Ein Wort zu RĂŒdiger Heins Kriminal- und Zeitroman von Mario Andreotti
(firmenpresse) - (NL/9422742205) Spannungsgeladener und lesenswerter Roman
Die Handlung in RĂŒdiger Heins Roman In Schweigen gehĂŒllt ist auf den ersten Blick relativ einfach: Da ermordet der junge, erst achtzehnjĂ€hrige Anton Detrois seine alte Tante Honorine Steimer, eine ehemalige Klosterfrau aus einem Orden in WĂŒrzburg, um an ihre Geldschatulle zu gelangen. Man wird bei der LektĂŒre der ersten Seiten an Frank Wedekinds berĂŒhmtes Gedicht Der Tantenmörder aus dem Jahre 1897 erinnert. Anton Detrois kann mit den vielen Geldscheinen, die er im Schlafzimmer der ermordeten Tante erbeutet hat, zunĂ€chst fliehen, schlĂ€gt sich in verschiedenen WirtshĂ€usern, bei Dirnen und Obdachlosen herum, kauft sich ein Motorrad und wird schliesslich von der Polizei gefasst und am 4.September 1903 in Mainz öffentlich hingerichtet. Ein Raubmord, der nach dem klassischen Muster des Detektivromans erzĂ€hlt wird.
Soweit der Plot der Geschichte. Doch RĂŒdiger Heins erzĂ€hlt die Geschichte nicht einfach chronologisch, angefangen bei der Kindheit von Detrois bis hin zu dessen Festnahme und Hinrichtung, wie das etwa Patrick SĂŒskind in seinem berĂŒhmten Roman Das Parfum tut. SĂŒskind beginnt die Geschichte seines abstossenden Helden mit dessen Geburt und schliesst sie mit dessen Tod. Völlig anders, wie bereits gesagt, RĂŒdiger Heins. Er setzt, ganz in der Tradition des Kriminalromans, mit dem in allen fĂŒrchterlichen Einzelheiten beschriebenen Mord an Honorine Steimer ein, um danach in Vorausdeutungen und RĂŒckblenden den linearen Gang der Handlung gleichsam aufzubrechen. So springt der personale Er-ErzĂ€hler von der Schilderung des Mordes am Ersten April 1903 im zweiten Kapitel vorausdeutend gleich zum 28.August 1987 und wechselt dabei erst noch die ErzĂ€hlhaltung: aus dem ursprĂŒnglichen Er- wird ein Ich-ErzĂ€hler, jener fiktive Ich-ErzĂ€hler nĂ€mlich, dem es ĂŒber achtzig Jahre spĂ€ter obliegt, vom Mord an der ehemaligen Nonne und vom elenden Ende ihres Mörders der Nachwelt zu berichten. Einige Seiten spĂ€ter kehrt der ErzĂ€hler wieder zur Haupthandlung, zur Schilderung des Mordes an der alten Frau, zurĂŒck, um dann in einer RĂŒckblende aus grosser zeitlicher Distanz und aus einer ganz andern Perspektive Detrois fĂŒrchterliche Tat und deren Vorgeschichte erneut zu beleuchten.
Und so geht das durch den ganzen Roman weiter: Dauernd wird die Haupthandlung durch RĂŒckblenden in die Kindheit Anton Detrois, aber auch in jene Honorine Steimers und durch Berichte, die eine viel spĂ€tere Zeit betreffen, unterbrochen. An die Stelle einer realen Zeitabfolge tritt so in RĂŒdiger Heins Roman eine Art innere Zeit, eine Gleich- und Allzeitigkeit von Tun und Erinnern, wie wir sie in der modernen ErzĂ€hlprosa etwa aus dem inneren Monolog kennen. Damit aber nicht genug: Montageartig in den Roman eingefĂŒgt sind nicht bloss Analepsen und Prolepsen, sondern weit darĂŒber hinaus auch Fremdtexte in Form von Briefen, von Zeitungsnachrichten, von Gedichten, von Bibeltexten, von Notizen, ErzĂ€hlerkommentaren und Tagebuchaufzeichnungen, ja selbst von Gebeten und vom kirchlichen Glaubensbekenntnis. Und als ob das nicht schon genug wĂ€re, tritt zum Wechsel der Zeitebenen ein fortwĂ€hrender Wechsel der ErzĂ€hlperspektive: Honorine Steimers Kindheit etwa, aber auch ihr klösterliches Leben und ihr spĂ€terer frommer Lebenswandel als Mutter Honorine ausserhalb des Klosters wird aus verschiedensten Perspektiven, aus der von Verwandten, von stĂ€dtischen Beamten, von Geistlichen u.a., berichtet. Ăhnliches lĂ€sst sich von ihrem Mörder Anton Detrois sagen. Wir haben es hier mit einem modernen, polyperspektivischen ErzĂ€hlen zu tun, das ein wenig an Uwe Johnsons berĂŒhmten Roman Mutmassungen ĂŒber Jakob erinnert. Ein gewichtiger Unterschied bleibt freilich: WĂ€hrend in Johnsons Roman der Leser bis zum Schluss nicht erfĂ€hrt, wie Jakob wirklich zu Tode gekommen ist, erfahren wir im Roman von Heins RĂŒdiger nach und nach, welches die tieferen, letztlich in einer leidvollen Kindheit liegenden GrĂŒnde von Detrois entsetzlicher Tat sind.
Wenn im Roman In Schweigen gehĂŒllt von stĂ€ndigen Unterbrechungen der Handlung die Rede ist, dann darf ein Element, das dem Leser schon von der ersten Seite an begegnet, nicht unerwĂ€hnt bleiben: die Kellerassel, die Dingsymbol und Leitmotiv zugleich ist; Dingsymbol insofern, als sie, durch ihren Bezug zur Dunkelheit, fĂŒr den Tod steht, und Leitmotiv, indem sie in regelmĂ€ssigen AbstĂ€nden in dem immer gleichen, hintergrĂŒndig zeichenhaften Satz von der Blutlache, in den sie mit ihrem Kopf stösst, wiederkehrt. Durch dieses leitmotivische Zitat erhĂ€lt der Roman, der aus verschiedenartigsten Elementen, vom ErzĂ€hlerbericht bis zur Textcollage, komplex zusammengefĂŒgt ist, letztlich seine KohĂ€renz.
So haben wir denn in RĂŒdiger Heins Werk einen modernen Montageroman vor uns, der dem Leser nicht nur einen Einblick in die komplexe, in sich widersprĂŒchliche Psyche eines Menschen ermöglicht, der auf seine Weise Liebender und Mörder zugleich ist, sondern auch in eine bĂŒrgerliche Gesellschaft, die fĂŒr Menschen an ihrem Rand keinen Platz hat. Das macht das Werk weit ĂŒber eine reine Detektivgeschichte in der Tradition von Georges Simenon hinaus zu einem spannungsgeladenen, Ă€usserst lesenswerten Zeitroman.
Prof. Dr. Mario Andreotti ist Dozent fĂŒr neuere deutsche Literatur in St. Gallen und ZĂŒrich und Autor des UTB Bandes Die Struktur der modernen Literatur.
RĂŒdiger Heins www.ruedigerheins.de
In Schweigen gehĂŒllt
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Hardcover mit Schutzumschlag 18.90
ISBN: 978-3-937150-12-3
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