(ots) - Man muss keine Kassandra sein, um mit Sorge auf
den politischen Diskurs in der Gesellschaft zu blicken. Von
Verhältnissen wie in der Weimarer Republik ist das Land zwar noch
weit entfernt, doch die Fälle, in denen sowohl moralische als auch
strafrechtliche Grenzen überschritten werden, häufen sich. Dieses
Phänomen allein auf die Flüchtlingsdebatte im Land zu schieben,
greift zu kurz. Schlimme Beleidigungen, vor allem in sozialen Medien,
aber auch in Briefen an Politiker und Medien, sind keine Erscheinung
der vergangenen sechs Monate, sondern der vergangenen Jahre. Nur
scheint die verbale Gewalt inzwischen häufiger in tätliche
umzuschlagen. Ein Beispiel dafür sind die Angriffe auf
Asylunterkünfte, die drastisch zugenommen haben.
Die Angst vor der Herausforderung, viele fremde Menschen aus wenig
bekannten Kulturkreisen aufzunehmen, scheint in Deutschland eine Art
Dammbruch bewirkt zu haben. Menschen, die sich als gute Staatsbürger
verstehen, haben die Scheu verloren, gegen Staat, System und die
Kanzlerin zu hetzen. Rechtspopulistische Politiker reden das Ende der
Demokratie herbei und verteufeln die Medien, wollen dann aber nichts
damit zu tun haben, wenn Journalisten angegriffen werden. Nicht
weniger schlimm ist es, wenn auf AfD-Plakatierer geschossen wird oder
die Autos von Pegida-Anhängern in Flammen aufgehen.
Es mag sonntagsrednerisch klingen: Um aus dieser Hysteriespirale
rauszukommen, braucht es weniger Schnappatmung und mehr Anstand in
der Auseinandersetzung. Kein Argument wird dadurch besser, dass man
seinen politischen Gegner herabsetzt. Und kein Punktsieg, nicht
einmal bei Wahlen, ist es wert, den sozialen Frieden im Land zu
gefährden. Diese Gefahr droht jedoch, wenn Menschen glauben, sie
könnten ihre Meinung mit allen Mitteln durchsetzen. Dies zu
verhindern, ist derzeit eine der vordringlichsten Aufgaben. Der Staat
darf es nicht zulassen, dass demokratievergessene Bürger das
Gewaltmonopol für sich beanspruchen. Und da darf es auch keine Lücken
geben - weder rechts noch links.
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