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Landeszeitung Lüneburg: "Die werden eingekauft wie Schrauben" / DGB-Bundesvorstand Stefan Körzell über Leiharbeiter, Mindestlohn und Fachkräftemangel

ID: 1091311

(ots) - Deutschland hat den Mindestlohn eingeführt. Ein
Erfolg, den sich die Arbeitnehmervertreter auf die Fahnen schreiben.
Doch der Deutsche Gewerkschaftsbund hadert mit Details des Gesetzes,
vor allem mit den Ausnahmeregelungen. Stefan Körzell, Mitglied des
Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes, sieht aber noch etliche
andere Baustellen - etwa die Themen Leiharbeit und Werkverträge, aber
auch den Ausbildungsmarkt.

Wo es starke Tarifpartner gibt, muss der Staat nicht eingreifen.
Ist der gesetzliche Mindestlohn Ausdruck von Schwäche der
Gewerkschaften?

Stefan Körzell: Nein. Es sind doch die Arbeitgeber, die sich
falsch verhalten haben. Sie haben massiv Tarifflucht begangen. Sie
sind aus den Arbeitgeberverbänden ausgetreten und haben eine neue
Mitgliedschaft begründet, nämlich die Mitgliedschaft ohne
Tarifbindung. Das hat zu einer Erosion von Flächentarifverträgen
geführt. Deswegen ist der gesetzliche Mindestlohn als
Lohnanstandsgrenze nötig geworden. Dennoch reden wir auch über
Bereiche, in denen wir Schwierigkeiten haben, uns als Gewerkschaften
zu organisieren.

Der DGB verliert seit zwei Jahrzehnten Mitglieder...

Körzell: Uns ist in den vergangenen zwei Jahren eine Trendwende
gelungen. Wir haben mittlerweile fünf Gewerkschaften, die am
Jahresende 2013 ein Plus verzeichnen konnten. Sie dürfen auch nicht
vergessen, dass wir nach der Wiedervereinigung einen hohen Anstieg
hatten. Später haben sich die Mitgliederzahlen dann ein Stück weit
eingependelt. In den ostdeutschen Ländern erleben wir derzeit, dass
der Organisationsgrad wieder steigt.

Nun hat Deutschland den Mindestlohn. Wie zufrieden sind sie mit
dem schwarz-roten Kompromiss?

Körzell: Zunächst einmal ist der Mindestlohn ein großer Erfolg für
die Gewerkschaften, der sich auch auszahlen wird. Wir haben insgesamt




zehn Jahre massiv dafür gekämpft. Gegen große Widerstände in der
Politik, aber auch in der Öffentlichkeit. Am Ende der Kampagne und
mit der Verabschiedung des Mindestlohns waren laut Umfragen weit über
80 Prozent der Bundesbürger dafür, dass es einen allgemeinen
gesetzlichen Mindestlohn gibt. Natürlich werden wir auch in Zukunft
Tarifverträge abschließen. Der Mindestlohn ersetzt diese nicht. Die
Große Koalition hat mit dem Gesetz auch eine Erleichterung von
Allgemeinverbindlichkeitserklärungen verabschiedet. Dies werden wir
nutzen. Gerade hat das Bundeskabinett den Mindestlohn für die
Fleischindustrie zum 1. Januar 2015 auf den Weg gebracht. Im
Gartenbau und in der Landwirtschaft haben wir mittlerweile auch
Tarifverträge, im Friseurhandwerk ebenfalls. Allein die Aussicht auf
die Verabschiedung des Mindestlohngesetzes hat dazu geführt, dass die
Arbeitgeber sich auf die Gewerkschaften zubewegt haben, um mit ihnen
Tarifverträge abzuschließen.

Dennoch lässt das Gesetz aus Ihrer Sicht zu viele Ausnahmen zu.

Körzell: Wir sind der Meinung, dass man für Jugendliche unter 18
Jahren und auch für Langzeitarbeitslose keine Ausnahmen machen
sollte. Die Begründung dafür ist doch schlicht falsch: Wenn der
Mindestlohn wirklich ein Hemmnis wäre, um in den Arbeitsmarkt zu
gelangen, dann hätten ja in der Zeit, als es noch keinen Mindestlohn
gab, alle Langzeitarbeitslosen Beschäftigung finden müssen. Das war
nicht der Fall. Es gibt auch kein anderes europäisches Land, das eine
solche Regelung hat.

Sie kritisieren auch die Übergangsfrist für die Zeitungszusteller.
Sehen Sie nicht die Gefahr, dass ein Mindestlohn in ländlichen
Regionen dazu führt, dass dieser Beruf dort ganz verschwindet und
durch das E-Paper ersetzt wird oder dass die Scheinselbstständigkeit
zunimmt?

Körzell: Fest steht, dass die Zeitungsbranche ein umkämpfter Markt
ist. Es findet ein Konzentrationsprozess statt und es gibt starke
Konkurrenz durch die neuen Medien. Aber der Mindestlohn wird nicht zu
einer riesigen Kostenlawine führen. Die Gewerkschaft ver.di hat
errechnet, dass der Mindestlohn jede ausgetragene Zeitung um etwa
drei Cent teurer macht. Das Bild vom massenhaften Zeitungssterben,
das in diesem Zusammenhang gezeichnet wird, ist ein Märchen.

Der Mindestlohn soll alle paar Jahre nachjustiert, also erhöht
werden. Schwächt das die Position der Gewerkschaften in
Tarifverhandlungen?

Körzell: Wir haben mit der Bundesvereinigung der deutschen
Arbeitgeberverbände vereinbart, dass es eine nachlaufende Erhöhung
des Mindestlohns gibt - und zwar alle zwei Jahre. Ein Indikator für
die Entwicklung des Mindestlohnes werden Daten des Statistischen
Bundesamtes zur Erhöhung der Tarifentgelte sein, die üblicherweise im
Februar veröffentlicht werden. Wir werden in der
Mindestlohnkommission aber keine Diskussion über regionale
Unterschiede führen. Dass mit der Mindestlohnfestsetzung im Verfahren
der nachlaufenden Erhöhung auch Signale gesetzt werden für die
kommenden Tarifverhandlungen, schließe ich aus.

Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, den
Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen durch strengere Regeln
einzudämmen. Wie müssen die konkret aussehen?

Körzell: Bei den Werkverträgen ist das größte Problem, dass sie in
Deutschland nicht erfasst werden. In Österreich ist das anders. Dort
werden Werkverträge auch über die Arbeitsverwaltung erfasst.
Hierzulande gibt es nur Schätzungen über den Umfang. Das Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht davon aus, dass wir rund
650 000 Werkvertragsarbeitnehmer haben. Wir wollen, dass die
Betriebsräte mitbestimmen, wenn es um den Einsatz von
Werkvertragsarbeiternehmern geht. Außerdem muss kontrolliert werden,
ob es auch tatsächlich Werkvertragsarbeitnehmer im Sinne des Gesetzes
sind, die von den Unternehmen als solche eingesetzt werden. Auch bei
der Leiharbeit brauchen wir eine stärkere Regulierung und eine
Eindämmung. Gibt es doch zahlreiche Unternehmen, in denen Leiharbeit
nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel ist. Wir halten eine
Höchstverleihdauer von 18 Monaten, wie sie die Große Koalition will,
für zu lang.

In manchen Konzernen macht der Anteil mehr als 20 Prozent der
Belegschaft aus. Warum ist die zunehmende Leiharbeit für Arbeitgeber
eigentlich so attraktiv für Unternehmen?

Körzell: Sogar OP-Schwestern und Ärzte werden mittlerweile als
Leiharbeitskräfte beschäftigt. Leiharbeitnehmer werden in den Firmen
nicht als Personalkosten geführt. Sie werden eingekauft wie Schrauben
und somit als Sachkosten verbucht. Die Unternehmen versprechen sich
davon höhere Flexibilität, sie können auf Marktschwankungen schneller
reagieren und müssen sich nicht um den Kündigungsschutz kümmern.
Manchmal sind Leiharbeiter auch billiger als das Stammpersonal. Ein
Geschäftsmodell für die Zukunft kann und darf das nicht sein - gerade
angesichts des demografischen Wandels. Selbst die
Personaldienstleister haben inzwischen Schwierigkeiten, qualifizierte
Leute zu finden, die sie verleihen können.

Bundesweit sind noch rund 160 000 Lehrstellen unbesetzt.
Woran liegt das?

Körzell: Da müssen Sie genau hinsehen, welche Lehrstellen
unbesetzt sind, an welchem Ort und wie attraktiv die Arbeitgeber
sind.

Was schlagen Sie denn vor, damit mehr junge Menschen Koch, Bäcker
oder Kellner werden?

Körzell: Da müssen sich die Arbeitgeber in bestimmten Branchen
fragen, ob sie denn selbst ausbildungsreif sind. Sie sollten sich
fragen, welches Bild sie nach außen vermitteln. Dass ein Bäcker oder
eine Servicekraft in der Gastronomie nicht morgens um acht Uhr
anfängt und um 16 Uhr Feierabend hat, weiß jeder. Aber wenn die
Arbeitsbedingungen ungünstig sind, dann muss die Entlohnung eben
attraktiv sein. Und es dürfen keine ausbildungsfremden Arbeiten
erledigt werden.

Gleichzeitig wirft der Nationale Bildungsbericht den Betrieben
einen hausgemachten Fachkräftemangel vor, weil zu wenig ausgebildet
wird. Wie passt das zu der - nicht nur in diesem Jahr - hohen Zahl
der offenen Lehrstellen?

Körzell: Die Ausbildungsquote liegt derzeit bei 21,3 Prozent. Also
nicht mal ein Viertel der Betriebe, die ausbilden könnten, tun dies
auch. Aber alle Betriebe wollen Fachkräfte. Das kann nicht
funktionieren. Zudem darf man sich nicht immer nur die Besten
aussuchen, man muss sich auch wieder den Schwächeren zuwenden, denen
man mit betriebsbegleitendem Unterricht helfen kann, erfolgreich eine
Ausbildung abzuschließen.

Das Thema Inklusion ist in der Wirtschaft offenbar noch nicht
richtig angekommen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge
finden von 50 000 behinderten Jugendlichen nur 3500 einen
betrieblichen Ausbildungsplatz. Woran liegt das?

Körzell: Möglicherweise gibt es da noch Barrieren, die abgebaut
werden müssen. Wir wissen, dass manche Betriebe lieber die Abgabe
zahlen, als einen Schwerbehinderten einzustellen. Grundsätzlich denke
ich, dass wir uns in den vergangenen Jahren zu sehr daran gewöhnt
haben, immer nur die Besten herauszupicken. Wir als DGB machen uns
für die sogenannte assistierte Ausbildung stark. Dabei werden
Jugendliche nicht nur auf ihrem Weg in, sondern auch durch die
Ausbildung hindurch persönlich und fachlich begleitet. Diese Aufgabe
übernehmen Bildungsträger als Dienstleister. Wenn wir wissen, dass
wir auf einen Fachkräftemangel zusteuern, dann müssen wir jetzt die
Weichen stellen - und auch Geld investieren.

Das Gespräch führte Klaus Bohlmann



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe(at)landeszeitung.de


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Datum: 31.07.2014 - 19:28 Uhr
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