(ots) - Stochern im Nebel
Der Jubel der schwarz-gelben Koalition über ihre scheinbare
Geschlossenheit wird rasch verhallt sein, der Schatten der
europäischen Schuldenkrise aber liegt weiter auf der Bundesregierung.
Daher sagt die (Kanzler-)Mehrheit, zu der sich Union und FDP bei der
Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm im Bundestag aufgerafft
haben, ungefähr so viel über die künftige Belastbarkeit des
bürgerlichen Lagers aus wie ein Hochzeitsfoto über die dauerhafte
Qualität einer Ehe. Es ist bloß eine Momentaufnahme. Diesem
Stresstest werden in den nächsten Monaten weitere Zerreißproben
folgen, die den Zusammenhalt des ohnehin fragilen Bündnisses noch
viel stärker herausfordern werden. Eine FDP, die demoskopisch ins
Bodenlose abstürzt, verleiht der Koalition ebenso wenig Solidität und
Berechenbarkeit wie eine CSU, die sich unter Anleitung ihres
Vorsitzenden Horst Seehofer immer wieder von ihrer Parteischwester
CDU absetzt, und zwar nicht allein in eher nachrangigen Fragen wie
der Pkw-Maut. Und wie steht es um die Bundeskanzlerin? Es braucht
keinen US-Präsidenten Barack Obama, der die Enttäuschung seiner
eigenen Anhänger auf die mutlosen Europäer umzulenken versucht, um
bei der deutschen Regierungschefin einen Mangel an Führungskraft und
Weitsicht zu diagnostizieren. Angela Merkel stochert als
Krisenmanagerin im Nebel, und es war bezeichnend für ihre
Orientierungslosigkeit, dass sie in der gestrigen Debatte beharrlich
schwieg. Dabei ging es doch nicht nur um die Zukunft der gemeinsamen
Währung und der Europäischen Union insgesamt, sondern zugleich um
ihre persönliche Macht sowie den Bestand einer Koalition, die zur
Halbzeit der Wahlperiode einen beklemmenden Ansehensverlust zu
beklagen hat. Es ist nur ein schwacher Trost, dass auch andere
politische Führer zurzeit keine bessere Figur machen als Angela
Merkel. Das liegt daran, dass die Staatengemeinschaft von
irrationalen Finanzmärkten vor sich hergetrieben wird - von einer
Kalamität in die nächste. Schon wird hinter den Kulissen die
Ausweitung der gerade vereinbarten Euro-Hilfen vorbereitet, weil das
jetzt beschlossene Volumen nicht reichen wird. Wie aber sollen die
Bürger einem Mechanismus trauen, der seine eigene Dynamik entwickelt
und sich politischer Steuerung wie parlamentarischer Kontrolle
entzieht? Viele Koalitionsabgeordnete sehen diese unheilvolle
Entwicklung kommen, aber sie haben sich einstweilen der Disziplin
innerhalb des Regierungslagers gefügt. Doch der Tag ist nicht fern,
da sich die Bedenken nicht weiter unterdrücken lassen. Wenn der
Bundestag Anfang 2012 über den ständigen Rettungsschirm ESM abstimmen
muss, könnte Angela Merkel gezwungen sein, diese Entscheidung mit der
Vertrauensfrage zu verknüpfen, weil anders ihre eigene Mehrheit nicht
mehr zu sichern ist. Bislang laviert die Kanzlerin, und ihr
Finanzminister verschleiert aus Furcht vor Turbulenzen in der
Koalition und unter den Wählern die ganze Wahrheit über das Ausmaß
der finanziellen Folgen aller aktuellen und noch beabsichtigten
Notmaßnahmen für den deutschen Steuerzahler. Diese fortgesetzte
Unaufrichtigkeit gefährdet nicht nur die Glaubwürdigkeit der
Bundesregierung, sondern am Ende die Stabilität unserer Demokratie.
Daher sollten sich auch die Protestantin Angela Merkel und ihre
Koalition ein Wort zu Herzen nehmen, das Papst Benedikt XVI. jüngst
in seiner bemerkenswerten Rede im Freiburger Konzerthaus der
katholischen Kirche ins Stammbuch geschrieben hat: "Vielmehr gilt es,
jede bloße Taktik abzulegen und nach der totalen Redlichkeit zu
suchen."
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Lothar Tolks
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