PresseKat - Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Die Berliner Republik feiert den Tag der Deutschen Einheit

Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR
Die Berliner Republik feiert den Tag der Deutschen Einheit
Deutsches Biedermeier
THOMAS SEIM

ID: 491510

(ots) - Es wird schön werden am Wochenende. Wir werden
draußen im Garten sitzen bei Bier, Wein und Grillgut und darüber
räsonieren, dass ein "Indian Summer" uns ein wenig entschädigt für
die vollkommen verregneten Sommermonate. Das ist gut so. Wir können
ja auch stolz auf Geleistetes zurückblicken: Die Arbeitslosenzahlen
sinken, die deutsche Wirtschaft ist noch ganz gut unterwegs trotz der
gesamten Weltfinanzkrise, wir haben in dieser Woche vor dem Tag der
Deutschen Einheit schnell noch Europa und den Euro gerettet, und die
Fußballstadien sind auch einigermaßen gefüllt am Wochenende. Lasst
uns also nicht hadern mit den Schwierigkeiten, sondern das Leben in
Einheit und Freiheit genießen. Alles ist gut! Deutsches Biedermeier.
Zum 21. Mal jährt sich am Montag der Tag der Deutschen Einheit, und
Nordrhein-Westfalen darf den Festtag ausrichten. Drei Tage lang wird
in Bonn, dem alten Regierungssitz, gefeiert. Der Bundespräsident
kommt und die Ministerpräsidentin auch. Leider allerdings muss man
zur Kenntnis nehmen, dass diese Feierfunktion eine der wenigen
Funktionen ist, die die Bundesländer insgesamt und NRW im Besonderen
noch behalten darf. Die Wirtschaftsmacht auf Platz 20 der Welt und
Platz sieben in der EU feiert - zu Recht - einen bemerkenswerten
Schulfrieden. Den Rest aber macht Berlin. Die Wucht des größten
Bundeslandes NRW nämlich spielt bei den Entscheidungen in Berlin nur
noch eine nachgeordnete Rolle. Kein Gedanke mehr daran, dass ein
Ministerpräsident wie Johannes Rau wesentliche Entscheidungen des
Bundeskanzlers Helmut Kohl beeinflussen konnte. Kein Wolfgang Clement
in Sicht, der einem Bundeskanzler Gerhard Schröder die Senkung des
Spitzensteuersatzes auf 42 Prozent in die Koalitionsverhandlungen
diktieren und die rot-grüne Koalition zum Wackeln bringen konnte.
Heute gibt es nicht mal mehr einen Aufstand in NRW, wenn der deutsche




Verteidigungsminister den - im Kern sicher unvermeidbaren und
überfälligen - Komplett-umzug der Bundesregierung nach Berlin
vorbereitet. Den anderen Bundesländern geht es nicht besser. Dabei
waren die Länder zuerst da. Nur weil es sie gab, konnte die
Bundesrepublik gegründet und erfolgreich entwickelt werden. Der
deutsche Föderalismus ist das Geheimnis für unseren Frieden und
Wohlstand. Deutschland aber entwickelt sich immer mehr zur Berliner
Republik, zu einem Zentralstaat, der die Länder nur als notwendige
Verwaltungseinheiten zum Durchregieren registriert. Das wird
befördert durch einen Rückzug der Wirtschaft aus dem Politischen. Sie
überlässt zunehmend den Banken die Artikulation von Reform- und
Zielvorstellungen. Der Atomausstieg wird ohne erkennbares
Energiekonzept beschlossen und durchgesetzt - Widerstand der
Wirtschaft Fehlanzeige. Die Euro-Krise: Wo waren da die starken
deutschen Unternehmen, die ihre Interessen nachhaltig und
wirkungsvoll bei der Kanzlerin vortrugen und wenigstens einen Teil
davon durchsetzten? Libyen-Krise, Syrien-Aufstand, der Aufstieg der
Türkei zu einer Regionalmacht, die wir irgendwann vermutlich bitten
müssen, in die EU zu kommen und die Brücke nach Asien zu bilden,
statt ihnen Bedingungen für einen EU-Beitritt diktieren zu wollen -
wo artikulieren Wirtschaft und Politik der Länder ihre Interessen?
Ein starker deutscher Zentralstaat ohne die Korrektur der Politik
durch die Länder birgt ein hohes Risiko. Wie hoch, das konnten wir
bei dem Management der Euro-Krise spüren. Der Versuch, die Debatte
und die Entscheidungen in der Eurozone zu dominieren, hat die alten
Ressentiments in den Partnerstaaten gegen eine Vormacht der Deutschen
wieder geweckt. Und leider gab es auch bei unseinige, aus der
rechtskonservativen Szene kommende, populistische Versuche, sich
öffentlich über Länder wie Griechenland zu erheben und sie als
minderwertige oder unfähige europäische Völker zu denunzieren. Der
Tag der Einheit: Es ist sicher ein Glück, dass wir an diesem schönen
verlängerten Wochenende 66 Jahre nach dem letzten Krieg in Frieden
und Wohlstand feiern können und dürfen. Aber es ist falsch, sich ins
Private zurückzuziehen und Berlin den Rest machen zu lassen. Daraus
erwächst mehr Risiko als Chance. Biedermeier ist nicht schön, sondern
gefährlich.



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Datum: 30.09.2011 - 22:00 Uhr
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