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Mittelbayerische Zeitung: Britischer Pragmatismus

ID: 935305

(ots) - Von Jochen Wittmann

Großbritannien hat zur Zeit ein Image-Problem. Die NSA-Affäre
lässt das Land in keinem guten Licht dastehen. Der britische
Abhördienst GCHQ, so stellt sich heraus, hat noch weit umfangreicher
geschnüffelt als bisher angenommen. Als David Miranda, der
Lebensgefährte des Journalisten und NSA-Enthüllers Glenn Greenwald
einen Zwischenstopp auf dem Londoner Flughafen Heathrow einlegte,
erklärte ihn die britische Polizei kurzerhand zum Terroristen,
verhörte ihn neun Stunden lang und schnappte sich sämtliche
Datenträger Mirandas, um an das Geheimmaterial von Greenwald zu
kommen. Zudem wurde bekannt, dass die Regierung die Zeitung
"Guardian" unter Druck gesetzt und schließlich gezwungen hatte, einen
Laptop mit geheimen NSA-Daten zu vernichten. Ziemlich massiv: Da
werden im Namen der Sicherheit en masse private Daten gesammelt, da
wird ein Anti-Terror-Gesetz missbraucht, um einen Journalisten
einzuschüchtern. Da droht man einer Zeitung mit Repressalien, da wird
mit vorauseilender Zensur hantiert, um die Veröffentlichung
unangenehmer Berichte zu verhindern. Der britische Staat scheint sich
aufzuführen, wie man das von Ländern wie Russland erwarten würde.
Dabei behauptete doch gerade England, die Wiege der Bürgerrechte in
Europa zu sein. Es war vor 318 Jahren, am 11. Februar 1695, als das
britische Parlament die Zensur abschaffte - und das Königreich wurde
damit das erste Land, in dem die Ideale der Aufklärung triumphierten.
Fortan galt Großbritannien als Hort der Meinungs- und Pressefreiheit
in Europa, als Heimat der Bürgerrechte, als leuchtendes Vorbild für
den Rest der Welt. Was bei dieser Laudatio immer vergessen wird, ist
ein spezifischer Zug des britischen Nationalcharakters: der
Pragmatismus. Es ist eine Geisteshaltung, wo fünf auch mal gerade
sein kann, wo es nicht so darauf ankommt, wo es wichtiger ist, ein




gutes praktisches Ergebnis zu erzielen, auch wenn das bedeutet, dass
man gewisse Prinzipien missachtet. Und eine solche Geisteshaltung ist
so ziemlich genau das Gegenteil eines strikten Moralismus, eines
Denkens und Handelns von ersten Prinzipien aus, zu dem wiederum die
Kontinentaleuropäer neigen. Dieser Gegensatz zeigt sich im britischen
Rechtssystem, das im Unterschied zum Kontinent nicht auf der starren
Logik des Römischen Rechts, sondern auf den sich wandelnden
Konventionen des Gewohnheitsrechts gegründet ist. Und es zeigt sich
in den Aktionen einer Exekutive, die mal eben ein Anti-Terror-Gesetz
bemüht, um die Pressefreiheit anzugreifen, weil, und das ist der
Punkt, sie ein höheres Gut, die öffentliche Sicherheit, in Gefahr
sieht. Ist es nicht eine Ungeheuerlichkeit, dass in einem
europäischen Land die Regierung den Medien verbieten kann, über ein
bestimmtes Thema zu berichten? Überall sonst gälte das als Zensur,
aber in Großbritannien ist diese Praxis möglich mithilfe einer
sogenannten "Defence Advisory Notice": einer offiziellen Anforderung
an Herausgeber, spezifische Informationen im Interesse der nationalen
Sicherheit nicht zu publizieren. Im Königreich regt man sich darüber
nicht groß auf, weil es eben um die nationale Sicherheit geht und man
dem Staat vertraut, damit kein Schindluder zu treiben. Zudem kommt es
selten vor. Es stimmt schon: Schön ist es nicht, wie sich die
britische Regierung in der NSA-Affäre verhalten hat, aber es ist
nicht typisch und dürfte eine Ausnahme bleiben. Hoffentlich.
Ansonsten müsste man sich wirklich Sorgen machen.



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Datum: 29.08.2013 - 18:20 Uhr
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