(ots) - Es gibt ein paar gute, aber auch ein paar schlechte
Botschaften, die sich aus dem in dieser Form bisher einmaligen
Schlichtungsverfahren zu Stuttgart 21 ergeben. Die schlechteste ist:
Heiner Geißler ist schon 80. Was der schon seinerzeit mal vom Freund,
mal vom Feind verkannte Ex-CDU-Generalsekretär in den vergangenen
Wochen geleistet hat für die demokratische Kultur in unserem Land ist
sensationell. Souveränität, Brillanz, Durchblick, Demut und Autorität
- man wünschte sich dringend ein deutliches Mehr an Geißler-Potenzial
für das aktive politische Personal diesseits des Rentenalters. Aber
da ist wenig Licht im Schatten. Zu viel Rechthaberei, zu wenig
Lernfähigkeit. Immer noch viel zu viel Tricks und Hinterzimmer, immer
noch zu wenig Transparenz und ernsthafter Wille zur
Auseinandersetzung mit der Meinung des anderen, jenseits
blankpolierter Wahlkämpfe. Immerhin: Man muss es Stefan Mappus, der
mit dem Rücken zur Wand stand nach der Gewalteskalation im
kreuzbraven Ländle, hoch anrechnen, dass er dieses Verfahren in Gang
und den Schlichter Geißler in Marsch gesetzt hat. Nur: Warum musste
es dazu erst derart knallen? Schnee von gestern, jetzt kann man es
positiv wenden. Die beste Botschaft der vergangenen Wochen ist: Es
geht auch anders. Man kann ernsthaft, mit offenem Visier und
außerhalb eingeübter Rituale Politik machen. Ohne Wasserwerfer, ohne
dummes Gebrüll. Man kann die Bürger auch jenseits der Wahlkreuze zur
politischen Teilhabe animieren. Es funktioniert, das haben die
vergangenen Wochen gezeigt. Ob das am Ende erfolgreich sein wird, die
Auseinandersetzung um Stuttgart 21 dauerhaft zivilisiert werden kann,
das wird sich erst noch zeigen. Aber der Versuch war vorbildlich. Und
Geißlers Schlichterspruch - das kann man wohl auch aus der Ferne
sagen - birgt zumindest die Möglichkeit zur friedlichen Einigung in
der Sache. Dass man sich, auch am Ende eines solch mühsamen
Prozesses, entscheiden muss, liegt in der Natur der Politik. Zwei
Bahnhöfe zu bauen, eine Durchgangs- und eine Kopfstation, das geht
nun mal nicht. Also sollte man den Schwaben, den Leuten von der Bahn
und natürlich auch den baden-württembergischen Politikern wünschen,
dass sie das jetzt gemeinsam hinkriegen: Ein lebenswertes Stuttgart
mit Zukunft und demokratischer Kultur, das wäre ja wohl im Interesse
aller dort unten. Und wir, hier in Berlin und im Rest des Landes,
gucken gerne auch noch mal genauer hin. Lernen, dass man sich,
womöglich etwas zügiger als die Schwaben, kümmern muss um die Dinge,
die sich ändern sollen. Dass man sich rechtzeitig informiert über
politische Pläne und gesellschaftliche Notwendigkeiten in seinem
eigenen Umfeld. Dass man sich kundig macht und kompromissfähig, nicht
dickköpfig und stur und bräsig abwartet, um dann zu meckern.
Demokratische Kultur ist auch eine Bringpflicht des Bürgers, nicht
allein eine Veranstaltung der politischen Kaste. Die aber muss ihre
Verfahren überarbeiten. Bürokratiegebeugte Raumordnungsverfahren,
Planfeststellungsverfahren, Sonstwasverfahren schrecken ab statt
einzuladen zu konstruktiver Teilhabe. Es gibt viel zu tun. Junge
Geißlers braucht das Land.
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