(ots) - Timothy Geithners Reise nach Sylt hat alles
andere als selbstlose Motive. Der amerikanische Finanzminister will
seinen Kollegen Wolfgang Schäuble überreden, der Europäischen
Zentralbank lange Leine beim Ankauf von Staatsanleihen zu lassen. Die
Deutschen werden in Washington als Haupthindernis für eine aktivere
Geldmarktpolitik der EZB gesehen. Hinter Geithners Mission steckt das
Kalkül des Weißen Hauses, dass ein Anhalten der Euro-Krise die
Aussichten auf eine Erholung der US-Konjunktur zurückhält und damit
die Wiederwahl Präsident Obamas gefährdet wird. Dabei sind die Rollen
nicht so einseitig verteilt. Tatsächlich verhalten sich Europa und
die USA wie kommunizierende Röhren. Sie sorgen wechselseitig dafür,
dass die wirtschaftliche Wachstumsraten auf vergleichbar niedrigem
Niveau bleiben. Die letzten Tage liefern ein gutes
Anschauungsbeispiel dafür. Erst ließen die deutsch-französischen
Euro-Bekenntnisse die Märkte Mut schöpfen. Dann sorgten die jüngsten
Quartalszahlen von der anderen Seite des Atlantiks für einen Dämpfer.
In den vergangenen Monaten legte die US-Wirtschaft nur noch magere
1,5 Prozent zu. So verschieden die Krisen sind, so vergleichbar sind
die Kräfte, die eine Erholung verhindern. Allen voran das fehlende
Vertrauen in die Akteure. Marktteilnehmer schätzen Verlässlichkeit
und Planungssicherheit. Die Politiker auf beiden Seiten des Großen
Teichs vermitteln den Eindruck des Durchwurschtelns. Europa zahlt
einen heftigen Preis für die Wahrnehmung, dass die Regierungen immer
mit einem Euro zu wenig, einen Tag zu spät reagieren. Die USA büßen
schon jetzt für die Unsicherheit, die sich aus der sogenannten
"Fiskal-Klippe" ergibt. Falls sich der Kongress nicht zu einem
Kompromiss durchringen kann, werden nach dem 31. Januar die Steuern
automatisch ansteigen und massive Ausgabenkürzungen im Bundeshaushalt
eintreten. Hinter beidem steht die Dysfunktionalität der Systeme.
Europa fehlen die politischen Institutionen, die notwendigen
Maßnahmen zu begleiten. In den USA verhält sich die Opposition
kompromissunfähig, ungeachtet der Tatsache, dass die politische
Ordnung der USA auf Kompromissen basiert. Das Ergebnis ist in beiden
Fällen das gleiche. Dringend notwendige Entscheidungen werden
vertagt, bis es nicht mehr anders geht. Was am Ende dabei
herauskommt, überzeugt dann niemanden mehr.
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