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FZ: "Sarrazin-Partei wäre Attraktion für Spinner aller Couleur" _ Parteiforscher Jürgen Falter im Interview der "Fuldaer Zeitung"

ID: 257742

(ots) - Kaum etwas fürchten etablierte Parteien mehr als die
Gründung einer rechtspopulistischen Sarrazin-Partei. Doch der Mainzer
Parteienforscher Jürgen W. Falter ist sich im Interview mit unserer
Zeitung sicher: Eine solche Partei hätte keinen Erfolg in
Deutschland.

Welchen Erfolg würden Sie einer potenziellen Sarrazin-Partei
bescheinigen? Fast keinen! Zu einer Parteigründung gehört noch ein
bisschen mehr als nur Unwillen im Volk. Sie braucht einen
charismatischen Führer, der sie repräsentiert - und das ist Sarrazin
ganz sicher nicht. Er ist eher ein Anti-Charismatiker, kein deutscher
Pim Fortuyn. Außerdem brauchte die Partei ein organisatorisches
Kerngerüst und nicht zu vergessen auch Geld.

Was haben Sie gedacht, als Sie Sarrazins Thesen zum ersten Mal
gehört haben? Ich kenne ja seine Kritik an der Integrationspolitik,
das hat mich nicht gewundert. Ungewöhnlich war dann allerdings doch
die biologistische Wende hin zu genetischen Faktoren. Verärgert war
ich nicht, weil ich ein strikter Anhänger des freien Wortes und
Gegner der Zensur durch Political Correctness bin. Ich finde jede
kühne These akzeptabel, wenn sie sachlich diskutiert werden kann.

Warum würden Menschen eine Sarrazin-Partei wählen? Das liegt an
der großen Diskrepanz zwischen der veröffentlichten und der weit
verbreiteten, aber von der politischen Klasse nicht aufgegriffenen
Meinung der Bürger, der immer wieder auftauchenden Kluft zwischen
Eliten und Volk. Eine wachsende Zahl von Deutschen hat das Gefühl,
von der Politik nicht ausreichend repräsentiert zu werden.

Laut einer Umfrage würden besonders viele Linke Sarrazin wählen.
Das verwundert mich nicht. Viele dieser Menschen erleben das Ergebnis
der unvollkommenen Integrationsbemühungen Tür an Tür. Außerdem: Die
Anzeichen dafür waren schon lange da. Zwischen 1989 und 1994 hat die




SPD genausoviele Stammwähler an die Republikaner verloren wie die
CDU. Für die SPD gibt es ganz klar einen Wähleranteil mit
fremdenkritischen Positionen, die ihre Wähler aus ihrem
Alltagserleben heraus entwickeln.

Welche Themen würde eine Sarrazin-Partei abdecken, die in den
Volksparteien derzeit zu kurz kommen? Das wäre sicher eine
restriktive, ausschließlich auf die Bedürfnisse der Deutschen
ausgerichtete Einwanderungspolitik, die formal ungebildete Ausländer
draußen halten würde. Den im Land lebenden Migranten würden sicher
strengere Regeln auferlegt, etwa, was den Spracherwerb oder Kinder im
Schwimmunterricht angeht.

Trauen Sie einer solchen Partei mehr zu, als eine Protestpartei zu
sein? Eine Sarrazin-Partei wäre sicher eine enorme Attraktion für
Spinner aller Couleur und Chaoten jeder Richtung. So wie die
Vereinigungen von Gabriele Pauli und Ronald Schill würde sie
allerdings wohl schnell zerbrechen an den inneren Widersprüchen ihrer
Mitglieder.

Ist das Ausschlussverfahren der SPD der richtige Umgang mit einem
Querulanten wie Sarrazin? Ich halte das für nachvollziehbar, aber
taktisch falsch. Ich hätte eine intensivere Diskussion über und mit
Sarrazin empfohlen. Ein Parteiausschluss ist für die SPD
kontraproduktiv und treibt die schon angesprochene Spaltung des
Volkes voran. Außerdem halte ich Sarrazin nicht für einen
Querulanten: Er glaubt das, was er schreibt, tatsächlich und steht
voll hinter dem - auch, wenn er sicher einen großen Hang zur Polemik
hat.

Kann man über Sarrazin eigentlich diskutieren? Sicher, man sollte
und man kann über ihn oder genauer: seine Thesen diskutieren. Es
gilt, bei seinen Thesen einen inneren Kern auszumachen und den dann
darauf abzuklopfen: Was ist richtig und was nicht. Tut man das nicht,
überlässt man das Feld den rechten Populisten.

Zeigt der Fall Sarrazin auf, dass das klassische
Rechts-Links-Parteienschema zunehmend verschwimmt? Ich denke, diese
Aufteilung ist immer noch von Bedeutung. Den diversen politischen
Strömungen liegen unterschiedliche Gesellschaftsbilder zu Grunde.
Zentraler Aspekt ist dabei: Wie soll Ungleichheit behandelt werden?
Soll der Staat hier massiv eingreifen oder ist das etwas
Natur-Gegebenes, was vielleicht sogar so bleiben soll.

Wie sollte die Bundesregierung mit integrations-überforderten
Deutschen umgehen? Zuallererst: Mehr für die Integration tun. In
Absprache mit den Ländern das Konzept "Fördern und Fordern" stärker
forcieren. Das bedeutet konkret: Mehr Ganztagsschulen einrichten, um
den Bildungsmangel zu neutralisieren, ein oder zwei Vorschuljahre wie
in Frankreich zur Pflicht machen und unsere kulturellen Vorstellungen
auch in der Schule stärker durchsetzen. Alle Kinder sollten an
Klassenfahrten und dem Schwimm- und Sportunterricht teilnehmen. Gut
finde ich den in Hessen schon früh verpflichtenden Sprachunterricht.
Außerdem sollten Migranten sich stärker in Vereinen einbringen,
können wobei ich weiß, dass das nicht immer ganz einfach ist. Ich
kann mich da an meine Studentenzeit erinnern, als ein Japaner
Mitglied in einer Studentenverbindung werden wollte. Die Alten Herren
haben das abgelehnt, da es sich um eine "deutsche"
Studentenverbindung handele. Wir brauchen auf beiden Seiten
gesellschaftliche Vorbilder, an denen sich die Menschen orientieren
können.

Interview: Julia Weigelt



Pressekontakt:
Fuldaer Zeitung
Julia Weigelt
Telefon: 0661 280-442
julia.weigelt(at)fuldaerzeitung.de


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Datum: 14.09.2010 - 23:05 Uhr
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