(ots) - So direkt wird selten über direkte Demokratie
gestritten: Parteichef Sigmar Gabriel wurde im ZDF-heute journal von
Moderatorin Marietta Slomka in einem Interview mit der These
konfrontiert, die SPD-Mitgliederbefragung sei verfassungsrechtlich
bedenklich, weil nur ein kleiner Zirkel von 475.000 und nicht alle 62
Millionen Wahlberechtigten in Deutschland über den Koalitionsvertrag
abstimmen dürfen. Gabriel nannte die Argumentation "Quatsch" und
"Blödsinn". Moderatorin und Politiker verbissen sich derart, dass
ganz Deutschland über die live ausgetragene Auseinandersetzung
spricht.
Dass der SPD-Chef Überzeugungsarbeit leisten muss, damit die
Mitglieder dem mit CDU/CSU ausverhandelten Vertrag über die "GroKo"
zustimmen, wurde in dem zuvor ausgestrahlten Beitrag deutlich.
Gezeigt wurde Gabriels Werben um Zustimmung nach Abschluss der
Regierungsverhandlungen im hessischen Hofheim. Es ist ein Lehrstück
demokratiepolitischer Basisarbeit, der sich der Obergenosse stellt.
Er reagierte auf Zwischenrufe und nahm auch zum Kleingedruckten und
Nichtfestgeschriebenem im Koalitionsvertrag Stellung. Geschont wurde
er weder von der Moderatorin noch von seinen Wählern.
In Österreich verzichten Politiker von SPÖ und ÖVP lieber auf
einen Schlagabtausch mit ihren Wählerinnen und Wählern. Sie weichen
dem Infight mit ihren Mitgliedern aus. Beide Parteien haben sich noch
vor Abschluss ihrer Verhandlungen festgelegt, keine
Mitgliederbefragung zu machen. Warum? Weil sich Funktionäre nicht der
Kritik und Kontrolle durch Mitglieder stellen möchten? Weil sie nicht
einmal vor ihrer eigenen Basis die eingegangenen Kompromisse
verteidigen wollen? Oder weil es zu viel Aufwand ist, sich mit
"Basiswapplern" abzugeben, denn es könnte "nur das übliche Gesudere"
herauskommen?
Natürlich ist es einfacher, einen Koalitionsvertrag durchzuwinken,
wie es die Spitze der CSU als erste der drei beteiligten deutschen
Parteien getan hat. Die Abstimmung bei der CDU ist ebenfalls eine
Formsache. Eine Mitgliederbefragung über den Koalitionsvertrag
ermöglicht eine viel intensivere Auseinandersetzung mit den Inhalten
- mit den Mitgliedern, aber auch in den Medien.
Über diese kommunizieren die Spitzenpolitiker von SPÖ und ÖVP
indirekt und geben so einen Einblick, wie es um die
Koalitionsverhandlungen hierzulande steht. Offenbar hat sich
Rot-Schwarz darauf verständigt, Maßnahmen zum Ausbau der direkten
Demokratie wie die Aufwertung von Volksbegehren auf die lange Bank zu
schieben. Dafür wird über eine Direktwahl für Bundesräte diskutiert.
Bevor man über den Wahlmodus der Bundesräte diskutiert, sollte man
über die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Länderkammer an sich
diskutieren. Außer man ist der Meinung, nur bei einem so unwichtigen
Gremium kann man die Direktwahl anwenden.
Einig scheinen sich die Verhandler auch zu sein, dass trotz
eindeutiger Festlegungen ihrer Klubobmänner die Einsetzung von
Untersuchungsausschüssen im Parlament doch kein Minderheitenrecht
wird. Damit brechen die Koalitionäre ein Versprechen und verweigern
der Opposition ein Kontrollrecht, das es in Deutschland seit Jahren
gibt. Wo bleibt der angekündigte neue Stil? Bisher zeigt sich nur,
wie wenig ernst es dieser "GroKo" mit innerparteilicher Demokratie
und Kontrolle ist.
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