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Landeszeitung Lüneburg: Das Recht des Stärkeren / Frühere Verbraucherschutzministerin Künast sieht in Freihandelsabkommen mit USA nur Nachteile für deutsche Lebensmittelbranche

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(ots) - Die "Grüne Woche" in Berlin hat sich erneut als
Publikumsmagnet erwiesen. Wie in jedem Jahr war die Messe aber auch
Anlass und Ort der Kritik. Etwa an der Massentierhaltung. Die
Bundestagsabgeordnete und frührere Ministerin Renate Künast (Grüne)
über die Lebensmittel und die Landwirtschaft der Zukunft und das
Freihandelsabkommen TTIP.

War die "Grüne Woche" auch jenseits des Ministeramtes noch ein
Pflichttermin für Sie?

Renate Künast: Ein Termin, den ich mit Freude wahrnehme. Aber ich
war auch auf der Modemesse unterwegs, denn dort geht es neben Chic
und Stil ja auch um die Fragen, wie die Stoffe hergestellt werden,
wie die Löhne der Näherinnen sind, woher die Daunen stammen.

Sind dort die Lebensmittel und die Landwirtschaft der Zukunft zu
besichtigen?

Künast: Ich würde mir mehr davon wünschen. Wenn ein Trend schon zu
sehen ist, dann beschäftigt sich natürlich auch die "Grüne Woche"
damit. Zu nennen sind erstens die Bio-Produktion, zweitens der
regionale Anbau, bei dem die Wertschöpfung vor Ort bleibt und
möglichst kurze Transportwege nötig sind, und drittens die vegane
Ernährung. Das alles wird Einfluss haben auf die Art und Weise, wie
wir produzieren.

Pünktlich zur Messe haben Handel und Erzeuger die Initiative
Tierwohl der Öffentlichkeit präsentiert, die mehr Licht, Luft und
Platz in die Ställe bringen soll. Was verstehen Sie unter Tierwohl?

Künast: Artgerecht. Deshalb reicht es nicht zu sagen, wir machen
jetzt mal ein bisschen mehr. Entscheidend ist, welches Verhalten der
einzelnen Tierart entspricht. Hühner zum Beispiel müssen sich
aufbäumen und flattern können, sie müssen auch mal über eine Wiese
rennen können. Sie brauchen ein Nest und die Stange, auf der sie
sitzen. Schweine brauchen einen Stall, den sie jederzeit verlassen




können. Wenn sich Tiere ihrer Art entsprechend beschäftigen können,
werden sie nicht aggressiv und man muss ihnen nicht die Schnäbel
kürzen oder das Schwänzchen abscheiden.

Ist die Initiative ein Schritt in die richtige Richtung oder nur
eine Image-Kampagne, die mit marginalen Verbesserungen die
Massentierhaltung salonfähig machen soll?

Künast: Allenfalls ein Schritt in die richtige Richtung, ja, aber
es ist noch keine wirkliche Reise. Man macht ein bisschen mehr, als
vorgeschrieben ist, schafft ein paar Zentimeter mehr Platz, und schon
kann man Tierwohl draufschreiben. Nein, wir brauchen Standards, die
auf den eben genannten spezifischen Haltungsbedingungen basieren, und
zwar über die nationalen Grenzen hinaus, denn wir sind ein
europäischer Binnenmarkt. Und wer dann noch Premium macht, kann auch
damit werben. Wichtig ist aber auch die Kennzeichnung. Ich habe als
Ministerin "Kein Ei mit der 3" durchgesetzt: Eier aus Käfighaltung
sind mit der 3 gestempelt, Eier aus Bodenhaltung mit einer 2,
Freilandeier mit der 1 und Eier aus Ökohaltung tragen eine 0. Das hat
dazu geführt, dass Sie im Handel eigentlich keine Frischeier mit der
3 finden. Nicht mal bei Discountern. Was wir bei den Frischeiern
gemacht haben, brauchen wir auch bei verarbeiteten Eiern, etwa in
Nudeln. Wer kein Bio kaufen kann oder will, muss auch bei einem
konventionellen Produkt erkennen können, ob da ein Käfig-Ei drin ist.

In Umfragen geben viele Verbraucher regelmäßig an, für gute und
möglichst regionale Lebensmittel mehr Geld ausgeben zu wollen. Und
fahren dann trotzdem mit dem Porsche zu Aldi. Wie erreicht man mehr
Wertschätzung für artgerechte Tierhaltung und hochwertige
Nahrungsmittel?

Künast: Vor allem durch Transparenz und Information, die schon im
Kindergarten anfangen muss. Es geht aber nicht nur darum, wie
Lebensmittel hergestellt werden und woher sie kommen und ob
Gentechnik drinsteckt oder nicht. Zunächst einmal sollten wir wissen,
wie unser Körper funktioniert. Wir können jedes neue Smartphone
bedienen, aber was wissen wir über unseren eigenen Körper? Was der
braucht und was zum Wohlfühlen dazugehört? Kinder müssen auch
erfahren, ob sie Kohlrabi oder Möhren lieber gekocht oder roh essen.
Kochen zu können ist eine Lebenstechnik. Und jetzt komme ich wieder
auf die Kennzeichnung zurück: Zu wissen, was drin ist, ist ein
Verbraucherrecht. Ich kämpfe seit Langem für die
"Lebensmittel-Ampel", bei der an den Farben Rot, Gelb und Grün bei
Fett, Salz und Zucker erkennbar ist, ob das ein Grundnahrungsmittel
ist oder ein Snack bzw. eine Süßigkeit.

Um mehr Klasse statt Masse zu produzieren, fordern Kritiker der
durchindustrialisierten Agrarbranche auch die Abkopplung vom
Weltmarkt. Ist es angesichts der globalen Warenströme nicht eine arg
romantische Vorstellung, dass wir unser Fleisch im Hofladen beim
Biobauern nebenan kaufen, dessen Tiere nur Futter vom eigenen Acker
bekommen haben und nicht aus Lateinamerika?

Künast: Es ist unser Traum, den wir realisieren wollen. Und gute
Bio-Betriebe machen das ja auch so. Aber sehen wir doch erst, was wir
jetzt zuerst tun müssen - und müssen. Es gibt Dinge, die nicht
akzeptabel sind. Etwa bestimmte Formen der Tierhaltung. Für den Bau
riesiger Ställe dürfen keine Steuergelder als Subvention ausgegeben
werden. Wir müssen Regeln machen, die Landkreise in die Lage
versetzen, nein zu sagen zu Bauanträgen, wenn sie sozusagen "voll"
sind.

2050 werden zehn Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Die
Ressourcen - insbesondere die Ackerflächen - sind begrenzt. Ist das
industrielle Agrarmodell, das ja sehr produktiv ist, überhaupt
verzichtbar? Können zehn Milliarden Menschen ohne Genfood satt
werden?

Künast: Wir müssen sogar dringend darauf verzichten. Die Vereinten
Nationen haben vor einigen Jahren einen Weltagrarbericht verfassen
lassen. Wissenschaftler haben damals durchgerechnet, welche
Umweltbelastungen der Chemie-Einsatz der Agrarindustrie bedeutet.
Gerade die Monokulturen der Gentechnik brauchen von Jahr zu Jahr mehr
Chemie - und haben am Ende keine größeren Erträge, weil die Pflanzen
sehr anfällig sind. Hinzu kommt, dass Herbizide, Fungizide und
Düngemittel sehr energieintensiv hergestellt werden. Die CO2-
Emissionen wiederum führen zu Wetterextremen und zur Wüstenbildung,
wodurch Ackerfläche verloren geht. Deshalb müssen wir weg von
Monokulturen und weg vom Chemie-Einsatz und den Anbau von
standorttypischen Pflanzen fördern. Zur Ackerfläche in Deutschland
kommt hinzu, dass wir die anderthalbfache Fläche in anderen Ländern
nutzen - beispielsweise zum Futtermittelanbau. Das ist eine Art neuer
Kolonialpolitik. Auf riesigen Flächen in Argentinien wird
gentechnisch veränderte Soja angebaut, die bei uns zu Futter wird.
Aus neun Kilo pflanzlichem Eiweiß machen wir ein Kilo tierisches
Eiweiß. Hinzu kommen die Transportwege. Wenn später mal von irgendwo
die grünen Männchen kommen, werden die sagen: Die Menschen auf der
Erde waren doch eigentlich nicht so blöd wie sie hier tun. Wir werden
nach und nach einen anderen Weg gehen müssen, und da trägt Europa
eine große Verantwortung. Wir müssen zeigen, dass Wohlstand nicht
bedeutet, jeden Tag Fleisch zu essen, sondern auch heißen kann, dass
weniger mehr ist.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sagte, durch
das geplante Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA werde
das Verbraucherschutzniveau nicht sinken, es gebe keinen Grund zur
Sorge. Welche Gefahren birgt TTIP aus Ihrer Sicht?

Künast: Wenn Herr Schmidt meint, wir müssen uns keine Sorgen
machen, mache ich mir prompt Sorgen. Es wurde ja viel über das
"Chlorhühnchen" geredet. Auch wenn es nicht nach Europa kommt, finde
ich, dass das Tier einen guten Job gemacht hat in der Diskussion. Es
weist nämlich auf eines hin: Anders als in den USA gilt bei uns der
vorsorgende Verbraucherschutz. Und daran müssen wir festhalten. Ich
nenne mal zwei Aspekte, die mir besonders querliegen bei TTIP: Ein
Ziel ist die sogenannte regulatorische Kooperation. Also eine
Zusammenarbeit bei der Beratung neuer Gesetze. Es geht also nicht um
geltende Standards, sondern darum, was morgen und übermorgen. Das
heißt, wenn die EU etwa die Reduzierung von Pestiziden regeln will,
muss Brüssel erst Washington fragen. Hinzu kommt das geplante
Schiedsgericht. Ein US-Konzern, der hierzulande in eine Chemiefabrik
für Pestizide investiert hat und durch solche EU-Vorgaben seine
Gewinnerwartungen enttäuscht sieht, könnte vor einem Schiedsgericht
Schadenersatz einklagen. Wir müssten fürs Politik machen einem
US-Unternehmen Millionenbeträge zahlen. Das ist nicht akzeptabel. Wir
haben hier funktionierende Gerichte.

Können deutsche Verbraucher denn bisher sicher sein, dass das
Steak aus Texas nicht von Rindern stammt, die mit Wachstumshormonen
und Gen-Mais gemästet worden sind?

Künast: Hormonfleisch will die EU schon jetzt nicht einführen. Für
gentechnisch verändertes Futter gibt es eine Kennzeichnung, aber
nicht für das Fleisch oder Milch und Käse. Weder für Fleisch aus
Texas noch aus Frankreich oder Deutschland. Deshalb tun wir als
Verbraucher gut daran, weniger Fleisch zu essen, dafür aber etwas
Besonderes. Bei Bio-Fleisch oder dem Neuland-Programm etwa ist in den
Konditionen festgeschrieben, dass keine Gentechnik zum Einsatz kommt.
Man kann nicht allein die Welt ändern, aber jede Woche einen kleine
Beitrag zur Veränderung leisten.

Heiß diskutiert wird auch über den Schutz regionaler Produkte,
über Herkunftsbezeichnungen. Ist das nicht eine Farce, wenn
Schwarzwälder Schinken so heißen darf, obwohl er nur dort geräuchert
worden ist, aber nicht klar ist, woher das Schwein stammt?

Künast: Es gilt für viele solcher Herkunfts- und
Handwerksbezeichnungen, dass beispielsweise ein Ferkel, das heute in
Dänemark geboren wird, in ein paar Monaten in Parma zum Parmaschinken
werden kann. Aber wenn wir die Herkunftsbezeichnungen, die wir jetzt
haben, auch noch aufgeben, laufen wir in die falsche Richtung. Wir
müssen stattdessen die vorhandenen Regeln verbessern. Sie sind der
Fuß in der Tür zu einem neuen Raum. Je mehr Menschen regionale
Spezialitäten kaufen, desto mehr werden sich die Märkte auf diese Art
der Produktion einstellen. Darum werden wir Europäer übrigens in den
USA beneidet. Auch dort gibt es inzwischen den Kampf um die
Kennzeichnung von Gentechnik, Zucker und vieles mehr. Die Verbraucher
haben ein Recht zu wissen, was drin ist und wie es produziert wurde.
Und das alles würde TTIP wie eine Tsunami-Welle wegfegen.

Welche Chancen für die deutschen Landwirte sehen Sie in einem
Freihandelsabkommen mit den USA (z.B. bessere Exportchancen)?

Künast: Selbst die großen ostdeutschen Betriebe sind klein im
Vergleich zu den riesigen US-Farmen. TTIP ist das Recht des Großen
und Starken, da gibt es für uns nichts zu gewinnen. Es wird ja auch
mit vielen neuen Arbeitsplätzen geworben, die angeblich durch TTIP
entstehen. Aber nur weil es weniger Hindernisse für den Handel mit
Lebensmitteln gibt, essen die Leute doch nicht doppelt so viel - das
hoffe ich jedenfalls. Die Rechnung mit massenhaft zusätzlichen
Arbeitsplätzen wird nicht aufgehen. Was ich durchaus gut finde, ist
die Anpassung technischer Standards. Dass man sich nicht anstellt,
wenn die Rücklichter der Autos hier rot sind und dort orange. Ich
begrüße es sehr, wenn man Ladegeräte vereinheitlicht oder Standards
für TÜV-Tests in Europa und den USA verabredet.

Das Gespräch führte

Klaus Bohlmann



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe(at)landeszeitung.de


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Datum: 29.01.2015 - 19:57 Uhr
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