(ots) - Es ist Weihnachten, und es ist eine gute 
abendländische Tradition, dass man sich an Weihnachten etwas wünschen
darf. Wie das Kind, das mit großen Augen auf die verpackten Geschenke
schaut. Ach, so ein Kindskram. Wir leben doch in einer 
Erwachsenenwelt! Jedenfalls in einer Welt, die von Erwachsenen 
dominiert wird. Also lautet die große Frage: Wie naiv darf ein 
Erwachsener noch sein, um ernst genommen zu werden? Wie naiv war 
Martin Luther King, als er bekannte: "I have a dream!" Ich habe auch 
einen Traum. Ich träume von einer Gesellschaft, die sich Klarheit 
darüber verschafft, was "Abendland" bedeutet. Ist es das Abendland 
der tausend Kriege und Barbareien oder ist es das Abendland Immanuel 
Kants, der den Traum einer aufgeklärten Welt träumte? Kant, der 
akribisch Wort an Wort und Werk an Werk aneinanderreihte, teilweise 
schwer verständliche Kost, aber immer mit der lauteren Absicht, den 
Menschen auf sein wichtigstes Werkzeug hinzuweisen, das ihm 
mitgegeben wurde: Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu 
bedienen! Es ist das Abendland des Kosmopoliten Johann Wolfgang von 
Goethe, der niemals auf den Gedanken gekommen wäre, dass die 
abendländische Zivilisation höheren Wert als andere hätte. Seine 
Offenheit gegenüber Neuem und Fremdem, seine Fähigkeit, über das 
Verschiedene hinweg das Gemeinsame zu erkennen - das gehörte zu 
seinen großen Talenten. Heute würde man von Goethes sozialer und 
interkulturellen Kompetenz sprechen. Goethe liebte das Leben, weil es
so vielschichtig ist, und er schätzte den Orient: "Wer sich selbst 
und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind 
nicht mehr zu trennen." Ich liebe das Land, in dem ich lebe, aber ich
hasse Menschenhandel, Kindesmissbrauch, Drogen- und Waffendealer, und
mich stören die hohe Suizidrate und der Analphabetismus. Aber gehört 
all das nicht auch zum Abendland? Vielleicht ist es naiv, von einer 
besseren Welt zu träumen, und der innere Zensor sendet schon ein 
Alarmsignal: albernes Gutmenschentum. Aber hey, es ist Weihnachten. 
Warum also nicht träumen von einem Abendland, in dem sich Menschen 
wie Kant und Goethe wohlgefühlt hätten?
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