(ots) - Die Schulreform in Hamburg ist vom Tisch. Doch was
die Reformgegner nun gewonnen haben, ist von außen kaum zu erkennen.
Dass Kinder bis mindestens zur sechsten Klasse gemeinsam lernen, ist
in allen anderen europäischen Ländern bis auf Österreich längst
normal. Und dass durch die Primarschule das Gymnasium schleichend
abgeschafft würde, ist keinesfalls ausgemacht.
So hatten die Gegner der Schulreform in Hamburg nicht viele
sachliche Argumente auf ihrer Seite. Doch hatten sie ein Motiv für
ihren Widerstand, das Argumenten gemeinhin kaum zugänglich ist:
Angst. In dem Ab-stimmungsergebnis lässt sich die Furcht der
Mittelschicht vor dem sozialen Abstieg ihrer Kinder ablesen. Sie
lehnten mit ihrem Votum nicht nur das längere gemeinsame Lernen ab,
sondern zugleich die soziale Durchmischung der unteren Schulklassen.
Kurz: Sie stimmten für den Fortbestand der seit Pisa allgemein
beklagten sozialen Selektion im Bildungswesen.
Die Eltern aus den besseren Vierteln trieb offenbar die
Vorstellung an die Wahlurnen, schlecht erzogene, lernschwache und
gewaltbereite Kinder aus sozial schwächeren Familien könnten die
bislang geschützte Bildungsatmosphäre zerstören. So wuchs die Panik,
der Mittelschicht könne durch die Schulreform das Gymnasium als
Refugium zivilisierter Erziehung verloren gehen. Das klingt schon im
Namen der Initiative an: "Wir wollen lernen" - als wollten andere das
nicht.
Ob das Hamburger Ergebnis tatsächlich bundespolitische
Signalwirkung hat, ob sich die neue Landesregierung in NRW davon
schockiert zeigen sollte, ist die Frage. NRW hat in der Schulpolitik
andere Pläne. Doch auch hier muss man sich mit der Beobachtung
befassen, dass die soziale Angstmacherei verfangen hat. Das Bild
einer Hartz-IV-Unterschicht, die nicht nur bildungsfern, sondern
geradezu bildungsresistent ist, hat sich in vielen Köpfen verfestigt.
Dies verstärkt die Isolation der Armen und erinnert an Zeiten, da vor
allem die Herkunft galt, nicht die Leistung. Genau dies aber kann
sich das Land nicht mehr leisten, gebraucht wird jedes Talent, egal
aus welcher Familie.
Das Ergebnis des Volksentscheids zeigt zudem sehr deutlich, wie
nötig eine breitere Bildungsbeteiligung wäre: Während in den
Nobelvierteln mehr als jeder Zweite abstimmte, war es in den
Problemvierteln Hamburgs gerade einmal jeder Fünfte. Hier wird der
wahre Auftrag für Pädagogen und Politiker sichtbar: politische
Teilnahme hängt von Bildung ab - sie ist die Basis für eine
funktionierende Demokratie.
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