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   Man könnte meinen, es ginge um einen Wettbewerb. Darum, wer es am 
besten schafft, die komplexen Fragen und Probleme unserer Zeit so zu 
vereinfachen, dass sich daraus simpelste Antworten ergeben. Trump, Le
Pen, Erdogan und wie die Vereinfacher alle heißen, sind mitten in 
diesem riskanten Spiel - und finden auch noch viel Unterstützung 
darin. Armin Nassehi erklärt im Interview, warum die erreichte 
Komplexität unserer Gesellschaft nicht einfach weggeredet werden kann
und warum Streit in der Politik gerade heute gut ist.
   Frage: Die Populisten haben vielerorts auf dieser Welt Oberwasser 
gewonnen. Mit einfachen Antworten begegnen sie der Komplexität der 
Welt. Und gewinnen Anhänger und Wahlen. Werden wir gerade Zeuge einer
Rückkehr der Demagogen, Vereinfacher und Besserwisser in der Politik?
   Armin Nassehi: Ja, das werden wir ohne Zweifel, und es ist kein 
Zufall, dass das gerade jetzt geschieht. Der politische Populismus, 
aber auch manche ökonomische Vereinfachung und technologische Utopie 
versuchen ja nur zu kaschieren, dass es anderer Denkungsarten bedarf.
Die Demagogen, Vereinfacher und Besserwisser sind der deutlichste 
Ausdruck dessen, dass Lösungen nicht zum Nulltarif zu haben sind und 
dass man die Komplexität der Gesellschaft, ihre Widerständigkeit und 
ihren Eigensinn nicht einfach wegplappern kann - weder im 
demagogischen Ton populistischer Schreier, noch im hochnäsigen Ton 
der moralisch Wohlgenährten.
   Frage: Sie haben Ihr Buch "Die letzte Stunde der Wahrheit" 
offenbar deshalb komplett überarbeitet und teilweise neu geschrieben.
Was hat Sie zu dieser ungewöhnlichen Aktion gedrängt?
   Armin Nassehi: Die erste Version des Buches hat sich stark auf die
politische Perspektive konzentriert. Ich habe mich für die Neufassung
entschieden, um das zentrale Argument noch deutlicher zu machen: Die 
Komplexität der Gesellschaft besteht darin, dass gleichzeitig und 
unvermittelt so viel Unterschiedliches geschieht, dass es nicht 
linear kontrolliert werden kann. Dafür biete ich begriffliche Mittel 
an, die aus langjährigen theoretischen und empirischen 
wissenschaftlichen Arbeiten stammen und hier auf einen lesbaren 
Begriff gebracht werden - konzentriert, gebündelt, noch stärker auf 
den Kern der Idee bezogen. Herausgekommen ist ein Vademecum für 
diejenigen, die mit der Komplexität umgehen wollen und müssen, statt 
sich vor ihr zu verstecken oder sie zu fürchten.
   Frage: In Deutschland tritt noch in diesem Jahr ein einfacher Mann
aus Würselen gegen eine Frau aus der Uckermark an. Der Wahlkampf 
verlangt einfache Wahrheiten. Was dürfen wir in den nächsten Monaten 
erwarten? Einfach, noch einfacher, am vereinfachendsten?
   Armin Nassehi: Ich habe schon öfter beklagt, dass der Populismus, 
vor allem von rechts, auch eine Reaktion darauf ist, dass innerhalb 
des demokratischen politischen Spektrums zu wenige Alternativen 
sichtbar werden - und zwar legitime Alternativen und konkurrierende 
Konzepte. Vielleicht sollten wir froh sein, dass sich im beginnenden 
Wahlkampf abzeichnet, dass überhaupt gestritten werden kann - und 
zwar unter zivilisierten Gegnern. Wahlkämpfe spitzen immer 
vereinfachend zu - aber die Alternative wäre gewesen, dass alle 
diesseits der demagogischen Zumutung der Populisten Einigkeit hätten 
simulieren müssen. Insofern reagiert das politische System gerade mit
einer interessanten Komplexitätssteigerung. Ob es dazu kommt, dass 
dabei intelligentere Lösungen diskutiert werden, steht dahin. Die 
Voraussetzung dafür ist so aber eher gegeben.
   Über das Buch: 
   Armin Nassehi, "Die letzte Stunde der Wahrheit. Kritik der 
komplexitätsvergessenen Vernunft", kursbuch.edition, 217 Seiten, EUR 
20,00 (D), ISBN 978-3-946514-58-9, http://www.murmann-verlag.de/die-l
etzte-stunde-der-wahrheit-32722.html
   Über den Autor: 
   Armin Nassehi, geboren 1960 in Tübingen, ist Professor für 
Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er hat 
Philosophie, Soziologie, Erziehungswissenschaften und Psychologie 
studiert und arbeitet heute auf den Gebieten der Politischen 
Soziologie, der Kultur-, der Organisations-, der Wissens- und der 
Religionssoziologie. Nassehi hat zahlreiche Bücher und Aufsätze 
verfasst und mischt sich auch aktiv in öffentliche Debatten ein. Seit
Herbst 2011 ist er zusammen mit Peter Felixberger Herausgeber des 
Kursbuchs.
   Über die kursbuch.edition: 
   Das Kursbuch ist eine deutsche Kulturzeitschrift, die vier Mal im 
Jahr erscheint, und in der Autoren aus den unterschiedlichsten 
Disziplinen Essays zu einem übergeordneten Themenschwerpunkt 
schreiben. In der kursbuch.edition präsentieren vornehmlich 
Autorinnen und Autoren des Kursbuchs Arbeiten, die die 
Perspektivenverschiebung, das Hauptmotiv des Kursbuchs, aufnehmen und
es noch einmal weitertreiben.
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Maria Reiser
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Sven Murmann Verlagsgesellschaft
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