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Mittelbayerische Zeitung: Trotz aller Zweifel / Das Gericht spricht Gustl Mollath frei, weil es das muss. Sein Fall bleibt dennoch eine Mahnung für die Justiz. Leitartikel von Pascal Durain

ID: 1096391

(ots) - Nur zwei Stunden dauert die Urteilsbegründung.
Zwei Stunden für 15 Verhandlungstage, Dutzende Zeugen und noch mehr
Vorwürfe. Zwei Stunden, um eine Mammutaufgabe zu stemmen: Das
Vertrauen in die Rechtssprecher wiederherzustellen. Und das ist
gelungen. Ob es dem Angeklagten selbst nun gefällt oder nicht. Denn
nun ist klar: Auch die bayerische Justiz erkennt Unrecht an - Richter
haben kein Recht darauf, dass ein falsches Urteil bestehen bleibt.
Schon das sorgt für Rechtsfrieden. Dass Gustl Ferdinand Mollath
freigesprochen wird, daran gab es schon vor dem ersten Tag keine
Zweifel. In diesem Fall erlaubt die Strafprozessordnung - nach
vorherrschender Meinung unter Juristen - keinen anderen Ausgang. Wer
einmal freigesprochen wurde, darf in einem weiteren Verfahren nicht
schlechtergestellt werden. Das Gericht entschied so, wie es nach
einer zähen Beweisaufnahme, Taten, die mehr als zehn Jahre
zurückliegen und schweigenden Protagonisten nur entscheiden konnte:
Wir haben Zweifel. In dubio pro reo. Mollath ist nicht unschuldig,
wir können aber nicht ausschließen, dass er damals schuldunfähig war,
weil er eine psychische Störung gehabt haben könnte. Und jemand, der
schuldunfähig gewesen sein könnte, den können wir nicht schuldig
sprechen. Die sechste Strafkammer des Landgerichts Regensburg hat ein
Urteil gesprochen, dass wichtig war - ob man sich nun zu den
Unterstützern des 57-Jährigen zählt oder nicht. Richterin Elke Escher
machte es sich zu keiner Sekunde leicht, so gründlich wurde eine
Anklage wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und
Sachbeschädigung wohl noch nie aufgerollt. Aber im Kern ging es hier
um die Frage: Wie geht die Justiz mit ihren Fehlern um? Und: Ist man
bereit, daraus zu lernen? Das ist viel verlangt von einer einzelnen
Kammer. Escher hat ihren Vorgängern, den Berufsjuristen im Fall




Mollath, Fehler nachgewiesen, sie verkündet und so amtlich gemacht.
Mehr als sieben Jahre saß Mollath in psychiatrischen Krankenhäusern -
das Gericht wertete die Unterbringung als unzulässig, also als
erfahrenes Unrecht. Darum dürften sich die früheren Richter nicht
über dieses Urteil freuen, darum wird Mollath entschädigt, auch wenn
man sich mit Geld keine Zeit zurückkaufen kann. Die Kammer bewies
ihre Unabhängigkeit - auch weil es dem schier unendlich großen Druck
der Öffentlichkeit standhielt. Der Angeklagte landete auf den Boden
der Tatsachen. Das Gericht ließ Mollath immer wieder gewähren, ihn
weit ausholen, Dutzende Suggestivfragen stellen, die nur seiner
Profilierung dienten. Zu den Vorwürfen sagte er - außer "Leider habe
mich gewehrt" und "Ich habe diese Taten nicht begangen" - nichts. Es
wurde immer wieder verdeutlicht: Strafprozess bleibt Strafprozess,
Schauprozesse führen wir nicht - auch wenn der Angeklagte das
fleischgewordene Mahnmal der Justiz ist, und jedes seiner Worte für
Schlagzeilen sorgt. Mollath hat das Gericht zwar mit einem Groll,
aber als moralischer Sieger verlassen. Denn sein Fall hat die Justiz
verändert. Mollaths Geschichte hat Fehler im System der Strafjustiz
offenbart - etwa die vorschnelle Gutachtergläubigkeit von Richtern,
das vorschnelle Plädieren von Verteidigern auf Schuldunfähigkeit
(Hauptsache Freispruch), den rechtsfreien Raum des Maßregelvollzugs.
Reformen sind unterwegs. Der Nürnberger hat dafür gesorgt, dass das
Schicksal von all denen, die täglich in forensischen Kliniken einen
Albtraum ohne Ausweg ertragen, nicht länger ignoriert wird. Schon
deswegen darf sein Name jetzt nicht in Vergessenheit geraten - so
seltsam er ist, und trotz aller Fehler, die er gemacht hat. Und trotz
aller Zweifel, die an seinem Fall bleiben.



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Datum: 15.08.2014 - 18:22 Uhr
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