(ots) - Nach fünf Verhandlungsjahren hat das Europäische 
Parlament heute die EU-Verordnung zu Medizinprodukten verabschiedet. 
"Seit 2012 begleiten wir die neue Verordnung zu den Medizinprodukten 
und haben uns von Anfang an für einen möglichst umfassenden 
Patientenschutz stark gemacht. Im Ergebnis ist das zwar an einigen 
Stellen geglückt, aber es bleiben Defizite. In Deutschland müssen wir
deshalb zügig die Handlungsspielräume für Nachbesserungen nutzen", 
sagt Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes.
   Ein wichtiger Punkt ist die Absicherung der Ersatzansprüche von 
Patienten bei Produktschäden. Laut der beschlossenen EU-Verordnung 
müssen Medizinproduktehersteller bei Schäden durch fehlerhafte 
Produkte für Haftungsansprüche lediglich angemessene Rücklagen 
bilden. Konkrete Vorgaben oder Prüfmöglichkeiten der Deckungsvorsorge
gibt es nicht. "Die Bundesregierung kann und muss das für Deutschland
ändern, indem eine obligatorische Produkthaftpflichtversicherung 
eingeführt wird. Frankreich hat es vorgemacht", so Litsch. 
"Andernfalls besteht die Gefahr, dass geschädigte Patienten weiterhin
das finanzielle Risiko tragen und ihre Schadensersatzansprüche 
möglicherweise ins Leere laufen. In der nächsten Legislaturperiode 
muss dieses Thema unbedingt auf die politische Agenda."
   Weder zentrale Zulassung noch hochwertige Studien
   Kritisch sieht die AOK auch, dass Hochrisiko-Medizinprodukte 
weiterhin nicht durch spezielle Benannte Stellen zertifiziert und 
geprüft werden. Zusätzlich zu den bisherigen Prüfwegen soll es zwar 
eine Expertengruppe geben, die in eng umschriebenen Fällen die 
Herstellerunterlagen bewertet, bevor das Produkt in Verkehr gebracht 
wird. Doch ihr werden weder ausreichend Zeit noch Kapazitäten 
eingeräumt und ihre Empfehlungen sind nicht bindend. "Die 
privatrechtlich organisierten Benannten Stellen bleiben für Prüfungen
zuständig. Doch sie haben ein eigenes wirtschaftliches Interesse 
daran, auch zukünftig von Herstellern beauftragt zu werden und sind 
somit finanziell von ihnen abhängig", kritisiert Martin Litsch. "Um 
ein hohes Sicherheitsniveau zu gewährleisten und den Patientenschutz 
zu verbessern, wäre eine finanziell unabhängige, zentrale 
Zulassungsstelle für Hochrisiko-Medizinprodukte und Implantate, wie 
es sie für Arzneimittel gibt, erforderlich."
   Des Weiteren kritisiert die AOK die Anforderungen an die 
Studienqualität, die der Bewertung von Hochrisiko-Medizinprodukten 
zugrunde liegen. Zwar gibt es zukünftig weniger Ausnahmeregelungen 
von der Verpflichtung zu klinischen Studien, doch wurden dafür keine 
Mindestanforderungen festgelegt. So können in Deutschland auch 
weiterhin Produkte auf den Markt kommen, die unzureichend getestet 
worden sind. In der Vergangenheit gab es dramatische Schadensfälle 
mit unerwarteten schwerwiegenden Folgen für die betroffenen 
Patienten, weil die vorherigen klinischen Studien methodisch 
unzureichend waren, um Nutzen und Risiko abschätzen zu können. Martin
Litsch fordert deshalb: "Zum Schutz der Patienten sollten 
Hochrisiko-Medizinprodukte bis zum Vorliegen ausreichender Daten zu 
Lasten der Gesetzlichen Krankenkassen nur in spezialisierten Zentren 
eingesetzt werden, die sich an hochwertigen Studien zu diesen 
Produkten beteiligen. Außerhalb dieser Zentren sollten die 
Krankenkassen die Kosten dieser Eingriffe nicht übernehmen. 'Proved 
in Germany' könnte damit zu einem ganz neuen Inbegriff von Qualität 
werden."
   Verbesserungsbedarf sieht die AOK auch bei der eindeutigen 
Identifizierung von Hochrisiko-Medizinprodukten. Laut EU-Verordnung 
sollen diese ab Mai 2021 anhand einer Identifizierungsnummer 
eindeutig zuzuordnen sein. "Für uns als Krankenkasse ist es immens 
wichtig, dass wir bei einer schadhaften Serie alle Betroffenen so 
schnell wie möglich identifizieren und informieren. Das geht derzeit 
nicht. Doch bis zur Einführung der Identifizierungsnummern können wir
nicht warten", sagt Litsch. "Deshalb fordern wir, so schnell wie 
möglich patientenbezogene Informationen über die verwendeten 
Implantate in die Abrechnungsdaten der Kliniken aufzunehmen. Das wäre
kurzfristig umsetzbar. Wir dürfen nicht nur über Patientenschutz 
reden, sondern müssen ihn auch umsetzen. Hier wäre eine Chance dazu."
   Litsch weiter: "Es gibt viel Licht, aber auch viel Schatten bei 
den Hochrisiko-Medizinprodukten. Wir werden uns deshalb auch 
gegenüber der nächsten Bundesregierung für zeitnahe Verbesserungen im
Sinne des Patientenschutzes einsetzen."
   Die neuen Regelungen für Medizinprodukte gelten nach einer 
Übergangsfrist von drei Jahren. Für die In-vitro-Diagnostika, die 
ebenfalls in einer Verordnung neu geregelt wurden, gilt eine Frist 
von fünf Jahren. Die Verordnungen müssen nicht mehr in nationales 
Recht umgesetzt werden, können aber in Teilen von den einzelnen 
EU-Mitgliedstaaten ergänzt werden.
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