(ots) - Der Verlust der absoluten Mehrheit für die 
britischen Konservativen hat an den Finanzmärkten zu Ausschlägen, 
aber keinen Verwerfungen geführt. Erste Reaktionen zeigten, dass 
Investoren den Wahlausgang, der eine völlig unklare Ausgangslage für 
die Brexit-Verhandlungen schafft, intuitiv negativ für den 
Wechselkurs, aber auch für auf den britischen Markt ausgerichtete 
Unternehmen bewerten. Der Pfund-Kurs und auf Großbritannien 
konzentrierte Unternehmen könnten unter einer stärker 
interventionistischen Regierung mit anderen fiskalpolitischen 
Schwerpunkten leiden, die nach dem Erfolg der Labour-Partei da und 
dort als Möglichkeit an die Wand gemalt wird.
   Dass die Reaktionen am Markt nicht stärker ausfielen, mag daran 
liegen, dass internationale Investoren schon länger einen Bogen um 
britische Assets machen. Eine Umfrage des Assetmanagers Invesco ergab
aber jüngst, dass die Insel als unattraktivstes Investitionsziel 
unter den entwickelten Ländern gilt - noch hinter Italien. Dies 
bedeutet, dass es derzeit einiges internationales Kapital gibt, das 
sich aus dem Markt zusätzlich verabschieden könnte.
   Zudem haben große britische Unternehmen aus dem FTSE 100 kaum 
negative Auswirkungen durch einen Regierungswechsel oder chaotische 
Brexit-Verhandlungen zu befürchten, erzielen sie doch die Mehrheit 
ihrer Ergebnisse außerhalb des britischen Währungsraums. Ihre 
Perspektiven sind zudem gut: Die von Bloomberg aggregierten 
Schätzungen lassen für den FTSE 100 im Mittel ein Gewinnplus von rund
35 Prozent für das laufende und von 7 Prozent für das nächste Jahr 
erwarten.
   Kleinere Unternehmen im FTSE 250 haben demgegenüber regional 
ausgerichtete Geschäftsmodelle. Dies fällt mitunter auch für die 
Kursentwicklung ins Gewicht: Der FTSE 250 fiel am Freitag zeitweise 
um 1 Prozent, während der FTSE 100 zeitweise über 1 Prozent gewann. 
Doch wer am Tag nach dem Brexit-Votum von 2016 eingestiegen ist, hat 
mit britischen Small und Mid Caps nicht schlechter abgeschnitten als 
jemand, der auf den FTSE 100 setzte.
   Weil das Debakel von Premier Theresa May das Risiko von baldigen 
Neuwahlen in sich trägt und die Labour-Partei überproportional 
Stimmen gewonnen hat, weisen Ökonomen auf eine mögliche Änderung in 
der Fiskalpolitik hin. Die von May vertretene Austeritätspolitik hat 
einen Schlag erhalten. Azad Zangana, Volkswirt bei Schroders, geht 
deswegen von höheren Gilt-Renditen und Inflationsrisiken aus, die 
sich auch in steigenden Hypothekarsätzen auf dem Immobilienmarkt 
niederschlagen dürften. Britische Staatspapiere werden eher 
underperformen.
   Wohin Großbritannien aber europapolitisch steuert, darüber gehen 
die Einschätzungen am Markt auseinander. Eine Mehrheit sieht im 
Erstarken von Labour die Chance auf gemäßigtere Positionen in den 
Brexit-Verhandlungen. Auch wenn sich der Prozess nun länger hinziehen
dürfte, würde am Ende die britische Wirtschaft durch eine 
einvernehmlichere Lösung besser dastehen, heißt es. Die ersten 
Marktreaktionen zeigen, dass ein "glimpflicher" Brexit weiterhin als 
das wahrscheinlichere Szenario gilt.
   Nur eine Minderheit der Beobachter - darunter der Chefvolkswirt im
Wealth Management der UBS, Paul Donovan - sieht das Risiko, dass 
Euroskeptiker an Einfluss gewinnen könnten. Diese sehen ihre frühere 
Widersacherin May geschwächt und könnten jegliches Machtvakuum für 
ihre Interessen nutzen. Damit könnten sie erfolgreich sein, wenn das 
Motiv für jenen Teil der Bevölkerung, der für den Brexit gestimmt 
hat, tatsächlich nur war, der regierenden "Elite" einen Denkzettel zu
verpassen und dabei ein europäisches Erdbeben sozusagen als 
Kollateralschaden in Kauf zu nehmen. Die Brexit-Verhandlungen würden 
dann als innenpolitische Projektions- und Profilierungsfläche 
wahrgenommen, in der mehr Emotionen denn sachliche Überlegungen über 
den eigenen Tellerrand hinaus zählen.
   Nun sind Politik und Finanzmarkt Systeme, die sich auf längere 
Sicht einer Prognose entziehen. Ein Blick auf Erfahrungen aus der 
Schweiz zeigt, dass sich auch in europapolitischen Fragen mitunter 
aus innenpolitischen Motiven unheilige Allianzen zwischen linkem und 
rechtem Pol des politischen Spektrums bilden. Diese können einen 
nicht unerheblichen Einfluss auf Verhandlungspositionen der Regierung
erlangen. Da Großbritannien politisch und ökonomisch stattliches 
Gewicht hat, wäre eine solche Entwicklung für die EU, die zunächst 
als Gewinnerin dazustehen scheint, und für ihren Finanzmarkt eine 
Belastung. Unsicherheit dämpft wirtschaftliche Aktivitäten oder lädt 
gar zu Alternativstrategien ein.
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