(ots) - Wenn es um soziale Belange geht, werden selten 
schnelle und umfassende politische Entscheidungen getroffen, die 
langfristigen Entwicklungen Rechnung tragen. Anstatt Missstände bei 
der Wurzel zu packen, wird das Thema vertagt oder nur das Symptom 
bekämpft, und das natürlich möglichst kostengünstig. Meist, indem 
Risiken privatisiert werden. Das aber verstärkt die soziale 
Schieflage, die in Deutschland ohnehin besteht. Jüngstes Beispiel ist
das von Ex-Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) ausgerufene "Jahr
der Pflege 2011". Seit sechs Monaten finden in unregelmäßigen 
Abständen sogenannte "Pflegegipfel" statt, bei denen sich der 
Gesundheitsminister mit Verbänden, Experten und - besonders beliebt -
mit Betroffenen ablichten lässt und sich mehr oder weniger ausgiebig 
deren Anliegen anhört. Um danach mitzuteilen, dass durchaus 
vernünftige Vorschläge präsentiert worden seien, man allerdings nicht
alles, was wünschbar ist, am Ende auch ermöglichen könne. Reiner 
Aktionismus also? Gehen am Ende die pflegenden Angehörigen und 
Dementen, auf die der Gesundheitsminister einen Schwerpunkt legen 
wollte, doch leer aus? Gibt es eine Idee, wie die Pflege in Zukunft 
finanziert werden soll? Skepsis ist zumindest angebracht. Denn immer 
dann, wenn die Politik einen "Dialog" führt, ein Aktionsjahr ausruft 
oder eine Kommission einrichtet, werden seit Jahren bekannte Fakten 
eruiert und Lösungen gesucht, über die sich Spezialisten längst einig
sind. Echte Reformen lassen aber auf sich warten. Grund: Leider nicht
finanzierbar. So hat Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) die 
Präsentation der Eckpunkte für die Pflegereform vorsorglich schon mal
auf September verschoben. Ein kleiner Vorgeschmack: Sicher ist, dass 
der Staat allzu viel nicht investieren will. Das sollen Arbeitnehmer 
und Rentner tun. In Zukunft soll jeder verpflichtet werden, privat 
für den Fall einer Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. Darüber freut 
sich die private Versicherungswirtschaft - und der Staat ist fein 
raus. Doch Geringverdiener und viele Rentner dürften große Probleme 
haben, von dem Wenigen, was sie haben, auch noch etwas abzuzwacken. 
Apropos Geringverdiener: Nach der Sommerpause startet die 
Bundesregierung einen "Regierungsdialog Rente", den Experten wie der 
Armutsforscher Dr. Christoph Butterwegge jetzt schon als 
Showveranstaltung bezeichnen. Dieser Vorwurf ist nicht ganz von der 
Hand zu weisen. Denn auch hier liegen die Fakten längst auf dem 
Tisch. Auch hier muss die Politik umgehend handeln - bevor sich die 
Altersarmut weiter ausbreitet. Seit vielen Jahren warnen Demografen, 
dass die Überalterung der Gesellschaft früher oder später das 
Rentensystem überfordern wird. Vor allem die Kommunen, die immer mehr
Rentnern Grundsicherung im Alter auszahlen, spüren, wie es um die 
finanzielle Situation vieler Ruheständler bestellt ist, dass die Zahl
armer Senioren immer stärker steigt. Dass Massenarbeitslosigkeit 
sowie die Ausbreitung des Niedriglohnsektors zu gravierender 
Altersarmut führen, dürfte ebenfalls ein schnell zu durchblickender 
Zusammenhang sein. Doch die Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose 
wurden gestrichen - und ein gesetzlicher Mindestlohn steht für 
Schwarz-Gelb natürlich keinesfalls zur Debatte. Wir brauchen eine 
Politik, deren Haltbarkeitsdatum über die nächste Legislaturperiode 
hinaus geht und Entwicklungen antizipiert. Dafür müssen Tabus fallen,
ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt und die Einnahmenbasis des 
Sozialversicherungssystems verbreitert werden, z. B. durch die 
Miteinbeziehung von Beamten und Gutverdienern oder einen 
Risikostrukturausgleich zwischen privaten und gesetzlichen 
Versicherungen. Echte Lösungen sollten Inhalt diverser 
Regierungsdialoge, Aktionsjahre und Kommissionen sein, und nicht 
reiner Aktionismus.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion 
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de