(ots) - Wien im Herbst 2010. In einer Krisensitzung des
Vorstands der städtischen ÖVP rund um die Gemeinderatswahl forderte
eine einflussreiche Schwarze, man möge sich doch auf die Grundwerte
der Partei besinnen, vor allem auf die Familie, Vater, Mutter, Kind
und so weiter. Eine Sitzungsteilnehmerin erzählte, sie habe sich
daraufhin bewusst im Raum umgeschaut: In dem mehrere Dutzend Personen
umfassenden Gremium habe gerade mal eine Handvoll Personen das von
der ÖVP propagierte Familienbild erfüllt. Das ist nichts
Verwerfliches, es heißt bloß, dass die schwarzen Funktionäre in der
familiären Realität des 21. Jahrhunderts angekommen sind. Persönlich.
Im politischen Tagesgeschäft findet das kaum Niederschlag.
Wien im Winter 2013. Es ist wieder einmal SPÖ-Frauenministerin
Gabriele Heinisch-Hosek, die versucht, das Thema voranzutreiben. Im
Standard-Interview fordert sie nichts weniger als eine
familienpolitische Revolution: vollkommen gleiche Rechte für Hetero-
und Homosexuelle bei Ehe und Adoption. Künstliche Befruchtung für
alle Frauen, unabhängig von ihrem Beziehungsstatus. Und ein
Rechtsinstitut für jene, die ihre Partnerschaft ohne Ehe-Tamtam
formal absichern wollen.
Es mag dem Superwahljahr 2013 geschuldet sein, dass die
Frauenministerin dabei so deutliche Worte für den Koalitionspartner
findet: "Da sehe ich die ÖVP manchmal schon als Bremse, die den
Leuten das Leben schwermacht." Faktum ist: Sie hat recht.
Denn wo man in die ÖVP auch hineinhört, wird auf dem Status quo
beharrt. So, als könnten sich die Schwarzen ewig darauf ausruhen,
dass sie Homosexuellen eh erlaubt haben, ein bisschen zu heiraten,
nach dem darüber gefühlte 100 Jahre diskutiert worden ist. Alles
andere sei derzeit kein Thema. Außerdem müsse man diverse
Gerichtsverfahren abwarten. Praktischerweise ist immer gerade
irgendwo eines anhängig, aktuell beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte, der heute, Dienstag, darüber entscheidet, ob eine
Frau das leibliche Kind ihrer Lebenspartnerin adoptieren darf.
Nachjustiert wird also erst, wenn es juristisch nicht mehr anders
geht. Politik, die reagiert, statt gestaltet - das kommt einer
Selbstaufgabe gleich.
Dabei ist es ja nicht einmal so, als würden alle ÖVP-Politiker selbst
hinter den wertkonservativen Positionen stehen, die sie in der
Öffentlichkeit vertreten. Ist das Aufnahmegerät erst einmal
abgedreht, erzählt so mancher gern von Erfahrungen mit
Regenbogenfamilien im Bekanntenkreis und davon, dass man eh anders
würde, wenn man bloß könnte. Aber der Stammtisch, die Basis, die
würden das halt nicht verstehen.
Für einen Teil der schwarzen Klientel mag das stimmen, genauso wie
für einen (mutmaßlich kleineren) Teil der roten Wählerschaft.
Trotzdem ist es Aufgabe der Familienpolitik, neue Lebensformen
anzuerkennen und die Rechtslage so zu gestalten, dass sie zumindest
nicht verhindert werden. Es ist definitiv nicht Aufgabe der
Familienpolitik, zu bewerten, wer wen warum liebt.
Gut möglich, dass die SPÖ Gleichstellungsfragen zum Wahlkampfthema
hochjazzen wird, sie tut es in dem Bewusstsein, dass sie die ÖVP
damit in die Enge treibt. Dort hat man offenbar Angst davor, wegen -
huch! - gesellschaftlicher Fortschrittlichkeit Stimmen zu verlieren.
Das wäre ja mal ganz was Neues.
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Der Standard
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