(ots) - Jahresrückblicke machen uns stets die "Gnade der 
Geografie" bewusst, wie ein Kollege treffend formulierte. Wenn wir 
nicht gerade von einem Jahrhunderthochwasser heimgesucht werden, 
finden die Katastrophen an anderen Schauplätzen dieser ebenso schönen
wie zerbrechlichen Welt statt. Auch wenn uns die kriegerischen 
Konflikte in der Ostukraine bedrohlich nahegekommen sind und die 
bestialischen Hinrichtungs-Videos durch den Islamischen Staat (IS) 
über die sozialen Netzwerke unweigerlich in unser Blickfeld rücken. 
Gerade die Schreckensherrschaft islamistischer Terrorbanden wie IS 
oder Boko Haram in Nigeria, auch das Verschwinden jeder staatlichen 
Ordnung in Libyen oder Somalia sowie das Scheitern fast aller 
arabischen Revolutionen lassen uns daran zweifeln, ob es wirklich 
eine gute Idee war, demokratische Herrschaftsformen für weniger 
entwickelte Regionen oder für Regionen mit verdeckten Nationalitäts- 
und Stammeskonflikten anzustreben.
   Ein Hoch auf die Autokratie?
   Mit einem Mal hat der Ruf nach den Autokraten Hochkonjunktur, nach
den Assads, den Saddams und den anderen, die mit ihren 
Militärapparaten die Konflikte so schön unter dem Deckel gehalten 
haben. Ein Hoch auf die Despotie. Was für eine zynische Haltung. 
Unter dem Deckmantel des Pragmatismus sprechen wir anderen Menschen, 
deren Würde wir doch ebenfalls als unantastbar ansehen, die 
elementaren Menschen- und Freiheitsrechte ab. Das Hohelied auf die 
Autokraten ist nicht nur verwerflich. Es ist auch einfach nicht 
stimmig. Haben wir schon vergessen, wie viele Menschenleben Saddam 
Hussein oder die Assads auf dem Gewissen haben? Wie erfolgreich haben
wir verdrängt, dass das wahabitische Herrscherhaus in Saudi-Arabien 
sowohl Al Kaida als auch den Islamischen Staat aufgepäppelt hat? In 
all diesen Fällen war mitnichten ein Demokratieexport das Problem, 
sondern der Waffenexport sowie die Bündnisinteressen der USA 
beziehungsweise des Westens im Kalten Krieg und im Verteilungskampf 
um Gas- und Ölquellen. Und macht uns Wladimir Putin nicht gerade vor,
welch destruktive Kraft Autokraten aufbringen, wenn sie sich in ihren
außenpolitischen Interessen gestört fühlen oder innen- und 
wirtschaftspolitisch unter Druck geraten? Sind geschätzte 5000 
Menschenleben, die der inszenierte Bürgerkrieg in der Ostukraine 
bisher gekostet hat, etwa ein Pappenstiel? Ist die Destabilisierung 
der Ukraine, Moldawiens oder Georgiens legitim, weil diese Länder 
sich zur EU hin orientieren oder unter dem Dach der Nato Schutz 
suchen?
   Demokratie lässt sich nicht missionieren
   Ja, es ist schon richtig, dass sich Demokratie nicht exportieren 
oder missionieren lässt. Und natürlich ist es richtig, dass die 
Umwandlung von autokratisch geprägten Gesellschaften in demokratische
Gesellschaften einen Prozess der Aufklärung voraussetzt. Anders als 
in Europa an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit wird sich diese
Aufklärung aber nicht mehr aus den Studierstuben der Philosophen 
heraus Bahn brechen. Sie wird sich durch Bildung und durch die 
digitale Vernetzung ausbreiten. Die Erkenntnis, dass die arabischen 
Revolutionen Minderheiten-Aufstände waren, bedeutet ja nicht, dass 
diese Gruppen nicht weiter anwachsen werden. Es ist kein Zufall, dass
Boko Haram, der Name der nigerianischen Terrormiliz, wörtlich 
übersetzt "Bücher sind Sünde" bedeutet. Und noch ein Blickwinkel: Wer
der Autokratie das Wort redet, macht diese auch in Europa hoffähig. 
In Rumänien, Bulgarien und Ungarn sind längst Kräfte am Werk, die 
Meinungsfreiheit und Pluralität, demokratische Ordnung und 
Rechtsstaatlichkeit diskreditieren, die sie aushöhlen und abschaffen 
wollen. Und in Frankreich, dem Mutterland der bürgerlichen 
Revolution, geht eine Marine Le Pen mit den gleichen Zielen auf 
Stimmenfang. Das Streben nach Teilhabe und Selbstbestimmung ist kein 
Patenrezept zur Lösung von Konflikten. Wenn wir aber diejenigen 
aufgeben, die für diese Werte eintreten und sich diese Rechte an 
anderen Orten der Welt erstreiten wollen, geben wir uns selber auf.
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