Wolfgang Herles hat ein überflüssiges und enttäuschendes Buch geschrieben
(firmenpresse) - Dies ist ein überflüssiges und enttäuschendes Buch. Überflüssig, weil uns „Neurose D“ zwar eine „andere Geschichte Deutschlands“ verspricht, aber lediglich altbekannte Gemeinplätze verbreitet. Enttäuschend, weil man von dem Autor, dem Leiter und Moderator des Kulturmagazins „aspekte“ im ZDF, eigentlich Erfrischenderes gewohnt ist. Insbesondere sein letztes Werk „Nun wählt mal schön“ hat man mit deutlich größerem Vergnügen gelesen. Herles erzählt auf knapp 300 Seiten noch einmal die Geschichte von der Besatzungszeit 1945 bis 1949, über die Bonner hin zur Berliner Republik. Irgendetwas Neues, das man in anderen Büchern über diese Zeit nicht finden könnte, liefert der Autor nicht – er beglückt uns nur mit seiner Meinung, die man teilen mag oder auch nicht.
Schlechtgelaunt versucht Herles darzulegen, dass die vergangenen 50 oder 60 Jahre eben keine Erfolgsgeschichte gewesen seien. Nun gut, alles ist sicher nicht prima gelaufen. Doch wenn man gerecht bleibt und die alte und um die neuen Länder erweitere Republik mit dem Kaiserreich, der Weimarer Republik oder dem „Dritten Reich“ vergleicht, dann ist eben doch nicht alles schief gelaufen in dieser Zeit. Herles gibt hier nicht den viel bemühten „Querdenker“, sondern den journalistischen Besserwisser, der zu allem eine Meinung hat – und selbstverständlich die richtige.
Allzu bemüht ist auch seine These, dass die Deutschen quasi im Kollektiv allesamt neurotisch seien. Herr Herles hat sich irgendwann hingesetzt, nach einer originellen These gesucht und dann auf Biegen und Brechen sein Büchlein auf diese These hin geschrieben. Zumindest hat man den Eindruck beim Lesen, das einem von Seite zu Seite schwerer fällt. Ja, wir wissen, dass „die“ Deutschen ein komisches Verhältnis zum Staat haben, die Freiheit oft geringer achten als Sicherheit und Gerechtigkeit. Wir wissen, dass bei der Reform des Rentensystems einiges aus dem Ruder gelaufen ist, dass Helmut Kohl bei der Herstellung der deutschen Einheit nicht alles richtig gemacht hat und dass wir ein demographisches Problem haben. Doch das haben wir alles an anderer Stelle schon wesentlich origineller und vor allem nicht so oberflächlich gelesen. Und mit der Nation haben wir selbstverständlich ein Problem, wobei einen manchmal der Eindruck beschleicht, dass dies vor allem für Journalisten und so genannte Intellektuelle gilt.
Und selbst so richtig böse und polemisch wird der an den deutschen Neurosen leidende Herles nicht. Am Ende schreibt er zum Beispiel: „Deutschland prämiert also hohe Geburtenraten in der Unterschicht“. Taugt das zum Aufreger? Wohl kaum, weil die meisten Leser auf Seite 268 schon eingeschlafen sein werden. Und letztlich wird man auch den Verdacht nicht los, dass der erfahrene Publizist, Buchautor und Fernsehmann dieses Werk nur zu Ende geschrieben hat, weil er es irgendwann mal angefangen hat. Der Piper-Verlag hat das Buch gedruckt. Er hätte es nicht tun müssen. Wer viel freie Zeit hat, mag es lesen.
Wolfgang Herles: Neurose D. Eine andere Geschichte Deutschlands. Piper-Verlag: München 2008. 303 Seiten, 19,90 Euro.