(ots) - Kein Blick für den drohenden Skandal
Dieses Desaster geht auf das Konto von Tobia Bezzola. Der Direktor
des Essener Museum Folkwang hat die Sprengkraft der Polaroids von
Balthus sträflich unterschätzt. Ihm ist nicht zu unterstellen, dass
er den Skandal in Kauf genommen hat, um seinem Museum Aufmerksamkeit
zu verschaffen. Gerade im Hinblick auf das international hoch
angesehene Folkwang wäre das eine fatale Strategie. Nein, Bezzola hat
nur auf die Exponate gesehen und keinen Blick für ihre pädophile
Dimension gehabt. Das Ausstellungsprojekt wäre ohnehin nur zu retten
gewesen, wenn das Museum Balthus' Darstellungen unter genau diesem
Aspekt zur Diskussion gestellt hätte. Aber das unterblieb.
Ohnehin ist zu fragen, warum Kunsthändler, Kuratoren und Verleger
sich so um die Publikation von Bildern bemühen, die der 2001
verstorbene Balthus offenbar nur als Vorstudien gedacht hatte. Liegt
darin nicht eine zweite, gleichfalls bedenkliche Grenzüberschreitung?
Die Absage der Ausstellung wird nun dazu führen, dass auch andere
künstlerische Werke unter Verdacht geraten. Was ist mit Kirchners und
Gauguins Mädchenakten, was mit Mädchenfotos Lewis Carrolls? Diese
Fragen sollten gestellt werden. Allerdings ist niemandem mit einer
neuen Hexenjagd gedient. Wie gesagt: Das Folkwang hätte die Frage
nach Grenzziehungen zum Thema machen können, ja müssen.
Stefan Lüddemann
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