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Landeszeitung Lüneburg: Von Anfang an den Frieden planen / Generalmajor a.D. Millotat: Bei Bundeswehreinsätzen die Lehren von Carl von Clausewitz besser beherzigen

ID: 395480

(ots) - Mit dem Ende des Kalten Krieges, des Patts zweier
gigantischer Militärblöcke mit Overkill-Kapazität, starb auch die
Idee von der Unführbarkeit eines Krieges. Auch die Bundeswehr wandelt
sich von einer Abschreckungs- in eine Interventionsarmee. Wer in
dieser Situation darauf verzichtet, die Lehren des preußischen
Denkers Carl von Clausewitz zu berücksichtigen, wird diesen Fehler
teuer bezahlen, meint Generalmajor a.D. Millotat.

Was hätte Carl von Clausewitz Politikern entgegnet, die den Bau
von Schulen durch die Bundeswehr auf dem Balkan als "Erfolg"
bewerteten, weil dies die Deutschen "beliebt" machte?

General a.D. Christian E. O. Millotat: Clausewitz würde sagen:
Wenn ein solcher Aufbau erfolgt, muss er Teil eines
gesamtstrategischen Konzeptes sein. In dieses müssen alle
militärischen und alle zivilen Aufbauarbeiten eingehen. Sie müssen
orchestriert werden, heute nennt man das comprehensive approach --
einen umfassenden Ansatz. Er würde sagen: Eure Soldaten, die getreu
der deutschen Militärkultur die Initiative ergriffen haben, weil es
ein Befehlsvakuum gab, haben tolle Arbeit geleistet. Aber: Diese
Aufbauaktivitäten, wie auch das Sammeln von Kinderspielzeug für
bedürftige Kinder, das Einrichten einer Weinfabrik sowie Hilfen bei
der Rinderzucht hätten in dem Konzept aufgeführt sein müssen, das dem
Einsatz zugrunde liegt. Im Falle des Kosovo ist dies die Resolution
1244 der Vereinten Nationen von 1999, in Bosnien-Herzegowina wäre
dies das Friedensabkommen von Dayton. Weil dies aber nicht geschah,
auch nicht nachgebessert wurde, verpuffte auf dem Balkan vieles, was
gut gemeint war.

200 Jahre war in Deutschland höchst umstritten, ob man von
Clausewitz etwas lernen könne. Heute studieren Generalstabsoffiziere
an den Führungsakademien wieder "Vom Kriege". Was hat sich geändert?





Millotat: Clausewitz ist in Deutschland viel zu lange als
Philosoph des Krieges begriffen worden. Er verschwand hinter einem
Nebel des Philosophischen. Das führte dazu, dass er neben der starken
Persönlichkeit des Generalfeldmarschalls von Moltke dem Älteren nicht
mehr als der praktische Anleiter wahrgenommen wurde, der er war.
Während Bismarck auch im Kriege das Vorrecht für die Politik
einforderte, blieb Moltke mit seiner Auffassung tonangebend, wenn die
Waffen sprächen, haben die Politiker zu schweigen. Das hatte fatale
Folgen im Ers"ten und Zweiten Weltkrieg: Clausewitz' Lehre, dass die
strategische Defensive die stärkste Aufstellung sei, wurde vergessen.
Die strategische Offensive nach Moltke endete zweimal im Desaster.

Ist Krieg als Fortsetzung der Politik mit speziellen Mitteln nicht
mehr verpönt, weil sich die Abschreckungsarmee in eine
Interventionsarmee wandelt?

Millotat: Nein. Die Wiederbelebung der Clausewitzschen Lehre
erfolgte über die USA. Historiker wie Sir Michael Howard und Peter
Paret haben das schwierige philosophische Deutsch von Clausewitz in
modernes Englisch übersetzt. Als die Amerikaner nach der Schmach von
Vietnam ihre Streitkräfte neu organisierten, knüpften sie an
Clausewitz' Auffassungen an. Es dauerte sehr lange, bis dieses ins
deutsche Bewusstsein eindrang. Bei unseren verschiedenen Einsätzen
wurde das breite Instrumentarium des Militärreformers zur Planung und
Durchführung weitgehend ignoriert. Dabei zeigen die Interventionen
auf dem Balkan und am Hindukusch, wie wichtig es ist, Clausewitz'
Lehren zu berücksichtigen.

Verbündete Nationen haben die Stigmatisierung von Clausewitz nie
nachvollzogen. Welche Lehren haben die USA aus seinem Werk gezogen?

Millotat: 1. Man braucht einen höchsten Militär, der
Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist. Vorher war der Joint Chief of
Staff nur ein primus inter pares. Jetzt ist er, wie Clausewitz im
achten Buch fordert, der maßgebliche Berater der politischen Führung
in militärischen Fragen. 2. Zwar wirkt das politische Primat immer
bis zur untersten militärischen Ebene. Aber Clausewitz hat betont,
dass die Politik keine Feldwachen aufstellt und keine Patrouillen
führt. Die Lehre ist, nicht mehr -- wie noch im Vietnamkrieg -- bis
auf die taktische Ebene durchzugreifen, sondern sich auf die
jeweiligen militärischen Befehlshaber zu verlassen. 3. Man hat
erkannt, dass eine Intervention von Anfang an nie ausschließlich
militärisch geprägt sein darf. Auch die zivilen Aufbaukräfte müssen
von Anfang an bei der Planung des Einsatzes eingebunden sein. Wo die
Amerikaner dies nicht berücksichtigt haben, etwa beim zweiten
Irakkrieg, waren die Konsequenzen denn auch verheerend. Auch im
Bündnis besann man sich erst sehr spät. Erst in der neuen
NATO-Strategie vom November 2010 ist für die politisch-strategische
Ebene der comprehensive approach -- der umfassende Ansatz --
gefordert.

Nach Clausewitz soll die Politik schon zu Beginn eines Krieges
dessen Ziel, den angestrebten Frieden, definieren. Wie beurteilen Sie
von dieser Warte den Libyen-Feldzug?

Millotat: Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, das Endziel eines
militärischen Konfliktes -- also Frieden -- bereits in der
strategischen Konzeption zu definieren. Das Ziel der Intervention in
Libyen ist laut UN-Resolution, Gaddafi dazu zu zwingen, jede Aktion
zu unterlassen, die zum Völkermord führt. Aber sie schließt den
Einsatz von Bodentruppen der NATO oder anderer Bündnisse aus und
folgt dem Wunsch der libyschen Freiheitskämpfer, den
Demokratisierungsprozess durch Kampf mit eigenen Kräften selbst zu
erzwingen. Ich halte das nicht für schlecht, bin aber angesichts der
militärisch offenen Situation bestürzt über den Kurs unseres
Außenministers.

Welche strategische Tiefe erreicht eine Außenpolitik, die die
Freiheitskämpfer in Arabien feiert, aber zurückzuckt, wenn es um
militärischen Beistand geht?

Millotat: Wir sind eingebunden in Bündnisse, die uns nach meiner
Meinung sehr viel Positives beschert haben -- nicht zuletzt die
deutsche Wiedervereinigung. Ich bin der Auffassung, dass die
Außenpolitik der vergangenen Jahrzehnte dazu geführt hat, dass wir
kreditwürdig wurden. Wir sind angesehen, haben den Schatten
Stalingrads abgestreift. Deswegen dürfen wir in der multinationalen
Familie selbstverständlich aktiv mitziehen. Wir können nicht
herumtrompeten, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat haben zu
wollen, zudem vorschnelle Urteile über Libyen abgeben, um dann zu
kneifen, wenn es zum Schwur kommt. Das ist nicht in Clausewitz'
Sinne. Der Scherbenhaufen, den Westerwelle angerichtet hat, ist
verheerend.

Ist der Einsatz Frankreichs in der Elfenbeinküste in diesem Sinne
erfolgreicher? Er hatte als klares Ziel die Inthronisation des
Wahlsiegers -- und dieses erreicht.

Millotat: Frankreich hat Verträge mit seinen ehemaligen Kolonien
und dort zum Teil auch noch Kräfte stationiert -- etwa Einheiten der
Fremdenlegion in der Elfenbeinküste. Zur Selbstwahrnehmung der
französischsprachigen Welt gehört, dass man sich hilft. Aber für mich
ist wichtig, dass Frankreich in der Lage ist, zu handeln. Sie können
sofort 22EUR000 Mann einsetzen. Beschämend für uns als
80-Millionen-Volk ist, dass wir schon stöhnen, wenn wir nur 7000
Soldaten einsetzen müssen. Das wird sich mit der Bundeswehrreform
ändern.

Was würde der preußische Militärtheoretiker dazu sagen, dass die
Parlamentsarmee von der Politik starke Einsatzbeschränkungen
auferlegt bekommt -- etwa in Afghanistan?

Millotat: Clausewitz sagt, die Politik dürfe vom Militär nichts
fordern, was es nicht zu leisten vermag. Er warnt davor, dass sich
Politiker, die immer auch innenpolitisch orientiert sind, der
Streitkräfte bedienen, um sich zu profilieren. In dieser Hinsicht
sind fatale Fehler gemacht worden. So feierte der damalige
Verteidiungsminister Jung immer noch den Fortschritt, dass Mädchen in
Afghanistan wieder zur Schule gehen könnten, als die Bundeswehr
längst in einem Kampfeinsatz stand. In der Folge hat die Politik der
Truppe zu spät die notwendige Kampfausrüstung und die notwendigen
Hubschrauber verschafft. Ich räume ein, dass es schwierig ist für
Politiker, zu erkennen, bis zu welchem Punkt sie Militärs
hineinregieren dürfen. Das verlangt, dass sie in militärischen Dingen
geschult sind, was nicht überall der Fall ist.

Inwieweit ist Clausewitz' Grundsatz, im Krieg habe die Theorie
stets praktisch zu bleiben, in der deutschen Truppenführung
berücksichtigt?

Millotat: Was Clausewitz auszeichnet vor anderen
Militärtheoretikern wie Antoine-Henri Jomini oder Niccolò Machiavelli
ist, dass er keine Rezepte gibt, sondern Grundsätze formuliert. Damit
überlässt er die Freiheit des Handelns, die Kunst der Umsetzung,
demjenigen, der es umsetzen muss. Dies ist seit langem Bestandteil
der deutschen Militärkultur, anders als bei unseren Verbündeten.

Schwammige Ziele, doppelte Zuständigkeiten -- dümpeln die
Balkan-Einsätze vor sich hin, weil Politiker ihren Clausewitz nicht
kennen?

Millotat: Dass die Resolution 1244 nicht nachgebessert wurde, die
keinerlei Angaben darüber macht, wie der Aufbau des Kosovo zu
erfolgen hat, zeigt mir, dass Clausewitz weitgehend unbekannt ist.
Von einem Dahindümpeln würde ich aber nicht sprechen. Der
weitestgehende Abbau der Einsatzkräfte vor Ort zeigt, dass wir eine
Sicherheit geschaffen haben, dass das Morden nicht wieder losgeht.
Das Gleiche gilt für Bosnien-Herzegowina. Aber mit einem umfassenden
Konzept wären viele Fehler vermieden worden.

Die Definierung nationaler Interessen gilt in Deutschland immer
noch als Tabubruch, erinnert man sich an die Reaktionen auf den
damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der Auslandseinsätze auch
zur Wahrung von Wirtschaftsinte"ressen guthieß. Welche Chancen hat da
die Ausformulierung einer nationalen Strategie?

Millotat: Die Weise-Kommission hat gefordert, dass eine nationale
Strategie formuliert wird. Der neue Verteidigungsminister de Maizière
hat zugesichert, dass die "Verteidigungspolitischen Richtlinien", die
etwas Ähnliches darstellen, schnell fertiggestellt werden. Vergessen
darf man dabei aber nicht, dass die "Richtlinien" von der Hardthöhe
herausgegeben werden. Das erreicht mitnichten den Stellenwert der
national strategy, die der US-Präsident alle paar Jahre herausgibt.
Wir brauchen eine derartige Positionierung, eine Definierung der
nationalen Interessen, ganz dringend. Nicht nur für den militärischen
Bereich alleine. Wenn wir das nicht rasch machen, sind wir nicht
kalkulierbar. Und das kann eine Katastrophe auslösen.

Das Interview führte

Joachim Zießler



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Werner Kolbe
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Datum: 28.04.2011 - 19:04 Uhr
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