(ots) - Primatenforscher Dr. Martin Surbeck: Bonobos 
pflegen eine Willkommenskultur - Schimpansen führen dagegen Krieg
   Bonobos und Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten - quasi 
Spiegel des Menschen. Die Spiegelbilder sind allerdings sehr 
unterschiedlich. Können Sie beide Arten mit ihren Besonderheiten 
charakterisieren?
   Dr. Martin Surbeck: Ähnlich sind sie sich darin, dass Männchen und
Weibchen in einem gemeinsamen Territorium zusammenleben. Tagsüber 
sind die Gruppen sehr selten als Ganzes unterwegs, stattdessen teilen
sie sich in kleinere Grüppchen auf. Nun zu den Unterschieden: 
Schimpansen verteidigen ihr Territorium gegenüber Nachbargruppen. Da 
werden regelrechte Grenzpatrouillen gelaufen und es kommt zu 
Kommandounternehmen, bei denen Männchen der anderen Kommune 
umgebracht werden. Die Männchen der Schimpansen sind deutlich 
kräftiger als die der Bonobos und ebenso dominanter gegenüber den 
Weibchen.  Bonobos führen keine Kriege gegen die Nachbarn. Es kann 
sogar vorkommen, dass benachbarte Kommunen sich über ein bis zwei 
Wochen gemeinsam in einem Areal aufhalten und sich tolerant gegenüber
den Fremden verhalten - eine Willkommenskultur. Zudem dominieren bei 
den Bonobos nicht alle Männchen die Weibchen, sondern es ist eher so,
dass die ranghöchsten Individuen der Gruppe Weibchen sind - wobei 
nicht alle Weibchen dominieren, es ist also kein lupenreines 
Matriarchat, sondern eine Ko-Dominanz, also eine zwischen den 
Geschlechtern gemischte Rangordnung.
   Ihre Arbeitshypothese war, dass sich die Unterschiede bei der 
Kooperation der Männchen gegen fremde Gruppen auch auf die 
Sozialstruktur auswirken. Wie haben Sie dies überprüft und was sind 
die Ergebnisse?
   Wir, das heißt insgesamt zehn Forscher, haben über Jahre zwei 
Bonobo-Populationen in der Demokratischen Republik Kongo, drei 
Schimpansen-Gruppen in der Elfenbeinküste und zwei in Uganda 
daraufhin beobachtet, mit Tieren welchen Geschlechts sich Bonobos und
Schimpansen vorzugsweise in den kleinen Gruppen, in denen sie 
tagsüber herumstreifen, umgeben. Dabei fanden wir heraus, dass alle 
Schimpansengruppen nach Geschlechtern getrennt waren. Bei den Bonobos
hingegen umgaben sich beide Geschlechter lieber mit Weibchen. Das 
Führen von Kriegen wie bei den Schimpansen hat also einen 
fundamentalen Einfluss auf die Struktur einer Gesellschaft. Es bilden
sich Männerbünde.
   Der Sapiens ist eng sowohl mit dem Bonobo als auch mit dem 
Schimpansen verwandt. Wen ähneln wir in unseren Sozialstrukturen 
stärker?
   Über diese Frage gibt es eine lange Debatte. Betrachtet man etwa 
menschliche Jäger- und Sammler-Gesellschaften, werden auch diese von 
mehreren Männern und Frauen gemeinsam gebildet, wobei sich auch diese
Gesamtgruppen tagsüber aufspalten, damit die kleineren Untergruppen 
ihren jeweiligen Tätigkeiten nachgehen können. Es ist ziemlich 
deutlich, dass das kriegerische Element der aggressiven Verteidigung 
des eigenen Territoriums während der menschlichen Evolution eine 
wichtige Rolle gespielt hat. Über Jahrzehnte wurde das 
Schimpansen-Modell deshalb in der Forschung als das Klassische 
dargestellt, auch, weil bei uns ebenfalls die Männer dominant 
gegenüber den Frauen auftreten. Dieses Bild war allerdings zu 
einseitig. So gab es zwischen menschlichen Gesellschaften immer auch 
Handel und Austausch von Individuen und Ideen. Benachbarte 
Schimpansen-Kommunen leben in einer Dauerfehde, während Menschen sich
immer auch durch die Fähigkeit auszeichnen, Frieden schließen zu 
können. Beim kooperativen Verhalten haben wir offenbar also einen 
Gutteil des Bonobo-Programms in unserem Repertoire.
   Konfliktlösung durch Sex wie bei den Bonobos und Konfliktlösung 
durch Krieg wie bei den Schimpansen - der Mensch hat beide Optionen.
   Das sehe ich auch so. Für den Forscher Frans de Waal waren die 
Bonobos feingliedrige Intellektuelle, Schimpansen hingegen 
Bodybuilder. Das sind unsere Pole.
   Warum wurde das Matriarchat unter den Menschenaffen lediglich bei 
den Bonobos zum Erfolgsmodell?
   Ein Grund dafür ist, dass in den meisten Spezies die Männchen über
körperliches, aggressives Verhalten miteinander konkurrieren. Das 
erhöhte den Selektionsdruck in Richtung auf größere, stärkere, 
aggressivere Männchen. Als Nebenprodukt bildeten die körperlich 
Dominierenden auch das dominante Geschlecht. Weibchen haben nur in 
den Arten eine Chance, die Männchendominanz zu durchbrechen, in denen
die Konkurrenz zwischen den Männchen nicht so ausgeprägt ist. Bei den
Bonobos ist dies der Fall, weil die Weibchen nicht unmissverständlich
anzeigen, wann sie empfängnisbereit sind. Trotz rosa 
Genitalschwellung, die bei Affen normalerweise Fruchtbarkeit 
signalisiert, haben sie oft keinen Eisprung. Und weil die Männchen 
diesbezüglich im Dunkeln tappen, lohnt es sich für sie - im Sinne 
einer Strategie, für mehr eigenen Nachwuchs zu sorgen, nicht, 
Konkurrenten von den Weibchen wegzuhauen. Tatsächlich bilden 
Bonobo-Weibchen sogar Koalitionen, um ihrerseits Männchen 
anzugreifen. Untersucht man die Beziehung zwischen einem Weibchen und
einem Männchen, zeigt sich, dass das Weibchen eher das Sagen hat, 
wenn es seine attraktive, Empfängnisbereitschaft signalisierende 
Phase hat. Hat sie ihre Genitalschwellung, sitzt sie am längeren 
Hebel, um ihren Willen durchzusetzen.
   Was war das ursprüngliche Verhalten des gemeinsamen Vorfahren von 
Bonobo und Schimpanse vor einem bis zwei Millionen Jahren - Diktator 
oder Diplomat?
   Das ist eine schwierige Frage, weil wir nur über wenige Fossilien 
verfügen, die uns ein Bild von der Anatomie dieses Vorfahren 
erlauben. Jüngst erschien eine Studie, nachdem der fragilere 
Bonobo-Körperbau eher die ursprüngliche Variante gewesen sein könnte.
Aber das ist eher offen. Es deutet vieles daraufhin, dass sich die 
Bonobos einen neuen Lebensraum erschlossen haben, der nicht ihrem 
ursprünglichen entsprach. Das könnte mit Verhaltensänderungen einher 
gegangen sein, aber wir wissen es nicht. Relativ sicher kann man 
sein, dass diejenigen Verhaltensweisen, die sowohl Bonobos als auch 
Schimpansen aufweisen, auch von ihrem Vorfahren gezeigt wurden.
   Die Lebensräume der beiden Arten unterscheiden sich. Südlich des 
Kongo - im Bonobo-Gebiet - gibt es ein üppigeres Nahrungsangebot. War
es deshalb von evolutivem Vorteil, kooperativer zu sein und nördlich,
im kargeren Schimpansen-Habitat, kriegerischer?
   Ressourcenknappheit wäre in der Tat eine gute Erklärung für die 
Territorialität von Schimpansen. Hier würde es sich für die Männchen 
auszahlen, diese Ressourcen gegenüber den Nachbarn zu monopolisieren.
Eine derartige Notwendigkeit entfällt, wenn die Ressourcen 
gleichmäßiger und reichhaltiger vorhanden sind wie bei den Bonobos. 
Allerdings wissen wir nicht, ob der Lebensraum der Bonobos auch in 
ihrer Entwicklungsphase so reichhaltig gewesen ist.
   Wenn bei unseren nächsten Verwandten in zentralen Punkten ein 
derart entgegengesetztes Verhalten auftritt, kann sich der Mensch 
aber zumindest nicht auf seine Biologie berufen, um eigenes Verhalten
zu rechtfertigen, oder?
   Auf jeden Fall haben wir eine große Flexibilität von unserem 
Primatenerbe mitbekommen. Wir leben nicht ständig im Krieg wie die 
Schimpansen, sind aber auch keine Kamasutra-Primaten wie die Bonobos.
Wir teilen die Veranlagung beider.
   Das Interview führte
   Joachim Zießler
   Zur Person
   Martin Surbeck (41) hat an der Universität Zürich Zoologie 
studiert und in Bangalore, Indien, seine Diplomarbeit über 
Fortpflanzungsstrategien von Wespen angefertigt. Nach anschließendem 
Abschluss des Lehramtsstudiums ging er ans Max-Planck-Institut für 
Evolutionäre Anthropologie nach Leipzig, um dort zu promovieren. 
Seine Doktorarbeit beschäftigt sich mit Dominanzverhalten und 
Aggressivität bei Bonobos.
   Die Verwandten
   Rüpel vs. Hippie Bonobos und Schimpansen sind unsere nächsten 
Verwandten. In Afrika trennt der Kongo ihre Lebensräume. Bonobos 
gelten als Kamasu-tra-Primaten, weil Sex bei ihnen auch dazu dient, 
soziale Beziehungen zu stärken. Bonobo-Männchen ordnen sich Weibchen 
unter. Schimpansen-Trupps werden von Alpha-Männchen beherrscht. Die 
Gruppen verteidigen ihr Revier. Kämpfe von Gruppen enden oft tödlich.
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Werner Kolbe
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