PresseKat - Ungarn im Reformstau

Ungarn im Reformstau

ID: 71868

Vor dem Besuch des IWF-Präsidenten Strauss-Kahn nutzte unser Osteuropa-Korrespondent, Andreas Gulya, die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem ungarischen Finanzminister, János Veres, MSZP (Ungarische Sozialistische Partei). Große Fragestellung natürlich: Steht Ungarn vor der Staatspleite oder ist sie schon im vollen Gange? Der Tembiz.de-Reporter versucht, das Rätsel "Ungarn" zu lösen.

(firmenpresse) - Im Westen herrscht zurzeit nur eine Meinung vor: Ungarn ist pleite. Der einstige Musterschüler vor und nach der Wende in Osteuropa ist Schlusslicht der Länder geworden, die von der EU aufgenommen worden. Nach diversen Ankündigungen ist die Einführung des Euros immer noch in der sehr weiter Ferne, Ungarn ist nicht einmal in der Nähe der Eurozone. Die Anzahl derer, die schlicht weg bei sich zu Hause zu Tode erfrieren, weil sie das Geld für das Heizen nicht aufbringen können, schlägt alle bisherigen Rekorde. Nach vorsichtigen Schätzungen bei diesem nicht einmal zehn Millionen Volk leben über drei Millionen Menschen um oder unter der Armutsgrenze.

Das Land ist hoffnungslos verschuldet, es lebt seit den Achzigern stets über seine Verhältnisse. Auch die Wende brachte keine Wende, denn die politischen Parteien übertreffen sich bei den Wahlversprechen, die sie dann auch mehr oder weniger sogar einhalten. Zu einigen grundlegenden Reformen bedarf es einer Zweidrittelmehrheit, an die zur Zeit nicht zu denken ist. Die aufgeblähte politische Kaste, es gibt in Ungarn 386 Parlamentsabgeordnete, die es seit 1990 nicht schafft, die Parlamentsgröße der Größe des Landes anzupassen. Bayern und Österreich kommen mit cica der Hälfte dieser Abgeordnetenzahl aus. Es gibt über 3.200 Gemeinden, mit Bürgermeistern und den entsprechenden Gremien, damit schlägt Ungarn Großbritannien um Längen. Die Hauptstadt Budapest, die etwa ein Fünftel des Landes umfasst, wird durch mehrere Bürgermeister und Gremien "regiert" als New York. Jeder weiß es, jeder kennt diese Tatsachen, aber seit 1990 passiert rein gar nichts.

So ist es kaum zu verwundern, dass Ungarn ohne die Hilfe der internationalen Finanzorganisationen den Staatskonkurs hätte anmelden müssen. Die Hoffnungslosigkeit bei den sowieso zur Melancholie neigenden Magyaren macht sich sehr breit, denn man sieht das Licht am Ende des Tunnels nicht, man weiß es nicht mehr, woher eine geistig-moralische und damit politisch-wirtschaftliche Wende kommen sollte. Finanzminister János Veres ist Mitglied der die Minderheitsregierung stellenden Ungarischen Sozialistischen Partei. Er war schon Finanzminister der Regierung, die vor der Wahl im 2006 regierte. Innerhalb seiner Partei spielt er auch eine wichtige Rolle, unter anderen ist er in seinem Komitat Szabolcs-Szatmár-Bereg - dieses Komitat liegt im Osten Ungarns, direkt an der Grenze zur Ukraine - zum wiederholten Male, diesmal lediglich mit drei Gegenstimmen, zum Vorsitzenden gewählt worden. In seiner Partei verfügt er über eine gute Basis, die ihm dazu mit Sicherheit verhilft, auch in diesen extremen Zeiten seit Jahren den Posten des Finanzministers inne zu halten.





Im letzten Jahr war gegen alle Erwartungen die Entwicklung der Staatsverschuldung "günstiger" ausgefallen. Das Defizit fiel lediglich mit 907 Milliarden HUF aus (1 Euro beträgt 280 HUF). Finanzminister Veres bekannte sich im Gespräch dazu, dass in Ungarn die Strukturreformen vorangetrieben werden müssen, damit das niedrige Defizit des Haushaltes weiterhin gehalten wird. Auf diesem Wege sei es sehr wichtig, dass das angenommene Gesetz für das Haushalten der Institute, die dem Haushaltsgesetz unterliegen, auch in der Praxis umgesetzt wird. Auch sei es unerlässlich, dass die Regierung die Vorschriften aus dem Gesetz für die Einhaltung des Haushaltes konsequent einhält sowie dass die dort beschriebe Umgestaltung des Haushaltes ebenfalls umgesetzt wird.

Die Frage hängt in der Luft, ob das bereits angenommene Haushaltsgesetz für 2009 geändert werden müsse. Veres sagte weiter: "Die Europäische Kommission wird ihre Prognose jetzt veröffentlichen. Es ist ungewöhnlich, weil sie so etwas in der Regel im Frühjahr tut, aber diesmal wird es auch eine Winterprognose geben. Wir warten diese Prognose ab, und werden es aus ihr entnehmen, wie sich die für Ungarn so wichtigen Exportmärkte im 2009 entwickeln werden. In dem Zusammenhang werden wir darüber eine Aussage machen können ob und in wie weit wir unsere Prognosen berichtigen müssen. Wir wollen durch unser Handeln auf den Finanzmärkten die Glaubenskrise der Banken beseitigen. Wenn das Vertrauen wieder da ist, dann wird sich automatisch das Finanzierungsproblem der ungarischen Volkswirtschat verbessern."

Auf die Frage, was die Garantien für die Einhaltung des Budgets für das Jahr 2009 seien, meinte Veres, dass die Regierung das Schrumpfen des GDP nicht unterschätzt hätte. Man sollte die Zahlen aus Europa abwarten, und dann könnte man eine Aussage hierüber treffen. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die prognostizierte Inflationsrate höher sei als die tatsächlich zu erwartende. Er wolle daran erinnern, dass zum Beispiel in der ersten Jahreshälfte des letzten Jahres die Energiepreise so hohe Zunahmen verzeichneten, mit denen niemand gerechnet hatte. Veres: "Die Zahlen über die Reserven im Haushalt sind veröffentlicht. Wir wissen nicht, wie die Übereinkunft mit den Löhnen und Gehältern ausgehen wird. Die Regierung wird allerdings entsprechende Maßnahmen schon im Januar erlassen, damit auch dieses vermeintliche Loch geschlossen wird. Wenn allerdings die Daten über das GDP, Inflation und Steuereinkommen erheblich abweichen werden, auch dann wird die Regierung die entsprechenden Maßnahmen ergreifen. Im letzten Jahr blieben wir innerhalb der vorgeschriebenen Eckdaten bei den Staatsausgaben".

Auf die Frage, wie und wann die Regierung die so bitter benötigten Reformen vorantreiben würde, schon alleine im Hinblick auf die baldigen Bundestagswahlen im 2010 sagte der Minister, dass die Regierung dazu entschlossen sei. Zum Beispiel hätte das Parlament das 13. Monatsgehalt auf 80.000 HUF maximiert. Trotz des lanen Streiks der Eisenbahner habe die Regierung die nötigen Maßnahmen beschlossen, und das Parlament die entsprechenden Gesetze erlassen. "Wir werden die nötigen Sozialreformen weiterhin vorantreiben, wir haben hierzu ein Programm, der Weg zur Arbeit. Im Rahmen dieses Programms wird die Stellung verschiedener Gruppen verändert. Es wird der Status von ungefähr 200.000 Menschen verändert, wir wollen für die Arbeit und aus dieser Lohn schaffen. Diese Arbeitslosen könnten verhältnismäßig leicht dem Arbeitsprozess wieder zurückgeführt werden. Es kommt hinzu, dass weiter Teile der Bevölkerung irritiert sind, dass man aus staatlichen Leistungen beinahe so viel Einkommen beziehen kann, wie aus Arbeit. Das Sozialsystem erreicht allerdings viel mehr Menschen. Im Hinblick auf Gerechtigkeit muss dieses System umgestaltet werden. Hierzu fehlt allerdings noch die Entscheidung der Regierung. Auf drei Gebieten des Lebens muss allerdings eine Reform gemacht werden: Auf der Ebene des Gemeindewesens, beim Sozialsystem und bei den Renten. Im Parlament bedarf die Veränderung des Gemeindewesens eine Zweidrittelmehrheit. Hier geht es sachlogischerweise nicht ohne die Opposition".

Veres wurde auch mit dem Thema konfrontiert, wie die Regierung das Problem angehen wolle, dass in Ungarn endlich mehr private und Unternehmen Steuern zahlten. Nach seinem Dafürhalten seien in den letzten drei Jahren hierfür Erhebliches geleistet worden. Denn vor drei Jahren zahlten lediglich ein Drittel der eingetragenen Unternehmen Steuern, heute zahlten über Zweidrittel. Bei den Einzelkaufleuten sei eine ähnliche Entwicklung zu vezeichnen. Es wurde sogar eine Kommission gegen die "Schwarzarbeit" gegründet, die angeblich 100 Milliarden HUF Steuern im vergangenen Jahr eintreiben konnte.

Seit dem 1. Januar ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, um die Schattenwirtschaft weiter zurückzudrängen: In bar dürfen nur bis zu 250.000 HUF zwischen den Unternehmen bezahlt werden. Damit hofft die Regierung, weitere Schwarzgelder dem "kontrollierbaren Umlauf" hinzuzuzufügen. Allerdings ist der Veres der Meinung, dass man kaum mehr mit einem Anstieg der Steuereinnahmen aus der Schattenwirtschaft rechnen kann, die Möglichkeiten seien beinahe ausgeschöpft. Die Finanz- und Zollämter bekämpfen allerdings sehr hartnäckig die so genannten "Karussellgeschäfte", bei denen es um kriminelle Mehrwertsteuerzahlungen gehe. Früher habe man derartige Fälle mit einem Volumen Milliarden HUF aufgedeckt, jetzt erreicht die "Aufdeckungsquote"bereits die Zehnmilliarden-HUF-Grenze.


Veres ging auch auf das Thema "Staatsanleihen" ein. Hierzu erklärte er, dass nach dem "Desaster" der Emission der deutschen Staatspapiere natürlich in Ungarn so gut wie keine Prognose zum Absatz eigener Staatsanleihen gemacht werden könne. Als Ungarn die Verträge mit den internationalen Finanzinstituten abgeschlossen habe, spielte gerade das wirtschaftliche Negativszenario für 2009 eine entscheidende Rolle. Nach Veres´ Meinung hätten kleine Länder wir Ungarn in den kommenden Monate so gut wie keine Chance, eigene Staatsanleihen abzusetzen.

Die Mittelaufnahme bei den internationalen Einrichtungen würden dazu reichen, dass die alten Schulden getilgt werden könnten und man darüber hinaus "über neues Geld" verfüge. Das ehemalige Vertrauen in die Finanzmärkte werde nur sehr langsam wieder herstellbar sein. Nach der Meinung des ungarischen Finanzministers seien die Verluste der Investmentbank Lehman Brothers sehr tief in das Gedächtnis aller Marktteilnehmer eingebrannt. Dass nicht nur Manager und Aktionäre der Bank, sondern auch Anleger Geld verloren haben, werde immer noch als ein Trauma gehandelt.
(TN/Andreas Gulya)

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Datum: 04.02.2009 - 15:34 Uhr
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