(ots) - Geht man nur nach dem Gefühl, so bekommt man den
Eindruck, dass es in der Politik nur um Äußerlichkeiten ginge. Wer
hat schon Programme, wer macht schon echte Wahlversprechen? Und wenn
doch: Hat man da nicht das Gefühl, dass die Parteien allesamt ihre
Versprechen brechen? In Umfragen wird das selbst den
Oppositionsparteien unterstellt, die gar nicht viel Gelegenheit
hatten, Versprechen zu brechen. Und für SPÖ und ÖVP hat das
Market-Institut erhoben, dass stets mehr als 60 Prozent der
Wahlberechtigten meinen, die Parteien hätten ihre Versprechen
überwiegend gebrochen. Aber das Gefühl trügt. Erstens: Die Parteien
machen vor der Wahl durchaus Ansagen, die über das Versprechen
hinausgehen, dass ihr Kandidat ein guter Kanzler, nicht korrupt oder
nicht belämmert sei. Sie machen solche Ansagen in unterschiedlicher
Dosierung, wie die Autnes-Studie der Universität Wien herausgefunden
hat: Die SPÖ hat im Jahr 2008 mehr als doppelt so viele inhaltliche
Festlegungen getroffen wie die ÖVP - dafür hat die ÖVP ihre wenigen
Ziele (etwa: keine Einführung von Erbschafts- und Vermögenssteuern)
auch relativ gut, nämlich zu 61 Prozent, gegen den Koa-litionspartner
durchsetzen können. Das heißt nicht, dass die SPÖ ihre Ziele nicht
hätte durchsetzen können, im Gegenteil: Die roten Vorhaben sind auch
zu mehr als der Hälfte umgesetzt worden - und weil die SPÖ mehr
einzelne Forderungen gestellt hat, besagt die Statistik, dass sie
auch mehr einzelne Forderungen durchgesetzt hat. Das zeigt dreierlei:
Erstens kann man auch in einer Koalitionsregierung mehr als die
Hälfte von dem durchsetzen, was man den Wählern versprochen hat. Wenn
das beiden Koalitionspartnern gelingt, dann beweist das zweitens eine
hohe Kompromissbereitschaft. Und wenn das von den Wählern nicht
anerkannt wird, dann belegt das drittens, dass die Koalition mit
ihrer Politik weder die Köpfe noch die Herzen der Bürger erreicht.
Gefühlsmäßig wird ja wahrgenommen, dass nicht nur Wahlversprechen
gebrochen würden, sondern eigentlich gar nichts weiterginge. Dass die
Wähler in großer Mehrheit mit der Regierung unzufrieden sind, hat
allerdings den Grund darin, dass die beiden Parteien, die diese groß
genannte Koalition tragen, in Wirklichkeit nur Mittelparteien sind:
Wenn SPÖ und ÖVP zuletzt 29 beziehungsweise 26 Prozent der Stimmen
hatten, dann heißt das umgekehrt, dass sie 71 beziehungsweise 74
Prozent der Wähler gegen sich hatten - und die tun sich halt schwer,
Erfolge der Regierung als Gesamtheit zu erkennen oder gar
anzuerkennen. Was allerdings sehr wohl gesehen und gefühlt wird, ist
der Stillstand: Aber der ist in einer derartigen Koalition Teil des
Programms. Auch das belegt die Autnes-Studie: Viele Erfolge der
Koalitionspartner bestehen darin, dass sie versprochen und gehalten
haben, von der anderen Partei gewünschte Änderungen eben nicht
zuzulassen. Solche Blockaden mögen nicht populär oder gar
mehrheitsfähig sein, aber sie entsprechen dem Auftrag der Wähler der
jeweiligen Partei. Zwei Erkenntnisse bleiben als Trost: Auch
Alleinregierungen können nicht alles umsetzen - selbst die nicht für
Zimperlichkeit bekannte Margaret Thatcher konnte in ihrer
Alleinregierung nur 85 Prozent ihres Programms realisieren. Und
zweitens ist Stillstand nur ein weniger freundliches Wort für
Stabilität. Stabilität aber wird in Österreich als hoher Wert
geschätzt.
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