(ots) - An diesem milden Sonntag, 22.09.13, klingelte um
kurz nach vier Uhr nachmittags das Telefon von Peer Steinbrück. Am
anderen Ende der Leitung: Gerhard Schröder. "Glückwunsch, Kanzler",
sagte Schröder nur. Was das Wahlvolk noch nicht wusste, wussten die
Spitzenpolitiker aller Parteien seit vier Uhr, seitdem sie die
Wählerbefragungen der großen Meinungsforschungsinstitute vorliegen
hatten. Die SPD hatte die Wahl gewonnen, Steinbrück konnte nach Willy
Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder der vierte
sozialdemokratische Bundeskanzler werden. Wie hatte es zu dieser
Überraschung, die noch am Beginn des Jahres 2013 niemand auf der
Rechnung hatte, kommen können? Alles begann mit dem Ende der
Euro-Krise, der den Ruf der Kanzlerin als Hüterin deutscher
Geldbörsen begründet hatte. Die Italiener hatten Berlusconi nicht
gewählt, die Südländer waren im Frühjahr wieder auf die Beine
gekommen, die Konjunktur in Europa begann anzuspringen und in Spanien
ging die Jugendarbeitslosigkeit zurück. Optimismus breitete sich auf
dem gesamten Kontinent aus. Und plötzlich wurde eine Krisenkanzlerin
nicht mehr gebraucht. Das wiederum hatte die Union viel zu spät
begriffen. Zu lange hatten sich die Christdemokraten von den Umfragen
blenden lassen, die ihnen einen ungefährdeten Wahlsieg vorhergesagt
hatten an der Seite der Liberalen. Dass die Deutschen der FDP eine
mindestens vierjährige parlamentarische Auszeit bescheren würden, war
nach dem Wechsel im Parteivorsitz vom glücklosen Rösler zum
fröhlichen Brüderle lange ausgeschlossen worden. Aber der Beschluss
des FDP-Präsidiums kurz vor der Wahl, Apotheker und Anwälte wegen
deren "Systemrelevanz" von der Einkommensteuer auszunehmen, hatte am
Ende noch die letzten Freunde der Liberalen verprellt. Den Grünen
wiederum war die Illusion gelungen, sich als die eigentlich liberale
Kraft darzustellen: 15 Prozent. Jürgen Trittin zögerte an diesem
Wahlsonntag auch nur bis 18 Uhr, ob er nicht lieber eine Koalition
seiner Grünen mit der geschwächten schwarzen Kanzlerin vorziehen
sollte. Dann rief er bei Steinbrück an. "Wir beide regieren
Deutschland, Herr Steinbrück. Sie können mich Jürgen nennen."
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