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Rede von Außenminister Westerwelle anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 90. Todestag Walther Rathenaus am 24. Juni 2012 in Berlin

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Rede von Außenminister Westerwelle anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 90. Todestag Walther Rathenaus am 24. Juni 2012 in Berlin

(pressrelations) -
An der Gedenkveranstaltung zum 90. Todestag Walther Rathenaus auf dem Waldfriedhof Oberschöneweide nahm auch Außenminister Westerwelle teil.

Es gilt das gesprochene Wort !

Sehr geehrter Herr Staatsekretär,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

"Verschmilzt die Wirtschaft Europas zur Gemeinschaft, so verschmilzt auch die Politik."

Dieser Satz ist hoch aktuell. Tatsächlich ist es fast hundert Jahre her, dass Walther Rathenau ihn niedergeschrieben hat.

Wir sind heute zusammengekommen, um Walther Rathenau anlässlich seines 90. Todestages zu ehren. Wir tun dies an einem würdigen Ort: mein Dank gilt denen, die durch ihre großzügige Unterstützung die Restaurierung der Grabstätte der Familie Rathenau möglich gemacht haben. Mein besonderer Dank gilt der Hermann-von Reemtsma-Stiftung, dem Land Berlin, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und der Walther Rathenau Gesellschaft. Ich freue mich, dass der Kulturstaatsminister und das Auswärtige Amt auch einen Beitrag für die Bundesregierung leisten konnten. Auf diese Weise entsteht hier in neuem Gewand ein sehr angemessener Ort des Einhaltens und der Erinnerung.

Es gibt wohl nur wenige Persönlichkeiten des ausgehenden 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, die so facettenreich und vielschichtig waren wie Walther Rathenau.

Allein ein Blick auf sein Wirken als Industrieller, als Schriftsteller, als Bankier, als Techniker und nicht zuletzt als liberaler Politiker lassen erkennen, dass Walther Rathenau ein Mann vieler Biographien war. Prägend für diese Biographien ist das Bewusstsein vom tiefen Umbruchprozess, der alle Lebensverhältnisse der Zeit ergriff. In seinen Selbstwidersprüchen und in seiner Zerrissenheit ist Rathenau - in den Worten Lothar Galls - "Symbolfigur und Repräsentant der Ambivalenzen einer ganzen Epoche".

Walther Rathenau war Pragmatiker und Visionär. In Zeiten der Krise sah er auch die Chance, und entwickelte gerade dann den Willen zu Reformen und zum Fortschritt. Unbeugsamer Verhandlungswille zeichnete ihn gerade dann aus, wenn die Türen zur Verständigung völlig verschlossen schienen.





Walther Rathenau verkörperte die Politik des Ausgleichs und der Diplomatie. Er steht für Freiheit und Eigenverantwortung, für die Absage an Revanchismus und Radikalismus.

Tief verbittert war er über den Vertrag von Versailles. Wie viele andere Deutsche damals empfand er ihn als ungerecht. Aber er wusste auch: Die politische und wirtschaftliche Rehabilitierung Deutschlands war nur auf dem Verhandlungsweg möglich.

Aus innerster Überzeugung suchte er die Verständigung mit den Westmächten. Gleichzeitig trug er mit Rapallo die politische Verantwortung für ein ganz neues Kapitel deutscher Außenpolitik nach dem Ersten Weltkrieg.

Im Leben und Wirken Walther Rathenaus spiegelt sich der Weg des jüdischen Bürgertums im Deutschland seiner Zeit. Trotz seines rückhaltlosen Einsatzes für sein Vaterland war Walther Rathenau in Deutschland unsäglicher Feindschaft ausgesetzt und wurde zur Zielscheibe politisch-extremistischer Aggression.

Als Rathenau kurz vor seinem Tode einen Journalisten fragte, wieso er in manchen Kreisen so verhasst sei, erhielt er zur Antwort: "Ausschließlich, weil Sie Jude sind und mit Erfolg für Deutschland Außenpolitik betreiben. Sie sind die lebendige Widerlegung der antisemitischen Theorie von der Schädlichkeit des Judentums für Deutschland. Darum sollen Sie getötet werden". Diese schreckliche Prognose erfüllte sich am 24. Juni 1922, heute vor 90 Jahren.

Rathenau wurde ermordet, obwohl oder vielleicht gerade weil er in seinen letzten Lebensmonaten zu einer politischen Integrationsfigur der "Weimar-Deutschen" geworden war. Vielleicht fand die Demokratie von Weimar mit den Trauerfeierlichkeiten zu Ehren Rathenaus, zu denen Hunderttausende zusammenströmten, zum ersten Mal wahrhaft zu sich selbst. Rathenau wurde, um mit dem Historiker Martin Sabrow zu sprechen, parteiübergreifend zum Märtyrer der Deutschen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Wer eine Figur wie Rathenau anschaut, erkennt, wie in einem Spiegel, auch die eigene Gegenwart. Und heute ist Rathenau ein überzeugter Europäer, der seiner eigenen Zeit weit voraus war.

Schon am Vorabend des Ersten Weltkriegs hat er gespürt, dass die europäische Idee Kern deutscher Staatsraison sein muss. Als Unternehmer war ihm bewusst, welchen Beitrag ein Europa offener Grenzen zur Mehrung unseres Wohlstands leisten kann.

Als Unternehmer und Politiker erkannte Rathenau, dass nur Europa die deutsche Frage nach der friedlichen Einbindung des größten Landes in der Mitte unseres Kontinents dauerhaft beantworten kann. Dass trotz Rathenaus europäischer Vision zwei zerstörerische Weltkriege von deutschem Boden ausgegangen sind, gehört zu den größten Tragödien unserer Geschichte.

Heute ist Rathenaus europäisches Vermächtnis nicht mehr aus der deutschen Außenpolitik wegzudenken. Europa ist zum festen Fundament unserer Außenpolitik geworden und es wird so bleiben. Wenn Europa nicht mehr gebracht hätte als Jahrzehnte des Friedens auf unserem Kontinent, es hätte sich schon gelohnt. Europa ist nicht nur die Antwort auf das dunkelste Kapitel unserer Geschichte. Europa ist die Antwort unseres Kontinents auf die Herausforderungen der Globalisierung.

Mehr Europa ist unsere Antwort auf die Krise. Mehr Europa war auch die Antwort Walther Rathenaus. Er hat schon vor einem Jahrhundert erahnt, dass eine immer engere Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik eines Tages hin zu einer politischen Einigung Europas führen kann. Nur ein geeintes Europa ist ein starkes Europa.

Es ist an uns, die europäische Einigung jetzt Schritt für Schritt weiter voran zu treiben. Rathenaus Vermächtnis verpflichtet und ermutigt uns dazu.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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Datum: 25.06.2012 - 10:30 Uhr
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