Partei". Dass sie damit der SPD noch mehr schaden, scheint ihnen
gleichgültig zu sein. Aber das war auch in anderen Fällen schon so:
Beim Streit über den Ausbau der A100 konnte Wowereit auf
einem Parteitag im Juni 2010 eine Niederlage nur mit fünf Stimmen
Mehrheit verhindern, und dies auch nur, weil er sein ganzes
politisches Gewicht in die Waagschale geworfen hatte. Finanzsenator
Ulrich Nußbaum wäre Anfang des Jahres von der SPD-Fraktion fast zum
Rücktritt aufgefordert worden, weil er die Berliner Immobilienholding
(BIH) verkaufen wollte. Auch dies konnte Wowereit nur abwenden, indem
das Verkaufsverfahren wegen angeblich mangelnder Transparenz bei den
Interessenten ganz offiziell vom Senat gestoppt wurde. Mehr noch: In
der SPD-Fraktion werden intern jetzt schon Posten für die Zeit nach
der Wahl verteilt - ohne dass Müller darauf Einfluss hätte. Und nur
wenige SPD-Vertreter glauben, dass Wowereits und Müllers Aussage, man
werde nicht als Juniorpartner unter den Grünen in Berlin
weiterregieren, über den Wahltag hinaus Gültigkeit behält. Die
Berliner SPD hat sich verändert, die Parteilinken sind inzwischen
deutlich in der Mehrheit und geben den Kurs vor. Wie im Streit über
Thilo Sarrazin.
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