PresseKat - 'Russische Alternativen - Wendezeiten?'

'Russische Alternativen - Wendezeiten?'

ID: 611132

"Russische Alternativen - Wendezeiten?"

(pressrelations) -
Eingangsstatement des Koordinators fĂŒr die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, Andreas Schockenhoff, bei den 3. Berliner "Chodorkowskij Debatten" am 26. MĂ€rz 2012

-- Es gilt das gesprochene Wort ! -
Lieber Herr FĂŒcks,
liebe Frau Voroshejkina,
sehr geehrte Damen und Herren,

die dritten Berliner "Chodorkowskij-Debatten" ? ich kann nur sagen: wie gut dass wir dieses Format 2011 begrĂŒndet haben! Ich denke, wer hier zugehört hat, war nicht unvorbereitet auf die Entwicklungen, die wir seit den Duma-Wahlen im Dezember 2011 in Russland erlebt haben. Nicolai PetrĂłw, der das Bild eines dysfunktionalen politischen Systems prĂ€sentierte, Natalja SubarĂ©witschs Tabellen, die uns die wachsenden Ungleichgewichte zwischen Zentrum und Regionen klar vor Augen fĂŒhrten und vor allem Maria Lipman, die uns Russlands Staat und Gesellschaft als "geschiedenes Ehepaar" vorstellte, mit einer Zivilgesellschaft, die zunehmend neue Wege fĂŒr Engagement, AktivitĂ€t und Vernetzung findet ? das alles lĂ€sst uns die Proteste und Massendemonstrationen der letzten Monate besser verstehen. Sie sind eben nicht aus dem Nichts entstanden, sondern Ausdruck einer wachsenden Entfremdung zwischen "Macht" und Gesellschaft, aber auch einer verĂ€nd erten Gesellschaft, die nach Jahren der politischen Apathie wieder aktiv geworden ist, genug hat von unerfĂŒllter Modernisierungsrhetorik, von Stagnation und Korruption und die nach persönlichen Freiheiten nun politische Rechte einfordert.

DafĂŒr, also um Anschluss an den aktuellen Diskurs der russischen Politik- und Wirtschaftsexperten zu erhalten, haben wir mit der Heinrich-Boell-Stiftung dieses Format gegrĂŒndet ? keinen Moment zu frĂŒh, wie sich gezeigt hat. Drei Wochen nach den PrĂ€sidentschaftswahlen ist dies wieder ein wichtiger Zeitpunkt, um gemeinsam ĂŒber Russlands Alternativen nachzudenken. Sind es Wendezeiten? Eines ist zumindest sicher: es sind Zeiten, die Russland schon heute nachhaltig verĂ€ndert haben. Auch wenn die Menschen weniger auf die Straßen gehen, ist es so, dass "die Paste nicht mehr in die Tube zurĂŒck kann", wie man mir bei meinen GesprĂ€chen in Moskau immer wieder erklĂ€rt hat. Wir haben friedliche und fröhliche Massendemonstrationen gesehen. Wir haben Wahlen mit transparenten Urnen, zehntausenden von Webcams, vor allem aber mit rund 30.000 freiwilligen Wahlbeobachtern erlebt. Aber auch einen Ex-Finanzminister, der auf einer Großdemonstration auftritt un d beim Russland-Kongress der CDU/CSU Fraktion letzte Woche das neue Engagement des russischen BĂŒrgertums lobt - und einen Oligarchen, der bisher ganz andere Schlagzeilen machte und als PrĂ€sidentschaftskandidat nun 8 Millionen WĂ€hlerstimmen auf sich vereinigte. Und was vielleicht am meisten in die Zukunft weist: junge, wirklich unabhĂ€ngige Kandidaten wurden zu Abgeordneten mehrerer Moskauer BezirksrĂ€te gewĂ€hlt- wirklich gewĂ€hlt. Auch wenn sie im Moment höchstens ĂŒber ParkbĂ€nke entscheiden können, wie man sagt, stehen sie vielleicht fĂŒr den Beginn einer Wende "von unten", die Russland nachhaltig verĂ€ndern könnte ? auch darĂŒber wĂŒrde ich heute gerne von unseren russischen GĂ€sten mehr erfahren.





Die Paste ist also aus der Tube ? allein das bedeutet fĂŒr Russland nach Jahren der Stagnation eine Wendezeit, denke ich. FĂŒr mich liegt die besondere StĂ€rke der neuen Bewegung darin, dass sich hier erstmals eine neue Mittelklasse, die bisher nicht aktiv war, mit alten und neuen zivilgesellschaftlichen Organisationen vereint, die Strukturen und Erfahrung mitbringen. Diese "Revitalisierung" der Gesellschaft ist eine große Chance fĂŒr Russlands Entwicklung und Modernisierung. Ich hoffe sehr, dass die Bewegung selber die Kraft findet, eine besonnene, nachhaltige Strategie fĂŒr ihr weiteres Vorgehen zu entwickeln. Doch natĂŒrlich ist die alles entscheidende Frage nun, ob die politische FĂŒhrung bereit und vor allem willens ist, diese Chance zu nutzen? Ex-Finanzminister Kudrin brachte es letzte Woche in Berlin auf den Punkt: Alle Probleme Russlands ? Investitionsklima, Rechtssystem, Bildung, Gesundheit etc., seien lösbar ? wenn ? ZITAT _ wenn der PrĂ€sident und die neue Regierung aktiver auf die Probleme reagieren". Genau davon hĂ€ngt ab, ob dieser wichtige Zeitpunkt in der russischen Geschichte wirklich zu einer Wendezeit werden kann.

Im Mittelpunkt der heutigen Debatten werden also zunĂ€chst zwei Fragen stehen. Wird die neue BĂŒrgerbewegung die Kraft finden, eine konstruktive und nachhaltige Strategie fĂŒr ihr weiteres Vorgehen zu entwickeln? Und: Wird die politische FĂŒhrung die Kraft finden, auf dieses Engagement konstruktiv einzugehen und es nicht nur auszusitzen oder zurĂŒckzudrĂ€ngen, bzw nur selektiv aufzunehmen, wie die ersten GesprĂ€che des noch amtierenden PrĂ€sidenten Medwedew mit Vertretern der kritischen Opposition nahelegen?Dahinter steht die Frage nach dem sogenannten "Perestrojka-Syndrom", das wir schon frĂŒher hier diskutiert haben, also die Frage, ob in Russland die Angst vor umfassenden Reformen und "Umbau" immer noch grĂ¶ĂŸer ist als der Wunsch nach VerĂ€nderung. Will die Mehrheit, auch wenn die "Paste aus der Tube ist" und das GefĂŒhl nicht mehr zu verdrĂ€ngen ist, dass es kein "Weiter-so" geben kann, trotzdem im Grunde bis heute gar keine "Wend ezeiten"?

Wie immer haben wir deutsche Kommentatoren eingeladen, die nicht nur die russischen BeitrĂ€ge kritisch kommentieren sollen, sondern auch der Frage nachgehen sollen, was wir, also Deutschland und die EU, tun können, um den Wandel in Russland unsererseits konstruktiv zu begleiten. Als Russland-Koordinator sehe ich hierfĂŒr weiter viele Ansatzpunkte ? beispielsweise die wichtige Zusammenarbeit fĂŒr mehr Rechtsstaatlichkeit und weniger Korruption, vor allem aber die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, die ein neuer Schwerpunkt der Kooperation werden sollte. Die neue russische Mittelklasse ist klar auf europĂ€ische Werte ausgerichtet - Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und individuelles Engagement und sollte zunehmend in den Mittelpunkt des Angebots einer Modernisierungspartnerschaft mit Russland rĂŒcken ? alleine schon, weil sie tatsĂ€chlich eine umfassende Modernisierung ihres Landes will.

Sie sehen: viele interessante Fragen, zu denen wir wie immer Ă€ußerst renommierte und engagierte Expertinnen und Experten eingeladen haben. Ich bin gespannt zu hören, wie unsere russischen GĂ€ste "Russlands Alternativen" nach den Duma- und PrĂ€sidentschaftswahlen beurteilen und freue mich auf die heutigen Debatten!


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Datum: 04.04.2012 - 13:00 Uhr
Sprache: Deutsch
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