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Heike S. nennt ihre Situation schlicht "empörend". Die 51-Jährighe
findet seit drei Jahren keine feste Stelle mehr. Und das, obwohl sie
eine Banklehre, gute Arbeitszeugnisse und jahrzehntelange Erfahrungen
in Büro und Buchhaltung vorweisen kann. Notgedrungen nimmt Heike jede
Arbeit an, die sie im strukturschwachen Worms überhaupt noch findet -
15 Stunden pro Monat bei der Gemeindeverwaltung, vier Stunden die
Woche an der Kasse eines Großhandels, und neuerdings verdient sie
sich noch ein paar Euro als Stadtführerin dazu. "Arbeit schändet
nicht", sagt sie. "Und heute weiß ich: Ich bin nicht die, die von der
Welt abgestraft wird, sondern das ist momentan so. Wir leben in einer
Zeit, in der das Wohl der Arbeiter und Angestellten weniger wert ist
als die Rendite. Und das ist die Krux. Ich bin beispielhaft für viele
andere. Ich bin da nicht allein."
Zweieinhalb Millionen Multijobber gibt es in Deutschland. Laut
Bundesanstalt für Arbeit sind es noch viel mehr, denn die Statistik
erfasst nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die
gleichzeitig noch einen Minijob ausüben. Seit deren Einführung im
Jahr 2003 ist die Anzahl der Multijobber rapide gewachsen, sie hat
sich verdoppelt. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB) arbeiten aktuell 7,4 Millionen Menschen in
Minijobs. Bei Stundenlöhnen von teilweise unter sieben Euro sind
immer mehr Menschen gezwungen, ihr Einkommen durch Hartz IV oder
einen 450-Euro-Minijob aufzustocken. Während die Bundesregierung
voller Stolz vom deutschen Jobwunder spricht, beklagen Gewerkschafter
Lohndumping und die Verdrängung regulärer Arbeitsverhältnisse.
Seit 20 Jahren arbeitet der gebürtige Duisburger Aydin E. als
Hochzeitsplaner. Heute rechnet er mit 600 Gästen. Doch bei türkischen
Hochzeiten weiß man nie so genau. "Zusagen oder Absagen kennen wir
nicht", sagt Aydin E., und so um die 1000 Gäste sind eher die Regel
als die Ausnahme. "Oft bringen eingeladene Gäste unangemeldet noch
Freunde mit, das ist ganz normal bei uns." Sicherheitshalber hat er
200 Hähnchen mehr bestellt. Doch wird das reichen? "Für den schönsten
Tag im Leben eines Paares verantwortlich zu sein, das ist Stress
pur", sagt Aydin. Und erwähnt dabei mit keinem Wort, dass er an
diesem Samstag bereits acht Stunden Arbeit hinter sich hat. Die
Frühschicht bei Thyssen. Morgens kocht der Mann Stahl, abends lässt
er Hähnchen grillen. Wenn seine Kollegen im Stahlwerk Feierabend
machen, zieht er die Sicherheitsschuhe aus und den Anzug an.
"Das Hochzeitsgeschäft läuft gut", sagt der Unternehmer und
Stahlarbeiter. "Aber wie lange noch?" Es sind auch Schicksale wie das
von Heike S., die Aydin davon abhalten, einen seiner beiden
Full-Time-Jobs aufzugeben. "Es ist kurz vor ein Uhr nachts, als er
das Licht im Festsaal ausschaltet. Fünf Stunden später beginnt seine
nächste Schicht bei Thyssen. Dann wird er statt eleganter Lederschuhe
wieder ein Paar mit Stahlkappe tragen. Denn für Aydin gilt nicht nur
im Stahlwerk: sicher ist sicher.
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