(ots) - Der jahrzehntelange politische Streit über die 
Schulstrukturen und das gegliederte Schulsystem scheint in 
Deutschland - zumindest auf den ersten Blick - auf einen Konsens 
hinauszulaufen: die Zweigliedrigkeit. Auf den zweiten Blick 
allerdings wird deutlich, dass diese Zweigliedrigkeit in den 
Bundesländern durchaus unterschiedlich interpretiert und umgesetzt 
wird. Wir haben die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia 
Löhrmann und den niedersächsischen Kultusminister Bernd Althusmann 
gebeten, die Besonderheiten ihres Schulsystems und die Unterschiede 
zu dem jeweils anderen Bundesland aufzuzeigen.
   Bernd Althusmann: Die Oberschule ist Teil des differenzierten 
Schulsystems. Wie wird die Zweigliedrigkeit in Niedersachsen 
umgesetzt - was sind die Besonderheiten der Oberschule?
   Bernd Althusmann: Die Oberschule wird meiner Einschätzung nach zur
festen zweiten Säule neben dem Gymnasium werden. Sie bietet gerade 
eher beruflich orientierten Jugendlichen eine echte Chance auf einen 
qualitativen Bildungsabschluss nach Klasse 10 und eröffnet zusätzlich
entweder über einen gymnasialen Zweig den Weg zum Gymnasium oder zum 
beruflichen Gymnasium und damit zum Abitur nach 13 Jahren. Persönlich
hoffe ich, dass damit die Weichen in den nächsten zehn Jahren für ein
zweigliedriges Schulsystem gestellt werden. Die Oberschule ist auch 
in der Frage gemeinsamen Unterrichts die flexibelste Schulform in 
Niedersachsen.
   Welche Abschlüsse können Schüler in der Oberschule erlangen?
   Bernd Althusmann: Schüler können an der Oberschule am Ende des 10.
Schuljahrgangs folgende Abschlüsse erwerben: Den erweiternden 
Sekundarabschluss I, der zum Besuch der Einführungsphase der 
gymnasialen Oberstufe des allgemeinbildenden Gymnasiums (10. 
Schuljahrgang) sowie eines beruflichen Gymnasiums (11. Schuljahrgang)
berechtigt, den Realschul- sowie den Hauptschulabschluss (der auch 
schon am Ende des 9. Schuljahrgangs erworben werden kann).
   Das Abitur ist also über anschließende externe Wege möglich. 
Bereiten alle Oberschulen ihre Schüler auf diese Wege vor?
   Bernd Althusmann: Unsere Oberschulen bereiten Schülerinnen und 
Schüler auf die bevorstehenden Herausforderungen vor. Die schulischen
Anschlussmöglichkeiten sind umfassend und vom jeweils an der 
Oberschule erworbenen Abschluss abhängig. Schülerinnen und Schüler 
sind je nach Abschluss berechtigt, in eine berufsbildende Schule (z. 
B. Fachoberschule, berufliches Gymnasium) oder in eine gymnasiale 
Oberstufe des allgemeinbildenden Gymnasiums bzw. der Gesamtschule zu 
wechseln.
   Warum bietet die Oberschule nicht von vornherein alle Abschlüsse 
an?
   Bernd Althusmann: Es werden alle Abschlussmöglichkeiten ermöglicht
- außer der Hochschulreife. Für mich sind zwei Dinge entscheidend: 
Schülerinnen und Schüler sollen möglichst lange eine Option auf einen
höchstmöglichen Abschluss erhalten, das entspricht auch dem Wunsch 
vieler Eltern. Gleichzeitig ist ein berufsorientierter Schwerpunkt 
wichtig. Insofern ist die Oberschule für viele genau der richtige 
Weg.
   Was unterscheidet das niedersächsische vom nordrhein-westfälischen
Schulsystem?
   Bernd Althusmann: Es gibt natürlich deutliche Unterschiede. Die 
Oberschule ist Teil des differenzierten Schulsystems und fördert 
insbesondere in den beiden letzten Jahrgängen 9 und 10 die 
beruflichen Profile der Schülerinnen und Schüler vor dem 
begabungsgerechten Abschluss. Grundsätzlich: Bei uns hat die 
Oberschule mehr inhaltliche Freiheiten, über die nicht wie in NRW der
Schulträger bestimmt. Darüber hinaus muss eine Oberschule nur 
mindestens zweizügig sein, während eine Sekundarschule mindestens 
dreizügig ist. Dies ist gerade angesichts des demografischen Wandels 
in einem großen Flächenland ein wichtiges Signal zum Erhalt von 
Schulstandorten in der Fläche Niedersachsens.
   Sylvia Löhrmann: "Die Sekundarschule ist eine Schule des längeren 
gemeinsamen Lernens"
   Wie wird die Zweigliedrigkeit in Nordrhein-Westfalen umgesetzt - 
was sind die Besonderheiten der Sekundarschule?
   Sylvia Löhrmann: Es gibt in Nordrhein-Westfalen keine von oben 
verordnete Zweigliedrigkeit. Wir haben mit Hauptschulen, Realschulen,
Gymnasien, Gesamtschulen und Sekundarschulen ein vielfältiges 
Schulsystem, das der Verschiedenheit der Kinder und Jugendlichen 
gerecht wird. Über das konkrete weiterführende Schulangebot wird bei 
uns vor Ort entschieden. Das Land gibt mit dem Schulgesetz den Rahmen
vor, in dem sich die Kommunen bei der Schulentwicklungsplanung 
bewegen können.
   Die nordrhein-westfälische Schullandschaft befindet sich im 
Wandel. Zwei Entwicklungen treiben diesen Wandel voran. Zunächst die 
demografische Entwicklung. Der Schülerrückgang führt dazu, dass vor 
allem in den ländlichen Regionen Schulstandorte von der Schließung 
bedroht sind. Hinzu kommt das veränderte Schulwahlverhalten der 
Eltern. Sie wollen die Schicksalsentscheidung nach Klasse vier nicht 
mehr und die Bildungswege ihrer Kinder länger offenhalten. Der 
Schulkonsens vom Sommer 2011 und das im Oktober 2011 von den 
Fraktionen von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen verabschiedete neue
Schulgesetz ist die Antwort auf diese beiden Entwicklungen. Dieser 
Schulkonsens hat den Weg freigemacht weg von ideologischen hin zu 
pragmatischen Entscheidungen. Kernelement sind die Schaffung der 
neuen Schulform Sekundarschule und die erleichterte Gründung von 
Gesamtschulen. Sie entsteht in der Regel aus der Zusammenführung 
verschiedener Schulformen und bietet den Kommunen die Möglichkeit, 
ein wohnortnahes, attraktives, umfassendes Schulangebot zu erhalten 
bzw. zu schaffen.
   Die Sekundarschule ist eine Schule der Sekundarstufe I. Sie 
umfasst die Jahrgänge fünf bis zehn und ist in der Regel eine 
Ganztagsschule. Die Sekundarschule ist eine Schule des längeren 
gemeinsamen Lernens. Mindestens in den Klassen fünf und sechs lernen 
alle Kinder gemeinsam, danach wird vor Ort entschieden, ob weiter 
integriert, teilintegriert oder in mindestens zwei getrennten 
Bildungsgängen (kooperativ) gelernt wird. Mit der Sekundarschule und 
der Gesamtschule gibt es in Nordrhein-Westfalen jetzt zwei 
Schulformen des längeren gemeinsamen Lernens.
   Bis Ende des Jahres 2011 sind bei den Bezirksregierungen insgesamt
51 Anträge auf Errichtung einer Sekundarschule eingegangen. Darüber 
hinaus liegen 21 Anträge auf Errichtung einer neuen Gesamtschule vor.
Alle wollen zum Schuljahr 2012/13 an den Start gehen. Das ist ein 
sehr gutes Ergebnis und zeigt, wie überfällig der Schulkonsens war.
   Welche Abschlüsse können Schüler in der Sekundarschule machen?
   Sylvia Löhrmann: Die Sekundarschule führt zu allen Abschlüssen der
Sekundarschule I und ermöglicht durch mindestens eine verbindliche 
Kooperation mit einem Gymnasium, einer Gesamtschule oder einem 
Berufskolleg den Anschluss an die gymnasiale Oberstufe. Eltern wissen
also bereits bei der Anmeldung, an welcher Schule ihre Kinder bei 
guter Leistungsentwicklung den Weg zum Abitur fortsetzen können.
   Das Abitur ist also über anschließende externe Wege möglich. 
Bereiten alle Sekundarschulen ihre Schüler auf diese Wege vor?
   Sylvia Löhrmann: Ja, alle Sekundarschulen bieten ihren 
Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, sich sowohl auf die 
berufliche Ausbildung als auch auf die Hochschulreife vorzubereiten. 
Alle Sekundarschulen bieten von Anfang an auch gymnasiale Standards. 
Dazu gehört unter anderem auch, dass ab Klasse sechs eine zweite 
Fremdsprache gewählt werden kann. Wie im Gymnasium und in der 
Gesamtschule gibt es dann ab Klasse acht ein weiteres 
Fremdsprachenangebot.
   Warum bietet die Sekundarschule nicht von vornherein alle 
Abschlüsse an?
   Sylvia Löhrmann: Weil sie auch aufgrund der Größe über keine 
eigene Oberstufe verfügt. Das Abitur wird aber - wie schon gesagt - 
durch die verbindliche Kooperation mit der Oberstufe einer anderen 
Schule ermöglicht. Wenn es in einer Kommune den Bedarf für eine 
Schule des längeren gemeinsamen Lernens mit eigener Oberstufe gibt, 
dann kann der Schulträger eine Gesamtschule gründen. Wir haben mit 
dem Schulkonsens die Errichtung von Gesamtschulen erleichtert und die
notwendige Mindestschülerzahl von 112 auf 100 Schülerinnen und 
Schüler abgesenkt. Dass dieses Angebot angenommen wird, zeigen die 21
Anträge auf Errichtung einer neuen Gesamtschule zum nächsten 
Schuljahr. Zum Vergleich: 1970 gab es in Nordrhein-Westfalen neun 
Gesamtschulen, 1978 waren es 30. Das macht 21 Gesamtschulgründungen 
im Verlauf von acht Jahren. Diese Zahl erreichen wir jetzt in nur 
einem Jahr. Das zeigt: Die Menschen wollen das längere gemeinsame 
Lernen.
   Was unterscheidet das nordrhein-westfälische vom niedersächsischen
Schulsystem?
   Sylvia Löhrmann: Die Unterschiede sind klein, aber fein. Beide 
Bundesländer haben ein vielfältiges Schulsystem. Beide Bundesländer 
stehen mit dem demografischen Wandel und dem veränderten 
Elternwahlverhalten vor ähnlichen Herausforderungen. Und beide 
Bundesländer haben darauf mit der Einführung einer neuen Schulform 
reagiert. In Niedersachsen ist es die Oberschule, in 
Nordrhein-Westfalen die Sekundarschule. Doch während in der 
Oberschule früher oder später doch wieder differenziert wird, kann in
der Sekundarschule - wenn es vor Ort gewünscht wird - bis Klasse zehn
gemeinsam gelernt werden. Wir legen großen Wert auf die gymnasialen 
Standards. Durch das längere gemeinsame Lernen wollen wir mehr 
Schülerinnen und Schüler zu besseren Abschlüssen führen. Eines 
unserer Hauptprobleme ist doch, dass der Bildungserfolg in 
Deutschland immer noch zu stark von der sozialen Herkunft abhängt. 
Anders als in Niedersachsen legen wir den Gesamtschulen keine Steine 
in den Weg, sondern unterstützen sie, jetzt sogar gemeinsam mit der 
CDU.
   Dazu auf der didacta 2012
   14. Februar 2012
   Bildungspolitische Herausforderungen und niedersächsische 
Antworten, Leitlinien aktueller Bildungspolitik in Niedersachsen, Dr.
Bernd Althusmann, Niedersächsischer Kultusminister, 15.30 bis 16.30 
Uhr, Halle 16, Stand E24,  Forum Bildung
   15. Februar 2012
   Warum die anderen (nicht?) besser sind - Bildungssysteme auf dem 
Prüfstand 
   Podiumsdiskussion mit Markus Biechele, Goethe-Institut New Delhi; 
Dr. Karin Zimmer, DIPF (Deutsches Institut für Internationale 
Pädagogische Forschung) Prof. Dr. Olaf Köller, Leibniz-Institut. 
Moderation: Andreas Stopp, Deutschlandfunk, 15 bis 15.45 Uhr, Halle 
23, Stand A22, Forum didacta aktuell
   16. Februar 2012
   Auf der Bildungskonferenz: "Bildung kommunal (mit)gestalten" (9.15
bis 14 Uhr): Die Rolle der Kommunen im Bereich der Bildung aus Sicht 
des Landes Niedersachsen, Dr. Bernd Althusmann, Niedersächsischer 
Kultusminister, 11 bis 11.30 Uhr, Convention Center (CC), Saal 2
   Endstation Zweigliedrigkeit? Wie der demografische Wandel den 
Schulfrieden erzwingt. 
   Podiumsdiskussion mit Dr. Bernd Althusmann, Kultusminister 
Niedersachsen; Sylvia Löhrmann, Schulministerin Nordrhein-Westfalen; 
Ties Rabe, Schulsenator, Hamburg und KMK-Präsident. Moderation: Peter
E. Kalb. 12.30 bis 13.45 Uhr, Halle 16, Stand E24, Forum Bildung
   Schule neu denken - Auf dem Weg zu einer humanen Schule für alle?
    Podiumsdiskussion mit Dr. Bernd Althusmann, Kultusminister 
Niedersachsen; Erzbischof Hans-Josef Becker; Landesbischof Ralf 
Meister; Dr. Brigitte Schumann, Bildungsjournalistin. Moderation: Jan
von Lingen, Radiopastor NDR 1, 14 bis 15.15 Uhr, Halle 16, Stand E24,
Forum Bildung
   Die Oberschule in Niedersachsen, Referenten: Carsten Huge, 
Oberschule Gehrden; Benno Martens, Oberschule Bad Bederkesa, 14 bis 
15 Uhr, Halle 16, Stand E36, Forum Unterrichtspraxis
   17. Februar 2012
   Heterogenität pädagogisch nutzen, Podiumsdiskussion mit Heiner 
Hoffmeister, Niedersächsisches Kultusministerium; Ulrike Jürgens, 
Bildungshaus Schulbuchverlage; Dr. Heinz Klippert, Dozent; Wolfgang 
Vogelsaenger, Schulleiter. Moderation: Peter E. Kalb, 11 bis 12.15 
Uhr, Halle 16, Stand E24, Forum Bildung
   Die Zukunft der Schule in Niedersachsen, Podiumsdiskussion mit 
Hans-Henning Adler, Vorsitzender der Fraktion Die Linke; Björn 
Försterling, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion; Frauke 
Heiligenstadt, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion; Ina 
Korter, bildungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen; Dr. 
Karl-Ludwig von Danwitz, bildungspolitischer Sprecher der 
CDU-Fraktion. Moderation: Saskia Döhner, Hannoversche Allgemeine 
Zeitung, 15.30 bis 16.45 Uhr, Halle 16, Stand E24, Forum Bildung
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