(ots) - Jeder fünfte Deutsche hält es einer aktuellen
Umfrage zufolge für möglich, dass in zwanzig Jahren keine gedruckten
Bücher mehr erscheinen, sondern nur noch digitale E-Books, die man am
Bildschirm liest. Aber es ist auch schon fast zwanzig Jahre her, dass
zum ersten Mal vom "Ende der Gutenberg-Galaxis" die Rede war. Und
heute? Am Tag, an dem die 61. Frankfurter Buchmesse eröffnet wird,
sieht es so aus, als ob das Buch, wie wir es seit einem halben
Jahrtausend kennen, nicht nur die tödlichen Prognosen überleben wird,
sondern auch deren Urheber. Nach wie vor werden gesellschaftliche
Debatten durch Bücher ausgetragen oder angestoßen. Dabei geht es eben
nicht nur um weitgehend interne Diskussionen des Politbetriebs, wie
sie Roland Koch mit seinem "Konservativ"-Buch betreibt, das gestern
von der Bundeskanzlerin vorgestellt wurde. Wer weiß, vielleicht hat
Angela Merkel dieses Buch ja sogar schon gelesen - anders als den
Bestseller des Jahres: die gedruckten Sorgenfalten und
Untergangsprognosen des selbst ernannten Intelligenz- und
Integrationsexperten Thilo Sarrazin. Ob schlau kalkuliert oder bloß
irgendwie passiert: Sarrazin hätte den Verkauf seines Buches gar
nicht besser beschleunigen können als mit seiner unseligen Äußerung
über jüdische Gene. Überhaupt hat sein Verlag alles richtig gemacht.
In der Branche hängt die Entscheidung darüber, welches Buch gedruckt
wird, immer häufiger davon ab, ob man mit dem Buch zu Beckmann,
Maischberger oder sonst einem Talk eingeladen wird. Sarrazin, der das
mediale Erregungspotenzial stets mit Wonne ausgeschöpft hat,
garantierte Schlagzeilen, und dann ging auch die Medienstrategie auf:
Vorabdrucke eine Woche vor Erscheinen des Buchs in Medien mit
maximaler Reichweite ("Spiegel" und "Bild"), während alle anderen,
die das Buch vorab bekommen hatten, bei Androhung von 50 000
Euro Vertragsstrafe zur Geheimhaltung verdonnert wurden. Auch das
längst eine verbreitete Verlagspraxis, die auf einen
verkaufsfördernden Staudamm-Effekt abzielt - und an Zensur grenzt.
Der wichtigste Effekt von Sarrazins Buch aber dürfte darin bestehen,
dass es sich nicht zuletzt durch seine Verkaufszahlen zu einem
Alarmsignal entwickelt hat: für jenes ungeahnte Vakuum zwischen
Politik und veröffentlichter Meinung auf der einen Seite und den
Sorgen von Otto und Inge Normalleser auf der anderen. Solange Bücher
auch das leisten, werden wir sie brauchen. Und da ist es dann schon
wieder egal, ob das Papier raschelt oder die Taste klickt. Schon bald
wird es beides nebeneinander geben. Und das wohl noch für lange Zeit.
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