PresseKat - WESTERWELLE-Interview für die 'Welt am Sonntag' (30.05.2010)

WESTERWELLE-Interview für die 'Welt am Sonntag' (30.05.2010)

ID: 205191

WESTERWELLE-Interview für die "Welt am Sonntag" (30.05.2010)

(pressrelations) -
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Welt am Sonntag" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ULF POSCHARDT und CLAUS CHRISTIAN MALZAHN:

Frage: Herr Westerwelle, um Ihre Partei und die Berliner Koalition steht es nicht gut. 78 Prozent der Deutschen sind unzufrieden mit der Regierung. Ihr Kommentar?

WESTERWELLE: Das ist betrüblich. Aber wir haben auch sehr schwierige Entscheidungen für Europa und die Stabilisierung unserer Währung treffen müssen. Es gibt keine einzige Regierung in Europa, die im Moment von großen Beifallsstürmen getragen wird. Wir haben getan, was richtig war. Es war in deutschem Interesse, Europa und den Euro zu schützen.

Frage: Besonders enttäuscht sind die Anhänger der FDP. 81 Prozent stellen der Regierung ein schlechtes Zeugnis aus.

WESTERWELLE: Mir ist die Ungeduld unserer Anhänger beim Drängen auf einen Politikwechsel verständlich. Wir haben aber in den ersten sieben Monaten einiges erreicht.

Frage: Jetzt sind wir aber gespannt.

WESTERWELLE: Wir haben zum Beispiel zum 1.1.2010 die Familien, den Mittelstand und die Familienbetriebe entlastet.

Frage: Drei von vier Deutschen glauben, dass Sie persönlich Ihrer Partei in letzter Zeit mehr geschadet als genützt hätten.

WESTERWELLE: Als Parteivorsitzender der FDP habe ich in den vergangenen neun Jahren Höhen erklommen und bin durch Umfragetäler gegangen. Ich weiß, wie wechselhaft solche Momentaufnahmen sind. Wenn die guten Ergebnisse unserer Politik für die Bürger und gerade die Mittelschicht sichtbarer werden, werden auch die Umfragen wieder aufwärts gehen.

Frage: Haben Sie an Rücktritt gedacht?

WESTERWELLE: Ich könnte ein ganzes Archiv mit Artikeln bestücken, in denen mein baldiges politisches Ende prophezeit und dem Liberalismus die Totenglocke geläutet worden ist.

Frage: Die Wahl in NRW haben Sie als "Warnschuss" bezeichnet. Welche Konsequenzen ziehen Sie?





WESTERWELLE: Wir schauen jetzt nach vorne. Allerdings hat mich schon gewundert, wie dieses Wahlergebnis uminterpretiert wurde. Ich habe noch am Wahlabend ohne Wenn und Aber eingeräumt, dass wir unsere Wahlziele nicht erreicht haben. Gleichwohl hat die FDP das zweitbeste Ergebnis in NRW seit 1975 eingefahren. Die SPD hat das schlechteste Ergebnis seit 50 Jahren bekommen. Dennoch meinten einige Politikbeobachter, wir hätten verloren und die SPD gewonnen ? ein Kunstwerk der Propaganda.

Frage: Also müssen Sie nichts ändern sondern die Medien? Was wollen Sie nach dem Warnschuss denn anders machen?

WESTERWELLE: Das diskutieren wir in den nächsten Wochen in unseren Gremien. Als Partei wollen wir die programmatische Verbreiterung und Vertiefung voranbringen, indem wir die Diskussion über unser neues Grundsatzprogramm beginnen. Das wird unser Generalsekretär Christian Lindner anführen. Und wir müssen das gemeinsame bürgerliche Projekt dieser Regierung stärker in den Vordergrund stellen. Auch die Erfolge unserer Politik müssen wir stärker unterstreichen.

Frage: Als da wären?

WESTERWELLE: Die Entlastung der Familien und des Mittelstandes habe ich schon erwähnt. Auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht haben wir einiges erreicht. Wir haben Bürgerrechte gestärkt. Und wir haben zum Beispiel die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht vorangetrieben. Das lag seit Jahren still, ist aber für viele Menschen ein wichtiges und richtiges Anliegen der inneren Liberalität. Auch die Verkürzung des Wehrdienstes wurde auf den Weg gebracht. Oder denken Sie an unsere Abrüstungsinitiativen und den erfolgreichen Abschluss der Nuklearen Nichtverbreitungskonferenz in New York.

Frage: Die Mehrheit der Deutschen sehnt sich in diesen Krisenzeiten nach einer großen Koalition. Das kann ja nicht im Interesse der FDP sein. Dennoch tun sie in Nordrhein- Westfalen einiges dafür, damit sie entsteht. Warum?

WESTERWELLE: Welche Koalition wir in Nordrhein-Westfalen am Ende sehen werden, bleibt abzuwarten. Die FDP-Führung wird dort verantwortungsbewusst und richtig entscheiden. Das liegt in der Verantwortung des FDP-Landesverbandes. Der FDP-Landeschef Andreas Pinkwart hatte meine volle Unterstützung, als er entschied, mit SPD und Grünen in NRW nicht zu verhandeln, nachdem die gleichzeitig mit einer Partei sondieren wollten, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Für Alibi-Shows wollten wir uns nicht hergeben. Ich begrüße, dass SPD und Grüne mittlerweile auch zu der Erkenntnis gekommen sind, dass man mit der Linkspartei nicht zusammenarbeiten kann und darf.

Frage: Ist die SPD für die CDU/CSU vielleicht ein bequemerer Partner als die FDP?

WESTERWELLE: Wir wollen diese Koalition mit der Union, weil wir darin ein bürgerliches Projekt sehen. Aber zugegeben, wer heutzutage sagt: Privat kommt vor dem Staat, das Erwirtschaften vor dem Verteilen, die Freiheit vor der Gleichheit, der kann in diesem Meer der Staatsgläubigkeit gelegentlich sehr einsam sein.

Frage: Wie sieht denn nun Ihre liberale Agenda aus? Welche Pflöcke wollen Sie einschlagen?

WESTERWELLE: Bürgerliche Regierungen konnten immer besser mit Geld umgehen als Regierungen links von der Mitte. Die rot-grüne Regierung hat uns 2004 mit der Aufweichung des Euro-Stabilitätspaktes in die schwierige Lage manövriert, in der wir heute stecken. Auch in der Großen Koalition wurde zu viel Geld mit zu wenig Sinn ausgegeben. Jetzt müssen wir die Staatsfinanzen in Ordnung bringen. Und zwar durch Ausgabeneinsparungen und eben nicht durch Steuererhöhungen. Sparen ist angesagt. 2005 wurde in einer relativ guten Wirtschaftslage von der Großen Koalition die Mehrwertsteuer massiv erhöht. Eine solche Politik der permanenten Mehrbelastung der Bürger ist mit der FDP nicht zu machen. Leider gibt es im Deutschen Bundestag sehr viele Abgeordnete, die mit Steuererhöhungen weniger Probleme haben als mit Ausgabeneinsparung.

Frage: Also entwickelt sich die FDP von einer wahlkämpfenden Steuersenkungspartei zu einer Regierungspartei, die bloß noch neue Steuern verhindern will?

WESTERWELLE: Wir haben gerade beschlossen, dass wir die Finanzmärkte an der Krisenbewältigung beteiligen werden. Und dass die Verlängerung der Laufzeiten für die Kernenergiewirtschaft auch zu einem fiskalischen Ausgleich führen muss, ist zu Recht im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich rede von der immer größeren Steuerbelastung der ganz normalen Bürger, die wir nicht akzeptieren wollen. Zum 1. Januar diesen Jahres haben wir deshalb das Notwendigste bei der Entlastung von Familien gemacht. Es darf doch kein Armutsrisiko sein, wenn man Kinder bekommt. Ich bin viel in der Welt unterwegs. Es ist beeindruckend, mit welchem Selbstbewusstsein ein Land wie Brasilien wirtschaftlich und politisch an Gewicht gewinnt. Dort wie in anderen aufstrebenden Ländern wird auf die Förderung der Jugend, auf Bildung, auf Forschung und Technologie und auf die Stärkung der Mittelschicht gesetzt.

Frage: Holen Sie sich im Ausland neue Ideen für die Innenpolitik?

WESTERWELLE: Es wäre töricht für unser Land, nicht darauf zu achten, was sich andernorts tut. Das gilt auch für Europa. Das Volumen unserer Handelbeziehungen mit den Niederlanden ist größer als das mit China. Millionen deutscher Arbeitsplätze sind abhängig von einem funktionierenden stabilen Europa. Frieden und internationale Sicherheit sind für uns von größter Bedeutung.

Frage: Bundespräsident Horst Köhler ist wegen einiger Äußerungen zu bewaffneten Auslandseinsätzen schwer in die Kritik geraten. Hat er sich im Ton vergriffen?

WESTERWELLE: Dieses bewusste Missverstehen des Bundespräsidenten durch die Opposition ist respektlos. Die kritisierten Äußerungen des Bundespräsidenten waren auf die Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika bezogen. Dort geht es um den Schutz unserer Schiffe und der See- und Handelswege, die durch Piraten gefährdet sind. Gleichzeitig wird sicher gestellt, dass Hilfslieferungen von Nahrungsmitteln oder medizinischen Gütern ihr Ziel erreichen. So steht es auch in dem Mandat, das im Bundestag beschlossen wurde.

Frage: Offenbar ist es schwer, über deutsche Interessen in der Außenpolitik zu sprechen.

WESTERWELLE: Gute Außenpolitik ist werteorientiert und interessengeleitet. Das ist kein Widerspruch. So geht es bei Wirtschaftsbeziehungen mit schwierigen Ländern nicht nur um Arbeitsplätze, sondern auch um "Wandel durch Handel". Handel und Austausch können gesellschaftliche Veränderungen ermöglichen. Ich traf gerade den Gründer von Google zu einem Gespräch. Der Einzug westlicher Kommunikationstechnologien in China hat neben der wirtschaftlichen auch eine gesellschaftliche Dimension. Die Globalisierung ist eben keine rein ökonomische Angelegenheit. Wir erleben ebenso eine Globalisierung der Werte, der Ideen, der rechtsstaatlichen Überzeugungen, der Pluralität.

Frage: Hat der Liberalismus in Deutschland zu wenig Verbündete?

WESTERWELLE: Die politischen Führungen in diesem Land sind zu staatsgläubig. Das ist das Ergebnis jahrelanger etatistischer Verbiegungen. Den Begriff "Vater Staat" sucht man in anderen Ländern und Sprachen vergebens. Es gibt Mütterchen Russland, Uncle Sam, die Grande Nation. Aber "Vater Staat" mit dem autoritären Anspruch, der da immer mit klingt, gibt es nur bei uns. "Vater Staat", gleichauf mit "Mutter Erde", als Naturgewalt, der sich die Bürger gewissermaßen nur anvertrauen müssen, ergibt für mich kein Traumpaar.

Frage: Das klingt wie die Überschrift zur schwarz-grünen Koalition.

WESTERWELLE: Ich bejahe einen starken Staat. Aber stark ist der Staat dann, wenn er seine hoheitlichen Aufgaben gut macht und die richtigen Rahmenbedingungen setzt, sich ansonsten aber aus dem Privatleben der Bürger heraus hält.

Frage: Steht der Zeitgeist gegen den Liberalismus?

WESTERWELLE: Nein, das wird von den Staatsgläubigen behauptet, seit ich mich in der Politik engagiere. Unser Land hat große Potenziale, wenn es der Idee von "Freiheit zur Verantwortung" folgt. Gleichwohl wünsche ich mir noch mehr Unterstützung für die geistig-politische Wende in Deutschland, die wir dringend brauchen. Ich wundere mich schon über die Sprachlosigkeit mancher Intellektueller angesichts der Staatsgläubigkeit und des um sich greifenden Etatismus der letzten Jahre.

Frage: Wen meinen Sie genau?

WESTERWELLE: Ich meine die Führungen aller gesellschaftlichen Bereiche. Das gilt für Teile der Wirtschaft und ihre Verbände genauso wie für Wissenschaft und Kultur. Den Politikwechsel bekommt man mit 14,6 Prozent für die FDP nicht alleine hin, erst recht nicht in sieben Monaten. Der Liberalismus braucht Unterstützer mit Ausdauer und Mut zum öffentlichen Bekenntnis.

Frage: Rückt die FDP in der Krise auseinander oder zusammen?

WESTERWELLE: Die FDP ist ein Team. Früher musste ich lesen, die FDP sei eine one-man-show. Jetzt lese ich viele Namen, wer mir angeblich noch heute nachfolgen wird. Das zeigt nur, wie viele Talente wir in unserer diskussionsfreudigen Partei haben. Eine Partei ist erst dann in Schwierigkeiten, wenn sie nicht mehr weiß, wohin sie will. Die FDP kennt ihren freiheitlichen Kompass genau.

Frage: Sie waren schon immer eine beliebte Zielscheibe von Karikaturisten und Kabarettisten ? genau wie Roland Koch. Werden Sie ihn vermissen?

WESTERWELLE: Ich kenne Roland Koch seit vielen Jahren und schätze ihn. Ich bedaure seinen Rückzug, aber ich respektiere seine vor dem Hintergrund eigener Lebensplanungen getroffene Entscheidung.

Frage: Wenn bei SPD, Grünen oder Linken gar nichts mehr geht, wird ein Witz über Westerwelle gemacht. Trifft Sie das?

WESTERWELLE: Die Abteilung beleidigte Leberwurst kenne ich nicht. Der französische Außenminister Bernard Kouchner hat mir nach einem langen außenpolitischen Gespräch bei einem Abendessen in Paris geraten: Guido, lies das alles über Dich nicht! Er würde das auch oft so halten. In den ersten Wochen litte man unter Entzug, danach ginge es einem deutlich besser. Mir gelingt das leider immer noch nicht ganz. Aber dann denke ich an den Rat meiner 1896 in Schötmar bei Bad Salzuflen geborenen, inzwischen verstorbenen Großmutter: "Willst nicht, dass die Raben schreien, darfst nicht Kirchturms Spitze sein."

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Welt am Sonntag" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ULF POSCHARDT und CLAUS CHRISTIAN MALZAHN:

Frage: Herr Westerwelle, um Ihre Partei und die Berliner Koalition steht es nicht gut. 78 Prozent der Deutschen sind unzufrieden mit der Regierung. Ihr Kommentar?

WESTERWELLE: Das ist betrüblich. Aber wir haben auch sehr schwierige Entscheidungen für Europa und die Stabilisierung unserer Währung treffen müssen. Es gibt keine einzige Regierung in Europa, die im Moment von großen Beifallsstürmen getragen wird. Wir haben getan, was richtig war. Es war in deutschem Interesse, Europa und den Euro zu schützen.

Frage: Besonders enttäuscht sind die Anhänger der FDP. 81 Prozent stellen der Regierung ein schlechtes Zeugnis aus.

WESTERWELLE: Mir ist die Ungeduld unserer Anhänger beim Drängen auf einen Politikwechsel verständlich. Wir haben aber in den ersten sieben Monaten einiges erreicht.

Frage: Jetzt sind wir aber gespannt.

WESTERWELLE: Wir haben zum Beispiel zum 1.1.2010 die Familien, den Mittelstand und die Familienbetriebe entlastet.

Frage: Drei von vier Deutschen glauben, dass Sie persönlich Ihrer Partei in letzter Zeit mehr geschadet als genützt hätten.

WESTERWELLE: Als Parteivorsitzender der FDP habe ich in den vergangenen neun Jahren Höhen erklommen und bin durch Umfragetäler gegangen. Ich weiß, wie wechselhaft solche Momentaufnahmen sind. Wenn die guten Ergebnisse unserer Politik für die Bürger und gerade die Mittelschicht sichtbarer werden, werden auch die Umfragen wieder aufwärts gehen.

Frage: Haben Sie an Rücktritt gedacht?

WESTERWELLE: Ich könnte ein ganzes Archiv mit Artikeln bestücken, in denen mein baldiges politisches Ende prophezeit und dem Liberalismus die Totenglocke geläutet worden ist.

Frage: Die Wahl in NRW haben Sie als "Warnschuss" bezeichnet. Welche Konsequenzen ziehen Sie?

WESTERWELLE: Wir schauen jetzt nach vorne. Allerdings hat mich schon gewundert, wie dieses Wahlergebnis uminterpretiert wurde. Ich habe noch am Wahlabend ohne Wenn und Aber eingeräumt, dass wir unsere Wahlziele nicht erreicht haben. Gleichwohl hat die FDP das zweitbeste Ergebnis in NRW seit 1975 eingefahren. Die SPD hat das schlechteste Ergebnis seit 50 Jahren bekommen. Dennoch meinten einige Politikbeobachter, wir hätten verloren und die SPD gewonnen ? ein Kunstwerk der Propaganda.

Frage: Also müssen Sie nichts ändern sondern die Medien? Was wollen Sie nach dem Warnschuss denn anders machen?

WESTERWELLE: Das diskutieren wir in den nächsten Wochen in unseren Gremien. Als Partei wollen wir die programmatische Verbreiterung und Vertiefung voranbringen, indem wir die Diskussion über unser neues Grundsatzprogramm beginnen. Das wird unser Generalsekretär Christian Lindner anführen. Und wir müssen das gemeinsame bürgerliche Projekt dieser Regierung stärker in den Vordergrund stellen. Auch die Erfolge unserer Politik müssen wir stärker unterstreichen.

Frage: Als da wären?

WESTERWELLE: Die Entlastung der Familien und des Mittelstandes habe ich schon erwähnt. Auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht haben wir einiges erreicht. Wir haben Bürgerrechte gestärkt. Und wir haben zum Beispiel die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht vorangetrieben. Das lag seit Jahren still, ist aber für viele Menschen ein wichtiges und richtiges Anliegen der inneren Liberalität. Auch die Verkürzung des Wehrdienstes wurde auf den Weg gebracht. Oder denken Sie an unsere Abrüstungsinitiativen und den erfolgreichen Abschluss der Nuklearen Nichtverbreitungskonferenz in New York.

Frage: Die Mehrheit der Deutschen sehnt sich in diesen Krisenzeiten nach einer großen Koalition. Das kann ja nicht im Interesse der FDP sein. Dennoch tun sie in Nordrhein- Westfalen einiges dafür, damit sie entsteht. Warum?

WESTERWELLE: Welche Koalition wir in Nordrhein-Westfalen am Ende sehen werden, bleibt abzuwarten. Die FDP-Führung wird dort verantwortungsbewusst und richtig entscheiden. Das liegt in der Verantwortung des FDP-Landesverbandes. Der FDP-Landeschef Andreas Pinkwart hatte meine volle Unterstützung, als er entschied, mit SPD und Grünen in NRW nicht zu verhandeln, nachdem die gleichzeitig mit einer Partei sondieren wollten, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Für Alibi-Shows wollten wir uns nicht hergeben. Ich begrüße, dass SPD und Grüne mittlerweile auch zu der Erkenntnis gekommen sind, dass man mit der Linkspartei nicht zusammenarbeiten kann und darf.

Frage: Ist die SPD für die CDU/CSU vielleicht ein bequemerer Partner als die FDP?

WESTERWELLE: Wir wollen diese Koalition mit der Union, weil wir darin ein bürgerliches Projekt sehen. Aber zugegeben, wer heutzutage sagt: Privat kommt vor dem Staat, das Erwirtschaften vor dem Verteilen, die Freiheit vor der Gleichheit, der kann in diesem Meer der Staatsgläubigkeit gelegentlich sehr einsam sein.

Frage: Wie sieht denn nun Ihre liberale Agenda aus? Welche Pflöcke wollen Sie einschlagen?

WESTERWELLE: Bürgerliche Regierungen konnten immer besser mit Geld umgehen als Regierungen links von der Mitte. Die rot-grüne Regierung hat uns 2004 mit der Aufweichung des Euro-Stabilitätspaktes in die schwierige Lage manövriert, in der wir heute stecken. Auch in der Großen Koalition wurde zu viel Geld mit zu wenig Sinn ausgegeben. Jetzt müssen wir die Staatsfinanzen in Ordnung bringen. Und zwar durch Ausgabeneinsparungen und eben nicht durch Steuererhöhungen. Sparen ist angesagt. 2005 wurde in einer relativ guten Wirtschaftslage von der Großen Koalition die Mehrwertsteuer massiv erhöht. Eine solche Politik der permanenten Mehrbelastung der Bürger ist mit der FDP nicht zu machen. Leider gibt es im Deutschen Bundestag sehr viele Abgeordnete, die mit Steuererhöhungen weniger Probleme haben als mit Ausgabeneinsparung.

Frage: Also entwickelt sich die FDP von einer wahlkämpfenden Steuersenkungspartei zu einer Regierungspartei, die bloß noch neue Steuern verhindern will?

WESTERWELLE: Wir haben gerade beschlossen, dass wir die Finanzmärkte an der Krisenbewältigung beteiligen werden. Und dass die Verlängerung der Laufzeiten für die Kernenergiewirtschaft auch zu einem fiskalischen Ausgleich führen muss, ist zu Recht im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich rede von der immer größeren Steuerbelastung der ganz normalen Bürger, die wir nicht akzeptieren wollen. Zum 1. Januar diesen Jahres haben wir deshalb das Notwendigste bei der Entlastung von Familien gemacht. Es darf doch kein Armutsrisiko sein, wenn man Kinder bekommt. Ich bin viel in der Welt unterwegs. Es ist beeindruckend, mit welchem Selbstbewusstsein ein Land wie Brasilien wirtschaftlich und politisch an Gewicht gewinnt. Dort wie in anderen aufstrebenden Ländern wird auf die Förderung der Jugend, auf Bildung, auf Forschung und Technologie und auf die Stärkung der Mittelschicht gesetzt.

Frage: Holen Sie sich im Ausland neue Ideen für die Innenpolitik?

WESTERWELLE: Es wäre töricht für unser Land, nicht darauf zu achten, was sich andernorts tut. Das gilt auch für Europa. Das Volumen unserer Handelbeziehungen mit den Niederlanden ist größer als das mit China. Millionen deutscher Arbeitsplätze sind abhängig von einem funktionierenden stabilen Europa. Frieden und internationale Sicherheit sind für uns von größter Bedeutung.

Frage: Bundespräsident Horst Köhler ist wegen einiger Äußerungen zu bewaffneten Auslandseinsätzen schwer in die Kritik geraten. Hat er sich im Ton vergriffen?

WESTERWELLE: Dieses bewusste Missverstehen des Bundespräsidenten durch die Opposition ist respektlos. Die kritisierten Äußerungen des Bundespräsidenten waren auf die Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika bezogen. Dort geht es um den Schutz unserer Schiffe und der See- und Handelswege, die durch Piraten gefährdet sind. Gleichzeitig wird sicher gestellt, dass Hilfslieferungen von Nahrungsmitteln oder medizinischen Gütern ihr Ziel erreichen. So steht es auch in dem Mandat, das im Bundestag beschlossen wurde.

Frage: Offenbar ist es schwer, über deutsche Interessen in der Außenpolitik zu sprechen.

WESTERWELLE: Gute Außenpolitik ist werteorientiert und interessengeleitet. Das ist kein Widerspruch. So geht es bei Wirtschaftsbeziehungen mit schwierigen Ländern nicht nur um Arbeitsplätze, sondern auch um "Wandel durch Handel". Handel und Austausch können gesellschaftliche Veränderungen ermöglichen. Ich traf gerade den Gründer von Google zu einem Gespräch. Der Einzug westlicher Kommunikationstechnologien in China hat neben der wirtschaftlichen auch eine gesellschaftliche Dimension. Die Globalisierung ist eben keine rein ökonomische Angelegenheit. Wir erleben ebenso eine Globalisierung der Werte, der Ideen, der rechtsstaatlichen Überzeugungen, der Pluralität.

Frage: Hat der Liberalismus in Deutschland zu wenig Verbündete?

WESTERWELLE: Die politischen Führungen in diesem Land sind zu staatsgläubig. Das ist das Ergebnis jahrelanger etatistischer Verbiegungen. Den Begriff "Vater Staat" sucht man in anderen Ländern und Sprachen vergebens. Es gibt Mütterchen Russland, Uncle Sam, die Grande Nation. Aber "Vater Staat" mit dem autoritären Anspruch, der da immer mit klingt, gibt es nur bei uns. "Vater Staat", gleichauf mit "Mutter Erde", als Naturgewalt, der sich die Bürger gewissermaßen nur anvertrauen müssen, ergibt für mich kein Traumpaar.

Frage: Das klingt wie die Überschrift zur schwarz-grünen Koalition.

WESTERWELLE: Ich bejahe einen starken Staat. Aber stark ist der Staat dann, wenn er seine hoheitlichen Aufgaben gut macht und die richtigen Rahmenbedingungen setzt, sich ansonsten aber aus dem Privatleben der Bürger heraus hält.

Frage: Steht der Zeitgeist gegen den Liberalismus?

WESTERWELLE: Nein, das wird von den Staatsgläubigen behauptet, seit ich mich in der Politik engagiere. Unser Land hat große Potenziale, wenn es der Idee von "Freiheit zur Verantwortung" folgt. Gleichwohl wünsche ich mir noch mehr Unterstützung für die geistig-politische Wende in Deutschland, die wir dringend brauchen. Ich wundere mich schon über die Sprachlosigkeit mancher Intellektueller angesichts der Staatsgläubigkeit und des um sich greifenden Etatismus der letzten Jahre.

Frage: Wen meinen Sie genau?

WESTERWELLE: Ich meine die Führungen aller gesellschaftlichen Bereiche. Das gilt für Teile der Wirtschaft und ihre Verbände genauso wie für Wissenschaft und Kultur. Den Politikwechsel bekommt man mit 14,6 Prozent für die FDP nicht alleine hin, erst recht nicht in sieben Monaten. Der Liberalismus braucht Unterstützer mit Ausdauer und Mut zum öffentlichen Bekenntnis.

Frage: Rückt die FDP in der Krise auseinander oder zusammen?

WESTERWELLE: Die FDP ist ein Team. Früher musste ich lesen, die FDP sei eine one-man-show. Jetzt lese ich viele Namen, wer mir angeblich noch heute nachfolgen wird. Das zeigt nur, wie viele Talente wir in unserer diskussionsfreudigen Partei haben. Eine Partei ist erst dann in Schwierigkeiten, wenn sie nicht mehr weiß, wohin sie will. Die FDP kennt ihren freiheitlichen Kompass genau.

Frage: Sie waren schon immer eine beliebte Zielscheibe von Karikaturisten und Kabarettisten ? genau wie Roland Koch. Werden Sie ihn vermissen?

WESTERWELLE: Ich kenne Roland Koch seit vielen Jahren und schätze ihn. Ich bedaure seinen Rückzug, aber ich respektiere seine vor dem Hintergrund eigener Lebensplanungen getroffene Entscheidung.

Frage: Wenn bei SPD, Grünen oder Linken gar nichts mehr geht, wird ein Witz über Westerwelle gemacht. Trifft Sie das?

WESTERWELLE: Die Abteilung beleidigte Leberwurst kenne ich nicht. Der französische Außenminister Bernard Kouchner hat mir nach einem langen außenpolitischen Gespräch bei einem Abendessen in Paris geraten: Guido, lies das alles über Dich nicht! Er würde das auch oft so halten. In den ersten Wochen litte man unter Entzug, danach ginge es einem deutlich besser. Mir gelingt das leider immer noch nicht ganz. Aber dann denke ich an den Rat meiner 1896 in Schötmar bei Bad Salzuflen geborenen, inzwischen verstorbenen Großmutter: "Willst nicht, dass die Raben schreien, darfst nicht Kirchturms Spitze sein."


FDP-Bundespartei
Pressestelle
Reinhardtstraße 14
10117 Berlin
Telefon: 030 - 28 49 58 43
Fax: 030 - 28 49 58 42
E-Mail: presse(at)fdp.de

Unternehmensinformation / Kurzprofil:
drucken  als PDF  an Freund senden  WESTERWELLE gratuliert DR. BURKHARD HIRSCH zum 80. Geburtstag (29.05.2010) Neuer Ratgeber für Liebe und Partnerschaft. Die Liebe verstehen
Bereitgestellt von Benutzer: pressrelations
Datum: 31.05.2010 - 11:17 Uhr
Sprache: Deutsch
News-ID 205191
Anzahl Zeichen: 25914

pressrelations.de – ihr Partner für die Veröffentlichung von Pressemitteilungen und Presseterminen, Medienbeobachtung und Medienresonanzanalysen


Diese Pressemitteilung wurde bisher 0 mal aufgerufen.


Die Pressemitteilung mit dem Titel:
"WESTERWELLE-Interview für die 'Welt am Sonntag' (30.05.2010)"
steht unter der journalistisch-redaktionellen Verantwortung von

FDP (Nachricht senden)

Beachten Sie bitte die weiteren Informationen zum Haftungsauschluß (gemäß TMG - TeleMedianGesetz) und dem Datenschutz (gemäß der DSGVO).

BRÜDERLE-Interview für die "Rhein-Zeitung ...

Berlin. Der Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, FDP-Präsidiumsmitglied und Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion RAINER BRÜDERLE gab der "Rhein-Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte URSULA SAMARY: Frag ...

Alle Meldungen von FDP