PresseKat - Deutschland braucht keine Reformen, sondern eine kapitale Krise

Deutschland braucht keine Reformen, sondern eine kapitale Krise

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(firmenpresse) - Schon der Titel lässt aufhorchen: Wolfgang Münchau kündigt nicht weniger als das "Ende der Sozialen Marktwirtschaft" an. Das ist ungefähr so, als würde man in Indien auf offener Strasse eine heilige Kuh schlachten. Aber um Aufsehen geht es dem Autor, der einer der Gründer der Financial Times Deutschland (FTD) gewesen ist und nun als Europa-Kolumnist und Associate Editor der Financial Times Limited mit Sitz in Brüssel tätig ist. Münchaus Polemik gegen all das, was den bundesrepublikanischen Nachkonsens angeht, ist hervorragend geschrieben. Dabei bleibt die Differenziertheit des Urteils allerdings auf der Strecke. Der Kolumnist ist erkennbar auf Krawall gebürstet, und gerade dies macht die Lektüre so erfrischend, auch wenn man vielen Schlussfolgerungen des Verfassers nicht zustimmen kann.

Münchau übt eine grundsätzliche Systemkritik. Er hält nichts von der ausufernden Reformdebatte in Deutschland. Die Soziale Marktwirtschaft, so seine Hauptthese, war "ein funktionierendes System für eine mittelständisch geprägte Industriegesellschaft". Doch die Stürme der Globalisierung werden sie hinwegfegen. Der Autor glaubt nicht an die Wirksamkeit von einzelnen Reformen. Er sieht sowohl das Wirtschaftssystem als auch die politische Ordnung der Bundesrepublik in Gefahr. Diese Vorstellung erfüllt ihn aber keineswegs mit Grauen. Münchau sehnt die Krise fast herbei, die Schluss machen werde mit den Gepflogenheiten des "rheinischen Kapitalismus" und der "Deutschland AG". Der ehemalige Chefredakteur der FTD hat lange Jahre in Grossbritannien und den Vereinigten Staaten gelebt. Und das angelsächsische Modell, wie Wirtschaft, Gesellschaft und Politik aufgebaut sein sollten, wünscht er sich auch für Deutschland herbei.

Die Krisen-Pose wirkt pubertär

Diese Krisen-Pose wirkt etwas pubertär. Münchau will den Eindruck vermitteln, dass die ganzen Säulenheiligen der bundesrepublikanischen Wirtschaftspolitik ziemliche Stümper sind. Er hingegen, der gern damit prahlt, auf irgendwelchen Podien mit wichtigen Leuten zusammengesessen zu haben, weiss natürlich alles besser. Diese Haltung trägt dazu bei, dass die Botschaft sehr klar und unmissverständlich ausfällt. Doch auch wenn jemand gut unterhält und nicht langweilt, muss er ja noch nicht unbedingt Recht haben.





Walter Eucken gilt unter konservativen deutschen Ökonomen als eine Art Ikone. Daher lautet Münchaus Losung: Weg mit ihm. Doch nicht nur Eucken bekommt sein Fett weg, desgleichen werden Paul Kirchhof, Friedrich Merz, Helmut Kohl, Hans Tietmeyer, Norbert Blüm und andere abgewatscht. Sie haben alle keine Ahnung. Überhaupt gäben hier zu Lande nur die Juristen den Ton an. Ökonomischer Sachverstand sei in der Regel nicht gefragt. Wenn der Autor dann ausgerechnet die Sechziger- und Siebziger-Jahre-Sozialdemokraten Karl Schiller und Helmut Schmidt als grosse Ökonomen feiert, die sich noch intellektuell und praktisch mit der Weltwirtschaft auseinander gesetzt hätten, wirkt dies nicht sehr überzeugend. Schmidt war sicher ein guter Krisenmanager, doch mit den ausgelutschten Rezepten der siebziger Jahre kann die deutsche Wirtschaft nun wirklich nicht mehr flott gemacht werden. Doch im Gestus des allwissenden Weltökonomen sind sich "Schmidt Schnauze" und der ebenso wortmächtige Wirtschaftspublizist vielleicht gar nicht so fremd.

"Was die Soziale Marktwirtschaft in ihrem Wesen ausmacht, ist eine vorkapitalistische Vetternwirtschaft, ein dicht vernetzter Klüngel von Banken, Unternehmen und Politik, und eine Wirtschaftspolitik, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Forschung beruht", schreibt Münchau. Recht hat er, will man ihm zurufen, doch meint er anscheinend nicht die Soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards, sondern das, was die Sozialromantiker, Wohlfahrtsstaatsbefürworter und Besitzstandswahrer in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aus ihr gemacht haben. Doch ein Streit um Worte bringt wenig. Die Fakten sind hingegen eindeutig: Aus der Systemkonfrontation mit dem Ostblock ist nicht das europäische Sozialstaatsmodell als Sieger hervorgetreten. In vielen Ländern Asiens und Osteuropas herrschen mittlerweile Zustände, die noch liberaler und marktwirtschaftlicher sind als in den Mutterländern des angelsächsischen Kapitalismus.

Chinesische Wissenschaftler und indische Ingenieure sind unser Problem

Wolfgang Münchau ist immer dann besonders stark, wenn er die satte Selbstzufriedenheit der Westeuropäer angreift. Politiker vom Schlage eines Oskar Lafontaine oder Gewerkschaftsfunktionäre tragen gebetsmühlenartig vor, die deutschen Arbeitnehmer müssten vor der Billigkonkurrenz aus dem Ausland geschützt werden. Schön wäre es, wenn das unser einziges Problem wäre: "Unser Problem sind nicht chinesische Billigarbeiter, sondern chinesische Wissenschaftler und indische Ingenieure, die mit uns konkurrieren, egal, ob sie mit uns direkt auf unserem heimischen Arbeitsmarkt konkurrieren oder indirekt durch den Handel."

Die von Münchau präsentierten Zahlen lassen aufhorchen: Der Weltanteil Asiens an wissenschaftlichen Publikationen stieg von 16 Prozent im Jahr 1990 auf 25 Prozent im Jahr 2004. Wenn dieser Trend anhält, wird Asien in zehn bis 15 Jahren mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen produzieren als die USA. Indien produziert jedes Jahr 260.000 Diplomanden in den Ingenieurswissenschaften. Dieser Anteil wird sich bis zum Ende des Jahrzehnts verdoppeln. Im Jahr 1990 waren 62 Prozent aller Doktoranden in den USA bei den Ingenieurwissenschaften Ausländer, hauptsächlich Asiaten. An der Johns Hopkins University in Maryland bestand ein ganzer Jahrgang von Doktoranden in der Mathematik nur aus Chinesen, so Münchau.

Noch ist Deutschland die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt. Doch dies kann sich ändern. Der Autor verweist auf eine Projektion der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs, welche sich auf die Entwicklung des Wirtschaftswachstums von Brasilien, Russland, Indien und China für die nächsten 50 Jahre bezieht. Laut Goldman Sachs werden die vier BRIC-Staaten in weniger als 40 Jahren zusammen ein höheres Volkseinkommen haben als die G 6. China werde Deutschland im Jahr 2007 überholen. Indien ist dann im Jahr 2023 dran, Russland in 2028 und Brasilien im Jahr 2036. Sicherlich ist eine solche Langzeitanalyse mit vielen Fragezeichen behaftet. Doch Münchau treibt eine reale Sorge um: In 50 Jahren könnte Deutschland sowohl ein politischer als auch ein ökonomischer Zwerg sein. Möglicherweise werde auch nicht das angelsächsische System die Antwort auf diese Herausforderung der Globalisierung sein. Aber es werde auf jeden Fall ein liberales sein. Das rheinische Klüngelsystem mit seiner dichten Vernetzung von Politik, Unternehmen und Banken hat die Zukunft jedenfalls schon hinter sich.

In den kommenden Jahren werden wir uns dem Qualitätswettbewerb stellen müssen, keinem Kostenwettbewerb. Diese Lektion haben die Deutschen noch nicht begriffen. Und schon sind wir bei der nächsten heiligen Kuh. Der Deutsche liebt sein Auto und hängt an der Industriegesellschaft. Dieses Land leistete sich von 1998 bis 2005 einen politischen Führer, der sich gern als "Autokanzler" feiern liess. Klar, viele deutsche Arbeitsplätze hängen an der Automobilindustrie. Doch ob das gut ist, ist eine ganz andere Frage. Denn auch hier stechen uns die Wettbewerber aus. Bestes Beispiel: Erst im Jahr 1989 stellte die Firma Toyota auf der Autoshow von Detroit zum ersten Mal ein neues Topmodell vor, den Lexus. Im Jahr 2004 hatte der Lexus schon den grössten Marktanteil in der Luxusklasse in den USA, gefolgt von BMW und Cadillac. Daimler-Chrysler fiel auf den fünften Platz zurück.

Dienstleistungsgesellschaft: Schutz vor der Globalisierung

Deutschland lebt mental immer noch in der Industriegesellschaft, obwohl der Anteil der Industrie am volkswirtschaftlichen Gesamteinkommen zwischen 1970 und heute von 34 Prozent auf gerade mal 20 Prozent gesunken ist. Will Deutschland weiterhin oder endlich wieder Erfolge haben, so muss es sich hin zur Dienstleistungsgesellschaft entwickeln. Der grosse Vorteil: Dies bietet sogar eine Art Schutz vor der Globalisierung. Bestimmte Dienstleistungen können eben nicht über die Landesgrenzen transportiert werden. Autoteile kann ein Unternehmen auch in der Slowakei schrauben lassen. Ein Friseur ist hingegen auf den lokalen Markt angewiesen. Ähnliches gilt für die Juristenzunft: Ein Jurastudium in Frankreich berechtigt nicht zur Tätigkeit als Rechtsanwalt in Deutschland. Ausserdem hat der Industriesektor in den vergangenen Jahren Arbeitsplätze abgebaut, während die Dienstleistungsbranche für neue Jobs gesorgt hat.

Unter Niveau fällt Münchaus Kapitel über den Mittelstand aus. Der Mittelstand, so seine provokative These, sei verantwortlich für Deutschlands Probleme. Die Beziehung zwischen Mittelstand, Gewerkschaften, Politik und Finanzinstitutionen habe planwirtschaftliche Züge. Der Autor vermag aber nicht zu erläutern, was die Alternative zur mittelständischen Struktur unserer Wirtschaft sein könnte. Er zeichnet stattdessen ein Schwarz-Weiss-Gemälde: Hier die kungelnden Mittelständler, dort die...: Ja was eigentlich? Die tollen Konzerne, die auf Kosten der Allgemeinheit massenhaft ältere Arbeitnehmer in den Vorruhestand schicken? Oder die famosen Finanzinvestoren, die sehr viel versprechen, in Deutschland aber zumindest bisher noch nicht unter Beweis gestellt haben, dass das Land sie dringend braucht?

Dieses Buch will sich erkennbar von anderen Krisenbüchern unterscheiden. Es ist kein Buch über Reformen, sondern ein einziger Ruf nach dem Big Bang, der alles verändert und auf den Kopf stellt. Doch in einem nicht unerheblichen Punkt ähnelt auch Münchau den übrigen Propheten der Krise. 190 Seiten übt er Kritik an den verlotterten Zuständen in diesem Lande. Und dann kommen noch mal knapp 30 Seiten mit eigenen Rezepten. Doch Münchaus Kochbuch ist zu exklusiv. Er schreibt über den Globalisierungs- und den Liquiditätsschock, über den Niedriglohnsektor, private Zusatzrenten und Wohneigentum. Der grosse Wurf sieht anders aus. Dass zum Beispiel mehr Engländer in den eigenen vier Wänden wohnen als Deutsche, wussten wir auch vorher. Auch wenn wir nicht - wie Münchau - mal Korrespondent der Londoner Times waren.

Schade, denn die Botschaft des Autors kann nicht oft genug verkündet werden. In der Tat ist unser rheinischer Kapitalismus mittlerweile zutiefst unsozial geworden. Ein kleines, politisch unkorrektes Beispiel hierfür: Deutschland lässt Einwanderer zwar nicht arbeiten, füttert sie aber mit relativ üppig bemessenen Sozialleistungen, die mit ein wenig Schwarzarbeit noch aufgebessert werden können. In den USA verfährt man wesentlich sozialer: Die Einwanderer dürfen arbeiten und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Dafür gibt es so gut wie keine staatlichen Sozialleistungen. Welches System ist gerechter und setzt die richtigen Leistungsanreize? Die Antwort dürfte auch ideologisch verbohrten "alten Europäern" nicht schwer fallen. "Wir brauchen nicht die Soziale Marktwirtschaft, sondern den sozialen Markt", mit diesen Worten schliesst das Buch. Der erste Teilsatz ist fragwürdig, der zweiten Teil sollte unbedingt überdacht werden.

Wolfgang Münchau: Das Ende der Sozialen Marktwirtschaft. Carl Hanser Verlag: München-Wien 2006, 250 S., 19,90 Euro, ISBN 3446405593

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