(ots) - Hannelore Kraft verbringt den Jahreswechsel in
Neuseeland, außer Rufweite der Landespolitik. Die Ministerpräsidentin
hat wenig Grund zur Sorge, dass daheim irgendetwas anbrennen könnte.
Seit eineinhalb Jahren regiert ihre rot-grüne Koalition NRW ohne
eigene parlamentarische Mehrheit und hat doch zentrale Wahlkampfziele
bereits durchgesetzt. Die Abschaffung der Studien- und
Kindergartenbeiträge mit freundlicher Unterstützung der Linkspartei,
eine große Schulreform in Kooperation mit der CDU, milliardenschwere
Kommunalhilfen mit der FDP. Die SPD feiert Kraft als heimliche
Kanzlerreserve, und eine aktuelle Umfrage sieht die Partei wieder
stabil als Nummer eins im Land. Erweist sich der demokratische
Notbehelf "Minderheitsregierung" am Ende als stabilste
Herrschaftsform?
Krafts Stärke ist zum einen die Schwäche der Opposition. CDU, FDP
und Linkspartei können ihre Parlamentsmehrheit kaum gegen die
Regierung ausspielen, weil sie inhaltlich meist völlig
unterschiedlicher Ansicht sind. Zudem fürchten alle Drei das letzte
Mittel, den Regierungssturz, weitaus mehr als die Regierung selbst.
Bei vorzeitigen Neuwahlen drohte FDP und Linkspartei der Absturz. Die
CDU zöge mit der Hypothek einer schaurigen Regierungsbilanz in Berlin
und eines anderweitig beschäftigten/interessierten/talentierten
Landeschefs Röttgen in die Schlacht. So fällt es Kraft leicht, nach
Bedarf einen Partner für ihre "Koalition der Einladungen" aus dem
Oppositionslager zu pflücken. Schon jetzt werden Wetten angenommen,
dass Rot-Grün auch im Frühjahr 2012 den nächsten Haushalt durch den
Landtag bringt.
Die ungewöhnliche Konstellation korrespondiert mit dem
Führungsstil der Ministerpräsidentin. Die für eine Spitzenpolitikerin
verblüffend nahbare Kraft agiert bodenständig, unideologisch,
zuweilen volkstümlich, vor allem vorsichtig. Sie taugt nicht zum
Feindbild, baut keine Gegensätze auf. Die eigene Basis hat
akzeptiert, dass sie "Rot pur" nicht liefern kann. Ob Rot-Grün so bis
2015 weiterregieren kann?
Fazit: Kraft nutzt die Chancen einer Minderheitsregierung clever,
ihre Achillesferse bleibt jedoch die Verschuldungspolitik. Bricht die
Konjunktur ein oder steigen die Zinsen, wird auch Rot-Grün brachial
sparen und Großdemonstrationen vor der Staatskanzlei ertragen müssen.
Ein Regierungswechsel im Bund 2013 könnte überdies die komfortable
Umfragelage rasch verändern.
Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 - 804 6519
zentralredaktion(at)waz.de