(ots) - Patienten über 65 Jahren schlucken durchschnittlich
fast fünf Mal so viele Medikamente wie jüngere Menschen. Dabei sind 
sie anfälliger für unerwünschte Nebenwirkungen. Die Priscus-Liste 
enthält 83 Wirkstoffe, auf die im Alter möglichst verzichtet werden 
sollte. Trotzdem erhält etwa jeder vierte Patient mindestens eines 
der potenziell gefährlichen Arzneimittel. Vor allem Frauen sind davon
betroffen.
   Im Alter reagiert der Körper anders auf Arzneimittel: Nieren und 
Leber funktionieren nur noch eingeschränkt. Das Immunsystem ist 
gestört und die Muskelmasse geringer als bei jungen Menschen. Das 
führt dazu, dass ältere Menschen die chemischen Substanzen der 
Arzneimittel langsamer abbauen. Viele Senioren sind gleich mehrfach 
erkrankt und benötigen eine umfangreiche Medikation, deren 
Wechselwirkungen für den behandelnden Arzt kaum zu überschauen sind. 
Das stellt Ärzte in der Praxis häufig vor das Dilemma, ältere und 
multimorbide Patienten angemessen zu versorgen, ohne ihnen mit den 
Medikamenten zusätzlich zu schaden. Konkrete Hilfe bietet die 
Priscus-Liste, die 83 Wirkstoffe aufführt, für die das 
Nutzen-Risiko-Verhältnis bei älteren Menschen als ungünstig bewertet 
wird.
   "Frauen nehmen besonders häufig Wirkstoffe ein, die für ältere 
Menschen ungeeignet sind", sagt Jürgen Klauber, Geschäftsführer des 
Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). "Es ist egal, welche 
Altersgruppe der über 65-Jährigen man betrachtet. Von den weiblichen 
Patienten erhalten rund fünf bis sieben Prozentpunkte mehr als bei 
den Männern einen Wirkstoff aus der Priscus -Liste."
   Unter den 20 am häufigsten verordneten Wirkstoffen der 
Priscus-Liste befanden sich bereits in früheren Auswertungen vor 
allem psychogene Substanzen wie Schmerzmittel und Antidepressiva 
sowie Mittel zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese 
Verteilung hat sich auch 2011 nicht verändert. Der mit mehr als 22 
Millionen Tagesdosen am häufigsten an AOK-Patienten über 65 Jahren 
verordnete Wirkstoff war im vergangenen Jahr das Bluthochdruckmittel 
Doxazosin. Knapp 20 Millionen Tagesdosen wurden von Amitriptylin 
verordnet. Dieser Wirkstoff gehört zur Gruppe der Antidepressiva, die
auf der Priscus-Liste besonders stark vertreten sind. Weiblichen 
Patienten wird Amitriptylin etwa drei Mal so häufig wie Männern 
verschrieben. Auf Platz drei der am meisten verordneten 
Priscus-Wirkstoffe steht Etoricoxib, von dem über 13,4 Millionen 
Tagesdosen abgegeben wurden. Auch dieses Rheumamittel wird deutlich 
häufiger an Frauen verschrieben - sie nehmen mehr als doppelt so viel
Etoricoxib wie die Männer ein.
   Die hohe Konzentration der Priscus-Wirkstoffe auf bestimmte 
Indikationsbereiche erklärt, warum vor allem Hausärzte, Internisten 
und Nervenärzte die potenziell gefährlichen Wirkstoffe verordnen. 
Doch auch Urologen verordnen sehr häufig Priscus-Wirkstoffe. Dabei 
stammen nur vier Wirkstoffe aus der Urologie. Nervenärzte 
verschreiben etwa jedem zweiten ihrer Patienten (49 Prozent) über 65 
Jahren einen der betroffenen Wirkstoffe. Bei den Hausärzten waren es 
nur 29 Prozent. Darüber hinaus verordnen Nervenärzte deutlich mehr 
Tagesdosen pro Patient als ihre Kollegen aus anderen Fachbereichen. 
Während ein Allgemeinarzt im Jahr 2010 durchschnittlich 17,3 
Tagesdosen pro Patient verordnet hat, waren es bei den Nervenärzten 
etwa 40,4 Tagesdosen.
   "Auch das Alter eines Arztes hängt eng damit zusammen, wie oft er 
einen der Priscus-Wirkstoffe verschreibt", sagt Gisbert W. Selke, 
Arzneimittelexperte beim WIdO. "Je älter ein Arzt ist, desto häufiger
verordnet er Wirkstoffe, die für ältere Patienten gefährlich werden 
können. Darüber hinaus verordnen männliche Ärzte häufiger 
Priscus-Wirkstoffe als ihre weiblichen Kolleginnen. Warum das so ist,
lässt sich nur vermuten." So sind jüngere Ärzte vielleicht besser 
über die aktuellen Erkenntnisse über Besonderheiten von Arzneimitteln
informiert.
   Das WIdO ist bei seinen Analysen auf einen weiteren Zusammenhang 
gestoßen, der sich kaum rational erklären lässt. "Im Vergleich der 
Bundesländer erhalten Patienten in den alten Bundesländern deutlich 
häufiger Wirkstoffe, die auf der Priscus-Liste stehen", so Gisbert W.
Selke. Die höchsten Patientenanteile gibt es in Rheinland-Pfalz (27,4
Prozent) und dem Saarland (27,1 Prozent). Nur Bremen liegt mit 21,6 
Prozent auf dem Niveau der neuen Bundesländer. Hier erhält nur etwa 
jeder fünfte Patient mindestens einen der potenziell gefährlichen 
Wirkstoffe. Ansonsten verordnen die Ärzte in den neuen Bundesländern 
deutlich zurückhaltender Wirkstoffe der Priscus-Liste. Mit Ausnahme 
von Mecklenburg-Vorpommern liegt der Anteil der AOK-Patienten über 65
Jahren, die noch mindestens einen Wirkstoff aus der Priscus-Liste 
erhalten, bei etwa 20,7 Prozent.
   Die Priscus-Liste wurde von einem Forschungsverbund aus mehreren 
Hochschulen in Deutschland, Österreich sowie der Schweiz entwickelt 
und 2010 zum ersten Mal veröffentlicht. Sie führt zu jedem als 
ungünstig bewerteten Wirkstoff Alternativen auf, die 
Wirkstoffsubstitutionen ebenso wie nicht-medikamentöse Therapien 
umfassen. Dabei haben die Wissenschaftler berücksichtigt, dass sich 
selbst kontraindizierte Arzneimittel nicht immer vermeiden lassen. 
Für diesen Fall führt die Liste begleitende Maßnahmen auf, die das 
Risiko des Patienten für unerwünschte Nebenwirkungen verringern 
sollen. Inwieweit die Liste zunehmend in den Praxisalltag integriert 
wird, ist Gegenstand aktuell laufender Untersuchungen. Damit werden 
die Analysen fortgeführt, die erstmals im Versorgungs-Report 2012 des
WIdO präsentiert wurden.
   Die aktive Ansprache der Ärzte ist besonders wichtig, um auf das 
Problem der Medikation von älteren Patienten aufmerksam zu machen. 
Zur Zeit schreibt die Gesundheitskasse deshalb in einer Initiative 
gezielt Ärzte an, die stärker als ihre Fachkollegen zu 
Priscus-Arzneimitteln greifen, und möchte sie für das Problem 
sensibilisieren. Zudem bietet die AOK vielerorts 
pharmakotherapeutische Beratungen an. Das Verordnungsspektrum eines 
interessierten Arztes wird dafür zunächst mit Hilfe der im WIdO 
entwickelten Software pharmPRO analysiert. Daraus leitet ein 
spezialisierter Apotheker der AOK Vorschläge für Verbesserungen der 
Arzneimitteltherapie ab und erläutert diese in einem ausführlichen 
Beratungsgespräch.
Pressekontakt:
AOK-Bundesverband
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Christine Göpner-Reinecke
Tel.: 030 / 346 46 2298
E-Mail: christine.goepner-reinecke(at)bv.aok.de
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