(ots) - Der Mensch kann anderen alles mitteilen, was in
seiner Vorstellungskraft liegt. Das Schöne daran: Er braucht dazu nur
26 Buchstaben. 26 Buchstaben, richtig sortiert, ergeben Goethes
»Faust« und Tellkamps »Turm«, aber natürlich auch Leichtgewichte wie
»Shades of Grey«. Längst hat die Trilogie von E.L. James ihren Zenit
überschritten, doch kurz bevor sie im Keller der Bestsellerlisten
verendete, löste sie noch einen Trend zur Buchmesse aus: New Adult
ist groß im Kommen. Was das ist? Na, Entwicklungsromane wie der
»Wilhelm Meister«, nur schwer erotisch aufgepeppt. Mit gerade mal 26
Buchstaben. Kein Mensch will digitale Kalender - der zwölfblättrige
Wandschmuck mit Cartoons, Landschaften in der Provence, Tierbabys und
weiblichen Akten ist nicht totzukriegen. Eine Säule des Buchhandels.
Auch so ein Trend. Michael Krüger, der ehemalige Chef des
Hanser-Verlags, durfte dem Bibliothekar der englischen Königin einmal
vier Bücher einpacken. Zur Ansicht. Drei gingen zurück (darunter
Grass' »Katz und Maus«), aber den Prachtband über romanische Kirchen
hat die Queen noch heute. Dritter Trend also: schöne Bücher. Gut -
Bücher sind alle schön, insofern ist das eine Tautologie. Aber
Opulentes auf edlem Papier, liebevoll gestaltet, geht angesichts
seines hohen Preises unverhältnismäßig oft über den Ladentisch.
Leider kommt noch etwas anderes nicht aus der Mode: jammern. Seit
Jahren klagt die Buchbranche, sie werde die Herausforderungen des
digitalen Zeitalters nicht überleben. Eigentlich sei man schon
klinisch tot. Wenn dann der Anteil der E-Books am Gesamtumsatz um,
sagen wir, 1,7 Prozentpunkte steigt, greift man sich ans Herz, ächzt
»Nachbarin! Euer Fläschchen!« und sackt im Lesesessel zusammen. Das
ist die Macht der Zahlen. Von denen gibt es nur zehn. Viele
Zeitgenossen aber finden sie aussagekräftiger als alle 26 Buchstaben
zusammengenommen. Tatsächlich kann so ein Zahlenmensch ein ganzes
Haus zum Einsturz bringen - Buchfreunde fürchten das Schlimmste, wenn
sie sehen, wie Hans Barlach im Suhrkamp-Verlag wütet. Wohl wahr: Die
fetten Jahre sind vorbei. Der Kunde erprobt neue Methoden, an seine
Lektüre zu gelangen, und oft geht er online am Buchhändler vorbei.
Self-Publishing, die Idee, einen Text am Verlag vorbei auf den Markt
zu werfen, war vor drei Jahren so gut wie nicht existent.
Selfgepublishtes wird allerdings auch am Lektor vorbeigeschleust - es
ist also selbst schuld, wer für diesen sprachlichen Ramsch Geld
ausgibt. Auch die Digitalen arbeiten mit 26 Buchstaben. Müssen sie.
»Shades of Grey« haben sie damit bereits zustande gebracht. Den
Beweis, daß sie auch einen »Faust« hinbekommen, sind sie uns bislang
schuldig geblieben. Es bleibt dabei: Das E-Book ist der Mitspieler,
nicht der Gegenspieler des gedruckten Buches. Die Analogen dürfen
erhobenen Hauptes zur Buchmesse fahren.
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Andreas Kolesch
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