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Landeszeitung Lüneburg: ,,Schlusstrich ist nicht in Sicht" -- Interview mit Uwe Neumärker, Direktor des Holocaust-Mahnmals

ID: 806997

(ots) - Hitler kämpfte im Dreißigjährigen Krieg oder war
der erste Mensch auf dem Mond: Antworten von Schülern auf die Frage
nach dem Nationalsozialismus. Droht 80 Jahre nach der Machtübernahme
der Schlussstrich des Vergessens? Uwe Neumärker, Direktor des
Holocaust-Mahnmals, befürchtet dies nicht: "Das Erinnern wird sich
wandeln, aber der Völkermord an den Juden behält eine zentrale
Rolle."

Gibt es eine globale Angleichung der Erinnerungskultur an den
Holocaust oder geht Deutschland einen Sonderweg?

Uwe Neumärker: Ich würde nicht von einem deutschen Sonderweg
reden. Jedes Land geht seinen eigenen Weg, wobei Deutschland eines
der Länder mit einer Vielzahl historischen Orte der Verbrechen ist.
Das wurde in den 1990er-Jahren deutlich bei der kontroversen Debatte
um die Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.
Trotz einiger Widerstände entschied man sich, mitten in unserer
Hauptstadt ein Symbol für unsere Verantwortung zu errichten und dies
mit einer Ausstellung zu ergänzen. Auch in diesem Fall präsentierte
sich die deutsche Erinnerungskultur als Zusammenspiel zwischen
bürgerschaftlichem Engagement, staatlicher Erinnerung und Initiativen
aus den Ländern. Insofern geht Deutschland einen besonderen Weg, aber
keinen Sonderweg.

Ist die Errichtung von Denkmälern für nationale Schande nicht
etwas Besonderes? In Nachbarländern stehen eher Siegerdenkmäler...

Neumärker: Die Zeit für Siegerdenkmäler ist in Deutschland mit der
Niederlage im Zweiten Weltkrieg zu Ende gegangen. Der Bruch mit der
Vergangenheit ist tief, weil die Verbrechen, die im deutschen Namen
begangen wurden, einmalig sind. Es hat ja auch lange gedauert, bis
Deutschland sich zu seiner Schuld bekannte und die Vergangenheit
aufarbeitete. Mittlerweile wird international anerkannt, wie
vielfältig die deutsche Gedenkkultur ist. Natürlich gibt es auch in




anderen Ländern Denkmäler für Opfer. Aber es ist schon etwas
Besonderes, dass Deutschland in seiner Hauptstadt bisher drei
derartige Denkmäler errichtet hat: für die ermordeten Juden Europas,
für die verfolgten Homosexuellen und für die ermordeten Sinti und
Roma. Im vergangenen Jahr hat sich der deutsche Staat zudem
entschlossen, an der Tiergartenstraße 4 einen Gedenk- und
Informationsort für die Opfer der sogenannten Euthanasie -- der
"T4-Aktion" -- zu errichten. Denkmäler haben in Deutschland immer
auch ein aufklärerisches Element. Wir müssen vor allem jungen
Menschen vermitteln, warum wir diese Denkmäler errichtet haben, damit
wir -- so platt es klingt -- aus der Erinnerung etwas für Gegenwart
und Zukunft lernen.

Welche Stadien durchlief die Erinnerungskultur in Deutschland?

Neumärker: Nach Ende des Krieges geschah lange Zeit nichts. Das
Beschweigen der Taten durch die Täter. Das Verschweigen des Leidens
durch überlebende Opfer. Pauschal wurden viele NS-Gesetze ja erst in
den 1990er-Jahren aufgehoben. Gruppen, etwa die Sterilisierten und
die sogenannten "Asozialen", litten auch in der jungen Bundesrepublik
unter Stigmatisierung. Der durch die Nationalisten verschärfte
Homosexuellenparagraph 175 galt unverändert bis 1969. Die Nürnberger
Kriegsverbrecherprozesse waren zwar das Fanal der Sieger, doch die
deutsche Bevölkerung hat dies kaum angenommen. Das Verdrängen der
Schuld herrschte vor. Gegenwärtig wurde die Vergangenheit dann wieder
durch den Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958, den Eichmann-Prozess 1961
in Jerusalem und den Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963-1965. Einen
Schub brachte dann die Abrechnung der 68er-Generation mit ihren
Vätern sowie die TV-Serie "Holocaust" 1979. Die US-Produktion löste
eine Welle der Empathie aus, brachte damit einen Stein ins Rollen,
der unter anderem zu der Bürgerinitiative führte, die 1986/87 den Bau
eines Denkmals für die ermordeten Juden forderte. Zugleich schwang
das Pendel an anderer Stelle zurück. Der Historiker Ernst Nolte legte
in Frageform den Eindruck nahe, der Nationalsozialismus selbst wie
auch der Vernichtungskrieg im Osten und die Ermordung der Juden seien
nichts weiter als eine Art präventiver Reaktion der deutschen Eliten
gewesen -- geboren aus der Angst vor dem Stalinschen Terror. Der
nachfolgende Historikerstreit bewegte die Öffentlichkeit. Mit dem
Fall der Mauer gewann die Debatte um die Notwendigkeit eines Denkmals
für die ermordeten Juden an Schwung. Angesichts spürbarer
Zurückhaltung, ja Ängsten im Ausland gegenüber einem
wiedervereinigten Deutschland wuchs der Druck zur Selbstverständigung
über die eigene Vergangenheit. Und die Debatte um das
Holocaust-Mahnmal war eine über das deutsche Selbstverständnis --
ähnlich wie die über den Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin. Am
Ende war es dann der Souverän, also das Volk -- vertreten durch den
Bundestag --, das für dieses Denkmal votierte.

Wie groß ist die Gefahr einer ritualisierten Erstarrung des
Gedenkens?

Neumärker: Gedenken an festgelegten Tagen birgt immer die Gefahr
einer Ritualisierung. Aber ich glaube, dass mittlerweile ein breiter
Konsens in der Gesellschaft besteht über die Erinnerung an die
Verbrechen und die Opfer. Ein Beleg dafür sind die unzähligen
Initiativen aus der Bevölkerung, beispielsweise die
Stolperstein-Kampagne. Das darf man nicht geringschätzen, weil so
auch weitgehend verdrängte Kapitel ans Licht geholt werden -- etwa im
Moment über den Vorstoß, ehemalige Zwangsarbeiterlager auf dem
Gelände des früheren Flughafens Tempelhof als solche zu kennzeichnen.
Auch bei dem beschlossenen Denkmal für die ermordeten
Psychiatriepatienten ging die Initiative von einem Runden Tisch aus.
Wie unterscheidet sich das Erinnern in Italien und Japan -- den
anderen beiden Kriegsverlierern -- vom deutschen? Neumärker: Eine
gute Frage. Im Falle Japans gibt es -- je nachdem, wie
nationalistisch die jeweile Regierung ist -- immer wieder
Schwierigkeiten mit Korea und China, weil japanischen
Kriegsverbrechern in Schreinen gehuldigt wird oder Verbrechen wie die
Zwangsprostituierung von Koreanerinnen als "Trostfrauen" und die
Massenvergewaltigungen und Morde in Nanking abgestritten werden. In
konservativen Kreisen hat man den Verlust nationaler Größe
offensichtlich nicht verwunden. In Italien wird die Aufarbeitung des
Faschismus häufig überlagert von Diskussionen über sogenannte
Vergeltungsverbrechen von Deutschen in Italien. An Orten von
Massakern wie den Ardeatinischen Höhlen im Süden Roms oder dem Ort
Marzabotto gibt es Denkmäler. Desweiteren wird eine Debatte geführt
über die italienischen Militärinternierten, die von Berlin lange
nicht als NS-Opfer anerkannt und entsprechend nicht entschädigt
wurden. Aber zumindest wurde nun nach der Arbeit einer
deutsch-italienischen Historikerkommission beschlossen, diesen Opfern
ein Denkmal zu setzen.

Jede Generation eignet sich die Vergangenheit neu an. Wird der
Nationalsozialismus auch wieder von der Unterhaltungskultur
ausgeschlachtet werden?

Neumärker: Das war noch nie anders. Es gibt kein Jahr, in dem
nicht mehrere größere Filme zu diesem Thema gedreht werden -- von
"Stalingrad" über "Rommel" bis zu "Das Leben ist schön". Trotz allen
Kitsches sind derartige populäre Bearbeitungen dennoch geeignet,
dieses Thema in einer breiteren Öffentlichkeit zu verankern.
Persönlich finde ich viele Verfilmungen nicht besonders gelungen. Ein
positives Gegenbeispiel wäre aber der Film über das "Adlon-Hotel".
Sind Bücher wie die "Die Wohlgesinnten" von Jonathan Littell Vorboten
eines Wechsels in die Täter-Perspektive? Neumärker: Natürlich es es
reizvoll, zu versuchen, sich in die Täter hineinzuversetzen. Ich habe
das Buch nicht gelesen, obwohl Peter Eisenman, der Architekt des
Holocaust-Denkmals, es mir empfohlen hat. Literarisierungen dieser
Art mag ich nicht, vielmehr setze ich auf populäre Sachbücher.

Sind Maßnahmen wie das Anlegen eines Facebook-Profils für ein
Holocaust-Opfer geeignet, um Jüngeren das Thema näher zu bringen?

Neumärker: Ich bin Historiker, kein Pädagoge -- zudem kein
Facebook-Nutzer, insofern halte ich mit einem Urteil zurück. Wenn ein
solches Profil aber gut gemacht ist, kann es -- wie auch im Falle von
Anne Frank -- dazu führen, dass junge Menschen sich mit dem Thema
beschäftigen. Und das wäre gut. Unsere Stiftung hat auch eine Website
erstellt über jugendliche Opfer des Nationalsozialismus, die sich
gezielt an jugendliche Nutzer wendet. Wichtiger wird dieses, weil der
Nationalsozialismus für Jugendliche extrem weit weg ist. Schon der
Mauerfall oder der 17. Juni 1953 erscheinen Heranwachsenden so weit
weg wie für uns die Schlesischen Kriege.

Können die beiden unterschiedlichen Erinnerungskulturen der
deutschen Staaten verschmolzen werden?

Neumärker: In den Generationen, die beispielsweise noch gelernt
haben, dass die DDR ausschließlich in der antifa"schis"tischen
deutschen Tradition stehe, wahrscheinlich nicht mehr. Ein Beispiel:
Am Wochenende war ich im ehemaligen KZ Buchenwald, das sowohl als Ort
nationalsozialistischen als auch stalinistischen Terrors eine Rolle
spielt. Und da fand ich in der 1995 konzipierten Dauerausstellung --
die nun überarbeitet werden soll -- bemerkenswert, dass das Gedenken
zu DDR-Zeiten keine Rolle spielte. Vereinbar sind die
bundesrepublikanische und die DDR-Gedenkkultur zwar ohnehin nicht,
aber das Problem erledigt sich. Die Generationen, die im
wiedervereinigten Deutschland aufwachsen, erleben die Widersprüche
nicht mehr.

Belegt die wiederbelebte Beschäftigung mit Flucht, Vertreibung und
Bombenangriffen, dass die kollektive Erinnerung sich wandelt?

Neumärker: Die Themen Flucht und Vertreibung waren zumindest in
der frühen Bundesrepublik ohnehin zentral. Eine verstärkte
Inblicknahme von Deutschen als Opfern ist nicht verwerflich, solange
man klar Ursache und Wirkung benennt: Erst gab es den deutschen
Angriffs- und Vernichtungskrieg, dann Flucht, Vertreibung und
deutsche Teilung. Man darf auch nicht vergessen, dass es auch in den
Ostgebieten, die Deutsche schließlich als Heimat verloren, Juden
sowie Sinti und Roma verfolgt und Psychiatriepatienten umgebracht
wurden. Diese dunkle Seite wird in der Erinnerungskultur an die
ehemaligen deutschen Ostgebieten bislang praktisch nicht
berücksichtigt.

Wird die Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus in 50
Jahren noch diesen breiten Raum einnehmen?

Neumärker: Ich denke, dass diese Erinnerung weiterhin eine
zentrale Rolle spielen wird. Auch in der Hoffnung -- und hier bin ich
optimistisch --, dass Deutschland so zivilisiert wie in den letzten
60 Jahren bleibt. Aber es wird andere Formen des Erinnerns geben. Wie
künftige Generationen sich dieses Thema aneignen werden, ist eine
spannende Frage.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe(at)landeszeitung.de


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Datum: 31.01.2013 - 16:46 Uhr
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