PresseKat - „Grillen ist eine wunderbare Sozialinstallation“

„Grillen ist eine wunderbare Sozialinstallation“

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Die Faszination des Grillens wurde soziologisch untersucht.

(firmenpresse) - Grillen ist mehr als nur einfach Nahrungszubereitung. Grillen ist eine Art Theater das aufgeführt, und bei dem nochmals die alte bürgerliche Familie inszeniert wird. Es wird ein längt verlorenes Gemeinschaftsgefühlt erzeugt. Dies zumindest behauptet der Freiburger Soziologe Sacha Szabo. Wir sprachen mit ihm darüber.

Frage: Grillen und Wissenschaft: Wie passt das zusammen?

Sacha Szabo: Grillen ist Trend. Ein Massenphänomen und die Kulturwissenschaft hat die Aufgabe nicht nur im Elfenbeinturm zu wohnen, sondern auch raus in die Welt zu gehen, zu schauen was dort passiert und im Falle des Grillens, dem Volk mal genau aufs Maul zu gucken. Bei der Frage, warum man grillt gibt es neben der schon brachial-mythischen Herleitung des Urmenschen eine Vielzahl differenzierter Herangehensweisen. Zum Beispiel kann man sich fragen, was wird gegrillt wie wird gegrillt und wer grillt. Und so haben wir eine Antwort darauf gegeben, warum Männer am Grill stehen, Frauen aber in der Küche.

Frage: Der Mensch ist seit weit über 1 Mio. Jahren in der Lage Feuer zu machen. Auf wann lässt sich der Beginn der deutschen Grilltradition zurückdatieren? Back to Neandertaler könnte man ja fast sagen. Welche Rolle spielt das Feuer machen?

Sacha Szabo: Grillen ist sehr sinnlich. Man isst mit den Händen, man spürt die Wärme, man riecht die Kohle. Das sind alles Eindrücke, die wir im Alltag gar nicht mehr kennen. Grillen begann im Übrigen erst, als genau diese handwerkliche Art der Essenszubereitung aus den Küchen verschwand. Das war erst in den sechziger Jahren. Erst mit dem Elektroherd wurde es etwas Besonderes, Essen über dem Feuer zuzubereiten. Das Fleisch hat etwas Naturhaftes an sich. Es ist ein Stück Nahrung das noch nach Tier aussieht und auch so riecht. Es ist genau das Gegenteil von Mikrowellenessen, das ungekühlt monatelang haltbar ist. Das Fleischessen ist im Übrigen etwas, bei dem die Geschlechterforschung gerade ihren Fokus darauf legt, nämlich auf die Nahrungsdiskriminierung. Das wertvolle Essen, nämlich Fleisch, wird den Männern zugesprochen, während das weniger nahrhafte Essen, das Gemüse, den Frauen zugeteilt wird. Dabei müssten eigentlich Frauen das eiweis- und proteinreichere Nahrungsmittel bekommen, da sie durch ihre Gebärfähigkeit für das Überleben der Gattung zuständig sind. Dies ist eine Jahrtausend alte Nahrungsdiskriminierung und vielleicht mit ein Grund, weswegen Frauen häufig kleiner als Männer sind, was ja keineswegs selbstverständlich sein muss.





Frage: Was sind die Unterschiede heute im Vergleich zu den Anfängen des Grillens? Wie sieht das Grillen der Zukunft aus?

Sacha Szabo: Das Grillen wird ja gerne als etwas Urtümliches angesehen. Man hat das Bild vor Augen, dass so die Neandertaler ihr Essen zubereitet hätten. Tatsächlich ist das natürlich ein Mythos. Denn was eigentlich stattfindet ist ein Schauspiel, in dem man versucht all den Regeln und Normen, die die Zivilisation uns abverlangt und die einem mit viel Mühe anerzogen werden, für einen Moment über Bord zu werfen und uns so zu benehmen wie es uns behagt. Grillen ist ein Event. Es ist ein körperlich sinnliches Erlebnis der Essensherstellung. Gerade im Zeitalter von Convenience Food ist die unmittelbare Auseinandersetzung mit den Nahrungsmitteln ein Bedürfnis des Menschen, weil es ihn Wirklichkeit erfahren lässt. Denn das Feuer ist ein Element, das kausal verstanden werden kann. Diese Unmittelbarkeit ist wichtig als Komplementärerlebnis zur immer undurchsichtigeren Alltagstechnik.

Frage: Gegrillt wird meist in der Gruppe. Was macht Grillen so gemeinschaftlich?

Sacha Szabo: Der Mann der das Essen verteilt ist ein Reflex auf die zunehmende Vereinzelung unserer Gesellschaft. Viele Gemeinschaften sind zerbrochen. Nun wird am Grill, in einem Event ein vormodernes Männerbild einer patriarchalen Gesellschaft inszeniert. Es ist eine wunderbare Sozialinstallation. Es wird nämlich ein gutbürgerliches Familienbild wie vor 150 Jahren inszeniert, wo der Familienvater jedem eine Portion Fleisch vom Sonntagsbraten zuweist. Allerdings gibt es diese Familien eigentlich gar nicht mehr, außer im Film. Heutzutage lösen sich all diese Strukturen auf und wie ein Reflex wird nochmal das Alte hervorgeholt und wie auf einer Theaterbühne inszeniert. Grillen ist nichts anderes als ein großes Mitmachtheater und jeder hat eine bestimmte Rolle.

Frage: Grillen wird in unserer Gesellschaft als Männersache angesehen. Warum ist das so?

Sacha Szabo: Beim Grillen inszeniert sich der Mann als Beherrscher des Feuers. Er ist Regent über sein Reich, also der Gäste, und er trägt einen Herrschaftsornat, die Grillschürze und die Reichsinsignien Grillgabel und Zange, mit denen er das Feuer bezwingt. Aber das ist nur die Rolle des Mannes. Die Rolle der Frau ist ähnlich traditionell, denn während sich Männer immer schon gerne in der Öffentlichkeit inszeniert haben, wurde die Arbeit der Frau versteckt, dabei trug sie die Hauptlast. So ist das auch noch heute. Der Mann steht im Mittelpunkt und die Frau in der Küche und hat die Arbeit. Es ist also ein Reflex, in dem die vergangenen Pascha-Zeiten nochmal inszeniert werden.

Frage: Wie grillen Sie?

Sacha Szabo: Ich bin ein Grill-Barbar. Grill von der Tankstelle. Würstchen von der Tankstelle. Dosenbier von der Tankstelle und dann an den Baggersee und sich von Schnaken stechen lassen und dabei halbrohe Würstchen, die außen verkohlt sind, mit lauwarmen Bier trinken. Das ist ein wohliger Regress in die Studienzeit. Wichtig sind für mich auch gekaufte klebrige Grillsaucen die irgendwie alle ein wenig sonderbar schmecken, kurz getestet werden und dann für ein Jahr im Schrank verschwinden, um dann, kurz vor der Grillsaison, weggeworfen zu werden weil sie schon lange abgelaufen sind und man dann neue Saucen kauft.

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Bereitgestellt von Benutzer: Sacha
Datum: 23.07.2015 - 09:22 Uhr
Sprache: Deutsch
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Kategorie:

Nahrung- und Genussmittel


Meldungsart: Interview
Versandart: Veröffentlichung
Freigabedatum: 27.07.2015

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