(ots) - Das hat es in Deutschland noch nie gegeben: Ein
örtliches Bahnhofsprojekt spaltet ein ganzes Land.
Stuttgart21 mit dem dicken roten Strich ist zum Synonym für
das Aufbegehren von Bürgern gegen den Bau von Großprojekten geworden.
Erst in Schwaben, dann in Berlin gegen die Flugrouten und in München
gegen eine dritte Start- und Landebahn. Als sich Befürworter und
Gegner über Sinn und Unsinn der Verlegung des Stuttgarter
Kopfbahnhofs unter die Erde hoffnungslos bis hin zu Gewaltausbrüchen
zerstritten hatten, fiel ihnen etwas Grandioses ein. Sie holten sich
einen Schlichter, der die Gemüter beruhigen und den Weg zur
Verständigung weisen sollte. So rückte der ehemalige
CDU-Generalsekretär Heiner Geissler noch einmal ins Rampenlicht und
spielte seine Rolle als ehrlicher Makler ziemlich überzeugend. Auch
weil er seinem neuen Ruf, politisch nur noch schwer einzuordnen zu
sein, gerecht geworden ist. So gelang schließlich die Verständigung
auf einen Stresstest - noch so ein Schlagwort, das bundesweit Schule
gemacht hat - durch ein neutrales Schweizer Ingenieurbüro. Seit das
Ergebnis gestern auch offiziell vorgestellt wurde, ist es allerdings
wieder vorbei mit dem großen demokratischen Experiment, als das das
gesamte Schlichtungsverfahren gepriesen wurde. Wenn sich Gegner und
Befürworter auf die demokratische Spielregel einlassen und
einvernehmlich einen neutralen Gutachter bestimmen, um das
Milliardenprojekt auf seinen Nutzen hin zu testen, darf der Protest
gegen Stuttgart21 nicht von vorn beginnen, wenn den
Bahnhofsgegnern das Ergebnis nicht passt. Das aber zeichnet sich ab.
Die Wortführer der Protestbewegung bereiten das Feld für neue
Auseinandersetzungen vor, wenn sie den Stresstestern mangelnde
Seriosität, Manipulation, gar einen finanziellen Interessenkonflikt
mit der Deutschen Bahn vorwerfen. Damit ist die Schlichtung letztlich
gescheitert. Auch Heiner Geissler mit seinem großen ehrenwerten Ziel,
Deutschland vom Wert eines neuen demokratischen Verfahrens zu
überzeugen. Daran wird selbst ein von ihm am Ende aus dem Hut
gezauberter Kompromissvorschlag schwerlich etwas ändern. Deutschland
muss dennoch aus den Erfahrungen rund um Stuttgart21 lernen.
Es darf gar nicht erst - bei welchem Großprojekt auch immer - so weit
kommen wie im Schwabenland. Die betroffenen Bürger müssen frühzeitig
informiert, in die Planung einbezogen und von der Notwendigkeit des
Vorhabens überzeugt werden. Die Investoren andererseits müssen
willens sein, Bedenken ernst zu nehmen und Alternativen gewissenhaft
zu prüfen. Es reicht nicht mehr, große Bauvorhaben öffentlich
auszuhängen, vorgeschriebene Anhörungen wie Pflichtveranstaltungen
über sich ergehen zu lassen und sich ansonsten in den
Paragrafendschungel des deutschen Baurechts zurückzuziehen. Eine
Bewährungsprobe steht schon bevor: der Ausbau alternativer Energien
als Ersatz für Atomstrom. Berlin übrigens liefert in diesem
Zusammenhang positive wie negative Lehrbeispiele. Einerseits der neue
Hauptbahnhof, gut inszeniert, freudig erwartet und noch immer gelobt.
Andererseits die Flugrouten am künftigen Großflughafen, über die die
Berliner weiter im Unklaren gelassen werden.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd(at)axelspringer.de