(ots) - Risse im Spiegel
Er war nie ein Dichterfürst, taugte nicht für marmorglatte Büsten
oder bruchlose Verehrung: Mit Heinrich von Kleist feiert Deutschland
in diesem Jahr einen fraglos großen, zugleich aber auch zwiespältigen
Dichter. Kleist konnte in seinem Aufsatz über das Marionettentheater
sensibel über die verlorene Ganzheit des Lebens nachsinnen und dann
wiederum in seinem "Prinz von Homburg" alle Feinde Brandenburgs in
den Staub wünschen. Kleists Bild oszilliert zwischen Verzweiflung und
Überschwang, hellsichtiger Moderne und martialischem Preußen-Kult.
Im Kleist-Jahr schauen wir also in einen Spiegel, den lauter feine
Risse durchziehen. Der Dichter, der 1811 am Berliner Wannsee erst
seine Gefährtin und dann sich selbst erschoss, ist nicht einfach
einer von uns. Kleist ist nah und fremd zugleich, kein Mann für die
politisch korrekte Tageslosung. Das eröffnet Chancen - vor allem
jene, seine Texte und sein Denken in ihrer Fremdheit neu zu
entdecken. Kleist bleibt Wunde. Wie Heine.
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