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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Streit in der Union: Knackpunkte zwischen Merkel und Seehofer von Christine Schröpf

ID: 1282966

(ots) - Überlagert von massiven atmosphärischen
Störungen geht es beim Asylgipfel von Angela Merkel, Sigmar Gabriel
und Horst Seehofer am Samstag um zentrale Fragen: Welches Land wollen
wir sein? Wo sind die Grenzen unserer Hilfsbereitschaft? Als wäre das
nicht genug, müssen unzählige praktische Aufgaben angepackt werden,
die Merkels "Wir schaffen das" zwangsläufig aufwerfen. Merkel und Co
müssen zudem verhindern, dass die Koalition in der Flüchtlingskrise
immer weiter auseinanderdriftet. Das Potenzial für Einigungen ist
klein. Vor allem vorab, beim Tête-à-Tête von Seehofer und Merkel,
müssen Herkuleskräfte mobilisiert werden, damit es zu greifbaren
Ergebnissen kommt. Sie wären zwingend nötig. SPD-Chef Gabriel hat
Recht, Streit löst kein einziges Problem. Er beflügelt nur
Politikverdrossenheit. Doch wie können Lösungen aussehen, wenn bei
Merkel und Seehofer konträre Überzeugungen aufeinanderprallen und die
eigene Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht? Knackpunkt sind
Obergrenzen bei Flüchtlingszahlen. Seehofer will sie, Merkel nicht.
Gemeinsamer Nenner ist, dass der Zustrom verringert werden soll.
Merkel sucht hier die außenpolitische Lösung. Ihr Kalkül: Wenn wieder
mehr Asylbewerber in großen Auffanglagern am Rande der EU bleiben,
kann sie den übrigen EU-Staaten leichter die dringend nötige
Verteilungsquote abringen. Ob ihr Plan funktioniert, ist aber höchst
zweifelhaft - ebenso, ob etwaige Beschlüsse unverzüglich umgesetzt
werden. Die im September in Brüssel vereinbarte Verteilung von 160
000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien ist jedenfalls -
freundlich formuliert - ins Stocken geraten. Seehofer geht alles
nicht schnell genug. Je weniger er zu Merkel durchdringt, um so
unberechenbarer sind seine Drohungen: Die Klage vor dem
Bundesverfassungsgericht gegen eine Regierung, der die CSU selbst




angehört, hat skurrile Züge. Seehofer dementiert nicht einmal
Spekulationen, dass er seine Minister aus dem Bundeskabinett abziehen
könnte. Es wäre der Gipfel der Eskalation - und ein denkbar
schlechter Schachzug. Auch wenn in Teilen seiner Partei die
Einschätzung herrscht, dass es wegen der Einflusslosigkeit in Berlin
sowieso keinen Unterschied macht, ob die CSU am Regierungstisch sitzt
oder nicht. Tatsächlich lässt die Kanzlerin Seehofer oft genug am
ausgestreckten Arm verhungern. Seine Attacken beantwortet sie mit
wenig zarten Hinweisen auf die hierarchischen Verhältnisse. Ihre
Botschaft an den bayerischen Ministerpräsidenten: Kanzlerinnen drehen
das große Rad der Politik, er nur ein kleines. Der Schlagabtausch
verdeckt, dass Seehofer bisher schon einiges angeschoben hat: Dazu
zählen neue sichere Herkunftsländer, Grenzkontrollen und mehr Geld
für die Kommunen. Auch in die Frage der Transitzonen ist Bewegung
kommen. Flüchtlinge ohne Bleibegrund sollen von dort aus rasch
abgeschoben werden. Die SPD lässt unter bestimmten Bedingungen
Kompromissbereitschaft erkennen. Die Zone soll aber einen neuen Namen
tragen. Wie wäre es mit einem, der sich in der EU eingebürgert hat?
Hotspots sollen dem gleichen Zweck dienen, nur eben an den
EU-Außengrenzen. Parteiübergreifend gilt das als gute Idee. Dabei
trifft alles, was sich gegen Transitzonen sagen lässt, auf Hotspots
in gleicher Weise zu. Wichtiges Sofortziel jenseits dieser Frage ist,
dass die Einreise der vielen Flüchtlinge aus Österreich dauerhaft
kontrolliert verläuft. Die Alpenrepublik erklärte sich am Freitag zu
ersten Zugeständnissen bereit. Ärgerlich bleibt, dass für diese
Selbstverständlichkeit langes Zetern aus Bayern nötig war. Wenn das
Nachbarland schon Tausende von Flüchtlingen einfach durchwinkt,
dürfen wenigstens nicht zuviele gleichzeitig eintreffen. Österreich
muss mehrere eigene Notunterkünfte in Grenznähe schaffen, um
Asylbewerber kurzzeitig zu versorgen. In der Flüchtlingskrise kommen
nicht nur nationale Egoismen zum Vorschein. Sie gibt jedem Bürger
Anlass, einmal das eigene Gewissen zu erforschen: Welcher Mensch
wollen Sie sein: Einer, der nicht lange fragt, wenn Andere in Not
sind? Einer der Hilfe nur zulässt, wenn es nicht auf seine eigenen
Kosten geht? Einer dessen Hilfsbereitschaft an Nationengrenzen Halt
macht? Die Flüchtlingskrise liefert nebenbei auch unverfälschte
Antworten, wann unsere eigene Mitmenschlichkeit an Grenzen gelangt.



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Datum: 30.10.2015 - 20:52 Uhr
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